20. Januar 2005
"Wir wollten einfach nicht mehr über reitende Leichen singen"
Interview geführt von Michael EdeleNachdem Kreator mit "Enemy Of God" nicht nur ein echtes Killeralbum aufgenommen haben, sondern Fronter Mille auch mit einem Auftritt im öffentlich-rechtlichen KinderKanal (KiKa) glänzte, war es Zeit, nachzufragen. Was Herr Petrozza zu Politik im Metal, zum anstehenden Bush-Besuch und zur neuen Scheibe zu sagen hat, lest ihr im Folgenden.
Wie ich höre, bist du ziemlich im Stress, und ich muss mich kurz fassen?
Ja, geht so. Ich komme gerade direkt von der Probe, wir hatten die Tage ein paar Signing Sessions, und jetzt geht's dann gleich mit der Tour los. Da haste schon einiges um die Ohren. Den Labels scheint nicht so ganz klar zu sein, dass wir auch irgendwann mal proben müssen. Die würden mir am liebsten den ganzen Tag mit Interviews vollklatschen. Deswegen hab ich jetzt gesagt, lass uns das NACH der Probe machen. Also du musst jetzt keine Hektik machen, unter Zeitdruck stehen wir heute nicht, haha.
Okay, dann ans Eingemachte. Wenn wir mal ganz davon absehen, dass der Opener des neuen Albums einem schön an der Hirnrinde raspelt - man erkennt einfach auf Anhieb, welche Band hier spielt. Das gibt es äußerst selten.
Danke, das freut mich zu hören. Wir haben uns auch entsprechende Mühe gegeben, dass unsere Trademarks auf dem Album deutlich zu hören sind. Es war schon das Ziel, ein typisches Kreator-Album zu machen. Es sollte aber gleichzeitig auch mehr in die Tiefe gehen, sprich die experimentellen Sachen mit den ultrabrutalen verbinden. Ich denke mal, das ist uns ganz gut gelungen, denn gerade jetzt beim Proben für die Tour haben wir gemerkt, wie gut die neuen Sachen mit den alten harmonieren. Das wird dieses Mal eine verdammt lange Setlist. Wir wollen vom neuen Album mindestens sechs Songs spielen, aber von den alten kannste eben auch kaum einen weglassen. Es dürfte also immer relativ lange Kreator-Konzerte geben. Ich hoffe mal, das wird den Leuten nicht zu langweilig, hehe.
Während mehr und mehr Bands scheinbar der Meinung sind, dass Politik in der Musik und im Metal nichts zu suchen hat, gibst du da prinzipiell einen Scheiß drauf und nennst die Dinge klar beim Namen ...
Ich denke mal, wenn andere Bands das sagen und so handhaben, ist das für die auch voll in Ordnung. Wenn ich sage, dass ich das in meiner Mucke drin haben will, ist das für mich aber genauso in Ordnung. Da hat jeder seinen freien Willen und kann das nach seinem Geschmack handhaben. Ich will und kann ja niemanden dazu zwingen, dass er sich in seinen Texten mit politischen Themen befasst. Außerdem kann man doch beinahe alles so interpretieren, wie man das will. Einen Song wie "Enemy Of God" kann man als Katastrophentext sehen, als Song über den 11. September oder auch als Song gegen den Terror allgemein. Das ist Auslegungssache, und ich finde, da sollte man den Leuten nicht zu viel vorweg nehmen. Jeder kann seine eigene Interpretation finden. Okay, Sachen wie "Suicide Terrorist" oder "World Anarchy" sind politische Songs, aber das habe ich ja schon immer gemacht. Für mich ist das so gesehen nichts Neues. Da hat sich eigentlich auch noch nie einer drüber aufgeregt, und wenn es Bands gibt, die der Meinung sind, dass es nicht Metal ist, politische Texte zu machen, dann ist das auch schön.
Hast du mitunter das Gefühl, dass sich manche Künstler mit solchen Sprüchen aus der Verantwortung ziehen?
Eigentlich nicht. Gründe dafür sind doch immer vom jeweiligen Individuum abhängig. Wenn jemand sagt, dass seine Kunst nur existieren kann, wenn er keine Bezüge zur Realität bringt, sondern sich nur in Phantasiewelten bewegt, dann hat Politik da auch nichts drin zu suchen. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass in den meisten großen Werken, in denen es oberflächlich betrachtet um etwas ganz anderes geht, auch politische Statements abgegeben werden. Nimm doch nur George Orwells "Animal Farm". Oberflächlich betrachtet hat das gar nichts mit Politik zu tun. Oder der "Der Herr der Ringe". Diese Bücher sind prinzipiell auch nichts anderes als ein Nachbeben vom Zweiten Weltkrieg. Man muss also immer vorsichtig sein, wo in Wirklichkeit nicht überall noch Politik drin steckt.
Bei manchen sollte man auch wirklich dankbar sein, wenn sie zu manchen Themen die Schnauze halten ...
Das ist allerdings richtig, hahaha. Klar gibts da auch die andere Seite, die sich einfach aus purer Unwissenheit raushält, aber das ist dann doch erst recht in Ordnung. Ich versuche ja auch, bei Kreator nicht ganz so offensichtlich vorzugehen. Das hat sich aber auch über die Jahre entwickelt. Wir haben uns einfach irgendwann dazu entschlossen, nicht mehr über reitende Leichen zu singen, wie auf "Pleasure To Kill" etwa. Da waren wir einfach noch von diesem alten, portugiesischen Horror-Filmen inspiriert, die wir als Kinder gesehen hatten.
Scheiße, ja, ich erinnere mich auch noch. Meine Fresse, waren die schlecht.
Aber hallo! Aber für eine Thrash Metal-Band war das textlich genau das Richtige. Die Zeiten sind aber vorbei, das ist einfach nicht mehr unser Ding. Das Metaphorische haben wir zwar beibehalten, aber jetzt auf einer anderen Ebene. Was ich nämlich überhaupt nicht leiden kann, ist es, mit dem Finger auf Sachen zu zeigen oder Leute mit der Nase auf etwas zu stoßen. Das tun wir auch nicht.
Nein, auf keinen Fall. Plakativ wird es bei euch nie. Das begrüße ich auch sehr. Ihr deutet zwar bestimmte Dinge an, das Nachdenken muss aber jeder selbst noch übernehmen. Was hältst du eigentlich von dem Bush-Besuch am 20. Februar?
Der Penner soll bloß bleiben, wo er ist! Der braucht überhaupt nicht zu kommen. Aber was solls, das Gute ist ja, dass immer mehr Leute registrieren, was für ein Arsch das eigentlich ist. Der Typ kann ja gar nichts. Man kann leider fest davon ausgehen, dass der Kerl demnächst in den Iran einfallen wird. Ich hoffe zwar immer noch, dass er es nicht tut, aber ... Der bringt doch die gesamte arabische Welt gegen sich auf. Wo soll das noch hinführen? Das gibt eine absolute Polarisierung der Kulturen, wo soll sich denn da jemals wieder ein Konsens bilden, wenn der so weiter macht? Viele von den radikalen Islamisten machen überhaupt keinen Unterschied mehr zwischen den USA und anderen westlichen Ländern. Er aber doch auch nicht. Wenn das so weiter geht, steuern wir auf einen weiteren Weltkrieg zu.
Es scheint sich keiner darüber klar zu sein oder Gedanken zu machen, dass hier komplett unterschiedliche Mentalitäten aufeinander prallen.
Exakt, und auf diese Weise werden wir es auch nicht schaffen, diese unterschiedlichen Mentalitäten einander anzunähern. Dass es machbar ist, zeigt sich doch überall auf der Welt. Deutschland ist kulturell sehr gemischt und alle leben relativ friedlich miteinander. Arschlöcher hast du natürlich auf allen Seiten, aber das Miteinander funktioniert. Das Traurige ist doch, dass Amerika da eigentlich mal eine Vorbildfunktion hatte.
Du meinst den viel und gern zitierten Melting Pot?
Genau, aber wo zur Hölle ist der hin? Es scheint momentan das primäre Ziel zu sein, sich mit jedem anders Denkenden anlegen zu wollen, und das ist nicht nur traurig, das ist auch beängstigend. Es ist viel zu offensichtlich. Da ist eine Erdöl-Lobby an der Regierung, die nur noch nach ihrem eigenen Gutdünken vorgeht und ein ganzes Land, am liebsten die ganze Welt, manipuliert. Das kann nur schief gehen. Was soll ich denn von dem Kerl halten? Nimm doch nur seine letzte Rede, in der er sagte, dass er die Option eines Angriffs nicht vom Tisch nehmen könne. Das ist doch fast schon albern. Haste gestern Harald Schmidt gesehen?
Ja logisch, haha. "So lange ich hier noch was zu sagen habe, kommen keine Beine unter meinen Tisch", oder wie war das?
Jahaha, so ähnlich. Großartig, aber daran siehst du mal, welche Kreise das schon zieht. Leute, die eigentlich gar nicht antiamerikanisch eingestellt sind, äußern sich auch schon dahingehend. Wobei, was heißt eigentlich antiamerikanisch, die meisten sind einfach nur kritisch und sagen nicht zu jedem Mist Ja und Amen. Seit Bush an der Regierung ist, heißt es aber nur noch "with us or against us". Aber da könnte wir noch stundenlang drüber weiter diskutieren.
Da hast du wohl recht. Lass uns lieber wieder zu "Enemy Of God" zurück kommen. Wenn ich mir einen Song wie "Murder Fantasies" reinziehe, spiegelt der nur bedingt politische oder sozialkritische Themen wider.
Mal ganz kurz, hast du eigentlich mitbekommen, dass es schon eine eigene Band gibt, die sich Enemy Of God nennt
Ja, stimmt, das Projekt vom ehemaligen Megadeth-Basser Dave Ellefson und dem Ex-Slayer Drummer John Dette. Wenn das nicht geil ist, am besten ihr geht mit denen in den USA gleich auf Tour ...
Ja, wäre keine schlechte Idee, aber zurück zu deiner Frage. Prinzipiell geht es in allen meinen Texten ausschließlich um mein inneres Seelenleben. Was mich beschäftigt oder berührt, darüber schreibe ich. Wenn ich einen Song wie "Suicide Terrorist" schreibe, versuche ich, mich in jemanden hinein zu versetzen, der sich selbst das Datum setzt, an dem er sich selbst umbringt, um andere zu töten. Wenn ich einen Song wie "Murder Fantasies" schreibe, spinne ich auch nur das weiter, was ich mir ausmale, wenn ich total sauer bin. Das hat jeder schon mal gemacht. Wenn mir jemand total auf die Eier geht, dann malt man sich ab und zu genüsslich aus, wie man den am liebsten um die Ecke bringen würde. Dass du so was nie machst, ist eigentlich klar, aber die Gedanken kommen bei jedem Menschen vor. Dieses Prinzip, so was einfach nieder zu schreiben, verfolgen viele. Seien es Künstler, Autoren oder ganz normale Menschen, die das dann in ihr Tagebuch schreiben und damit ihren Ärger verarbeiten.
Und was hat es mit "Ancient Plague" auf sich? Der Titel und der Text haben ja schon beinahe etwas Biblisches.
Das ist schwer zu beschreiben. Ich hab da erst heute noch mal drüber nachgedacht, als wir den Song eingeprobt haben. Es geht eigentlich um die Apokalypse. Die Welt ist am Ende, alle Religionen haben versagt, alles liegt in Trümmern, und plötzlich kommt Satan und rettet alle. Frag mich nicht, wie ich auf so was gekommen bin, keine Ahnung, haha.
Hey, kennst du von Anne Rice aus deren Vampir-Chroniken das fünfte Buch, "Memnoc The Devil"? Das hat einen ähnlichen Ansatz, auch da ist der Teufel zwar Gottes Widersacher, aber nicht, weil er die Menschen verführen und zum Scheitern bringen will, sondern weil er es wagt, Gottes Schöpfung - und damit Gott selbst – in Frage zustellen.
Nee, kenn ich nicht, klingt aber sehr interessant. So ähnlich habe ich mir das eben auch vorgestellt, als ich den Text geschrieben habe. Die Kirche ist ja immer schnell dabei, wenn es darum geht, andere Religionen oder Glaubensrichtungen zu verurteilen. Vor allem beim Satanismus steht sie da ganz vorne. Nicht, dass ich Satanist wäre, aber es hat sich doch quasi jeder Metal-Fan mal mit dem Kram beschäftigt. Da ist die christliche Religion aber nicht allein, das tun eigentlich alle, und mir hat das Prinzip gefallen, dass genau das, was sie so gern verteufeln, am Ende eben die Kohlen aus dem Feuer holt, haha.
Ihr habt für "Endorama" ja ganz schön auf die Mütze bekommen, was ich nach wie vor nicht verstehe, da ich die Scheibe sehr geil finde.
Ja, ich fand die auch gut, aber es war eben keine Scheibe, die wirklich brutal war. Es herrschten einfach melancholische, melodische Sachen vor. Ich habe damals versucht, klar zu machen, dass man Extreme nicht nur mit extrem aggressiver Musik ausdrücken muss. Das ist aber scheinbar etwas am Stil vorbei geschossen. Die Melancholie auf "Endorama" spiegelt aber auch meine Gefühlswelt zu diesem Zeitpunkt wieder. Es ging auf keinen Fall darum, irgendwie kommerziell zu werden. Das schaffen wir mit der Musik, die wir machen, eh nicht, vor allem nicht mit meinem Gesang. Für mich war die Platte wie ein Abschied vom letzten Jahrtausend. Daher diese Melancholie.
Denkst du, dass der Schritt vielleicht ein wenig zu weit war, der Bruch mit dem Bekannten zu extrem?
Was heißt zu weit? Für mich hatte das damals durchaus seinen Sinn, und ich steh nach wie vor zu dem Album. Ich muss aber dazu sagen, dass das Line-up zu dieser Zeit etwas verworren war. Wir hatten noch Tommy Vetterli dabei, und Tommy hatte den Drang, bei Kreator den selben Posten einzunehmen wie bei seiner alten Band Coroner, nämlich Bandleader. Er hat dann während der Produktion versucht, sehr viel unter die eigene Kontrolle zu bekommen, was das Endprodukt im Nachhinein doch etwas verwässert hat. Er hat die Scheibe produziert, und das war nicht der beste Schritt. Wenn wir irgendwann mal ein Box Set rausbringen, müssen da die Demos von "Endorama" drauf sein. Die klingen ein ganzes Stück härter, und du merkst trotz der Melancholie, dass das Kreator sind.
Demnach trügt mich wohl auch das Gefühl nicht, dass dir der "Endorama"-Sound noch sehr am Herzen liegt. Ich finde nämlich, dass ihr auf "Enemy Of God" die perfekte Mischung aus Melancholie und Härte erreicht habt.
Exakt das denke ich auch! Hier ist total viel von "Endorama" drauf, nur plötzlich merkts keiner mehr. Wir waren damals mit Paradise Lost und Morbid Angel unterwegs, Paradise Lost wurden vom Publikum nicht sonderlich akzeptiert, und sie sagten zu uns: "Ihr habt doch auch viele langsame Parts, und bei euch finden die Leute das gut." Schon klar, aber wir haben auch die schnellen Parts, und die sind bei Paradise Lost eben Mangelware. Erst durch die Mischung gewinnen die beiden Extreme doch an Aussagekraft. Nur eins von beiden ist monoton und langweilig. So, wie wir das jetzt gemacht haben, hast du so etwas wie eine emotionale Achterbahnfahrt, was ich sehr gelungen finde.
Durchaus, wobei man aber auch berücksichtigen muss, dass Paradise Lost live so ziemlich zum Wegschnarchen sind.
Öh, na ja, also ... das sind Freunde von mir, und ich wollte jetzt nichts Schlechtes über sie sagen. Sie könnten aber an ihrem Bewegungsradius etwas arbeiten, haha. Aber zurück zur Sache. Ich versteh nicht, warum die Leute so tun, als würden wir jetzt was völlig anderes machen. Das ist doch totaler Quatsch. Wer unsere History kennt, der weiß, dass wir schon lange mit Melodien gearbeitet haben und wo die herkommen. Viele, die früher über "Endorama" gemeckert haben, finden "Enemy Of God" jetzt super, übersehen dabei aber, dass vieles von "Endorama" auch auf der neuen Scheibe zu hören ist.
Ihr habt auch die Akustik-Gitarren wieder für euch entdeckt?
Ja, so ein bisschen. Ich fand die Akustik-Sachen auf den alten Metallica-Scheiben immer so geil, und das wollte ich wieder aufleben lassen. Damit bin ich aufgewachsen und stehe immer noch drauf.
Jetzt nur noch eins: Wie zur Hölle bist du zu der Show auf dem Kinder-Kanal gekommen?
Jaha, das war so eine Sache. Die haben mich einfach angerufen und gefragt, ob ich da mitmachen will. Ich habe dann zugesagt, konnte mir aber nichts so recht drunter vorstellen. Ich bin dann also da hin und habe gemerkt, dass die Leute, die das vorbereitet hatte, vom Metal nicht wirklich viel Ahnung hatten, den Kids aber was dazu sagen wollten. Das haben sie so gut sie es eben konnten getan, und mich das Ganze etwas dirigieren lassen. Ich hab dann ein wenig Gitarre gespielt und ein paar Sachen erzählt. Man darf aber einfach nicht vergessen, dass das eine Sendung für Kinder war. Die Kiddies sollten einen kleinen Eindruck davon bekommen, was in dieser Art Musik passiert. Was brauche ich da dumme Kommentare von irgendwelchen Metal-Experten, die dann mosern, weil ich nicht auf irgendwelche Stile großartig eingegangen bin. Was soll der Quatsch? Dafür gibt's ganz andere Formate, um über so was zu diskutieren, und das kratzt ein kleines Kind nun wirklich nicht. Die Kleinen waren echt cool, noch total offen, und sie hatten wirklich Interesse daran. Ich hab da echt erst mal wieder gemerkt, dass Kinder in diesem Alter noch völlig frei von Vorurteilen sind. Neugierig, ursprünglich, so, wie eigentlich jeder sein sollte. Schade, dass man sich das nicht bewahrt, es würde viel weniger Probleme auf der Welt geben.
Das Interview führte Michael Edele
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