9. Juni 2015

"Man muss liefern, liefern, liefern"

Interview geführt von

Leftfield sind zurück! Nach 16 Jahren Studio-Funkstille melden sich die IDM-Pioniere aus London mit ihrem dritten Album "Alternative Light Source" zurück. Oder zumindest eine Hälfte des einstigen Duos.

Eine Metal-Kutte ist normalerweise mit unzähligen Band-Aufnähern bestückt. Der größte prangt meist auf dem Rücken. Und nur selten wird dieser Bereich mit einer unbekannten Band geschmückt. Zumeist bestaunt man dort Albencover oder Logos von Bands wie Motörhead, Iron Maiden, AC/DC oder Metallica. Würde man innerhalb der Elektro-Szene ebenfalls auf Kutten schwören, dann ginge der eine oder andere Branchen-Experte sicherlich mit einem Leftfield-Hinweisschild auf dem Rücken spazieren. Leftfield sind nämlich so etwas wie die Urväter einer musikalischen Bewegung, die anno 1989 in London losgetreten wurde und auch heute noch unter dem Kürzel IDM weltweit für Bewegung in den Tanztempeln sorgt.

Die vergangenen 16 Jahre herrschte allerdings Funkstille im Hause Leftfield – zumindest, was neues Studiomaterial anbelangt. Nun meldet sich das House-Flagschiff mit dem dritten Album "Alternative Light Source" zurück. Gesteuert wird das Ganze allerdings nur noch von Neil Barnes. Kollege Paul Daley hingegen ist raus. Und das bekanntermaßen nicht erst seit gestern. Daley verzichtete bereits bei der ersten Wiederbelebung des Projekts im Jahr 2010 auf jedwede Beteiligung. Statt Daley steht Barnes nun ein gewisser Adam Wren treu zur Seite. Und natürlich diverse Gastmusiker wie Tunde Adebimpe (TV On The Radio), Channy Leaneagh (Poliça), Ofei und Sleaford Mods.

Hi Neil. Man sagte mir, dass du dein neues Album erst gestern das erste Mal in einer entspannten Atmosphäre gehört haben sollst. Stimmt das?

Neil Barnes: Ja, das ist richtig. Und es war ein Traum (lacht).

Das, was du gehört hast? Oder die Tatsache, dass du überhaupt mal in Ruhe ein Ohr riskieren konntest?

(lacht) Beides.

Erzähl doch mal. Wie kam es gestern dazu?

Das Album wurde gestern in England erstmals gestreamt. Naja und neben knapp 5000 Hörern habe ich mir natürlich auch mal eine Stunde Zeit genommen, um reinzuhören. Ich meine, ich kenne die Songs ja alle schon. Aber bisher habe ich sie immer nur innerhalb eines stressigen und sehr intensiven Arbeitsprozesses hören können. Und auch nicht in der richtigen Reihenfolge. Was fertig war, war fertig. Diesmal spielt das Gesamtbild aber eine viel wichtigere Rolle. Die Musik auf dem Album gleicht mehr denn je einer Reise. Es gibt eigentlich keine Singles. Es geht um das große Ganze. Und das verinnerlicht man erst, wenn alles so miteinander verbunden ist, wie es geplant war. Und gestern war es endlich soweit.

Zufrieden mit dem Ergebnis?

Absolut.

Doofe Frage, oder?

Nein, warum? Ich denke schon, dass ich mich mittlerweile kritischer denn je hinterfrage. Und ich bin ein ehrlicher Mensch, auch wenn es mir das Business, in dem ich arbeite, nicht immer einfach macht (lacht). Nach zwanzig Jahren im Musikgeschäft kennt man die Strukturen und Methoden in und auswendig. Warum sollte ich mir also selbst in die Tasche lügen? Es ist klar, dass es Leute da draußen geben wird, die mit dem Album nicht viel anfangen können. Aber solche Menschen gab es vor fünfzehn oder zwanzig Jahren auch. Man kann es nie allen Recht machen. Wichtig ist einfach nur, dass man selbst zufrieden und glücklich mit seiner Arbeit ist. Oder man es sich eben eingesteht, wenn man mal ins Klo gegriffen hat.

"Meine Tür steht Paul jederzeit offen"

Was gefällt dir an "Alternative Light Source" besonders gut?

In erster Linie die Atmosphäre. Wie ich schon sagte, dieses Album ist vergleichbar mit einer Reise. Man startet irgendwo, erkundet neue Dinge um sich herum, und kommt irgendwann wieder zuhause an. Und genauso fühle ich mich. Zumindest seit gestern (lacht).

Besser spät als nie.

Ja, wohl wahr. Es gab schon auch Momente zwischendurch, die mich ein bisschen verunsichert haben. Dabei geht es jetzt gar nicht so sehr um bestimmte Songs. Es waren eher Augenblicke, in denen ich alles hinterfragt habe.

Waren das Momente, in denen dir ein gewisser Paul Daley vielleicht hätte helfen können?

(lacht) Nein, ich denke nicht. Diese Momente hatten nichts mit dem Fehlen von Paul zu tun. Es ging eher um mich und meine Einstellung zum Album.

Die kam zwischenzeitlich ein bisschen ins Wanken?

Typische Phasen, in denen ein Musiker anfängt, zu viel nachzudenken. Das geht meistens nach hinten los. Zum Glück habe ich es schnell wieder abstellen können.

Also ist "Alternative Light Source" ein Album aus dem Bauch heraus?

Ja, zum Großteil.

Würde das Album anders klingen wenn Paul mitgewirkt hätte?

Keine Ahnung. Das werden wir wohl nie herausfinden.

Klingt nach einem geschlossenen Kapitel.

Nein, so war das nicht gemeint. Ich beziehe mich jetzt nur auf das aktuelle Album.

Also könnte es in Zukunft durchaus noch einmal zu einer Zusammenarbeit mit ihm kommen?

Sicher. Meine Tür steht ihm jederzeit offen.

Paul weiß das?

Ja, das weiß er. Er hätte auch gerne schon vor fünf Jahren wieder mit einsteigen können. Aber damals wollte er nicht. Und diesmal wollte er auch nicht. Das ist auch völlig ok. Ich bin deswegen nicht sauer oder enttäuscht. Ich denke, dass ich Leftfield auch gut allein auf Kurs halten kann.

"Der Markt ist ständig hungrig"

So ganz alleine bist du ja dann doch nicht.

Nein, das stimmt. Mit Adam Wren hatte ich diesmal einen tollen Studio-Partner mit an Bord. Und dann sind ja auch noch Leute wie Ofei, Tunde Adebimpe und Channy Leaneagh auf dem Album zu hören. Von einem gänzlichen Alleingang zu reden wäre also etwas übertrieben.

Viele reden von einem Comeback-Album, was gewissermaßen ja auch zutrifft. Dennoch bist du in den vergangenen 16 Jahren ja nicht untergetaucht. Wie siehst du die Entwicklung in der Elektro-Szene?

Es hat sich seit damals natürlich viel verändert. Das ganze Business ist schneller geworden. Man hat heutzutage kaum noch Zeit, sich richtig mit der Musik auseinander zu setzen. Der Markt ist ständig hungrig. Man muss liefern, liefern, liefern. Das führt natürlich zwangsläufig dazu, dass die Qualität der Musik irgendwann auf der Strecke bleibt.

Du machst dir also Sorgen?

Ja, irgendwie schon. Andererseits habe ich das Gefühl, dass viele Bands und Künstler in den vergangenen Jahren einen Weg gefunden haben, der es ihnen trotz des stetig wachsenden Drucks ermöglicht, gute und langlebige Kunst zu veröffentlichen. Man muss sich halt ein dickes Fell zulegen. Das war damals während unserer Anfangstage natürlich auch so. Aber heutzutage wird schon mit anderen Bandagen gekämpft. Da bleibt vieles auf der Strecke.

Ein "Comeback-Album" ist ja nicht immer ein Garant für weitere Veröffentlichungen. Wie sieht es dahingehend bei dir aus?

Oh, wer weiß? Momentan ist der Kalender voll. Ich bin glücklich mit dem Album, und ich freue mich auch auf alle anstehenden Aufgaben. Wir werden sehen, ob ich in einem Jahr schon wieder die Faxen dicke habe (lacht). Wenn nicht ... hören wir in einem oder in zwei Jahren höchstwahrscheinlich noch einmal voneinander. Ich bin kein Planer, weißt du? Ich lasse die Dinge gerne auf mich zukommen. Das sollten viele andere Menschen auch mal versuchen. Das entspannt.

Nun, wer ganz oben ist, der hat gut reden.

Ganz oben?

Würdest du Leftfield nicht ganz nach oben auf die Liste setzen, wenn es um Elektro-Pionierarbeit geht?

Würde ich das? Keine Ahnung.

Keine Ahnung? Oder eher "Ich will mich hier nicht selbst beweihräuchern?"

Das sollen andere beurteilen. Sicher, wir haben viel auf den Weg gebracht. Das will ich gar nicht abstreiten. Aber Pionierarbeit? Das klingt so alt und grau, verstehst du? Und ich fühle mich nicht alt und grau.

Tatendrang und jugendlicher Esprit sind Garanten für langfristige Unternehmungen auf höchstem Niveau. Daher bohre ich da jetzt nicht weiter nach, denn das klingt mir nach einer durchaus vorstellbaren längeren Leftfield-Kreativphase.

Das habe ich nicht gesagt.

Doch. Irgendwie schon.

Ja, wahrscheinlich. Irgendwie schon. (lacht).

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