11. Juni 2017

"Deshalb kauf ich jetzt online ein"

Interview geführt von

Er hat 1,8 Millionen YouTube-Follower, bringt bei Autogrammstunden Einkaufscenter zum Kollaps und ist das, was man als "Influencer" bezeichnet.

Dass Lukas Rieger nicht unbedingt zur laut.de-Zielgruppe gehört (die "Influencer" für das englische Wort für Grippe hält und anstatt diesem Teufelszeug-MP3 und Streaming lieber Schellacks auf den Plattenteller legt und ihre Musikkassetten mit Bleistiften bearbeitet) ist schon klar – das Debütalbum des 18-Jährigen, "Compass", wurde hier auch mit nur einem von möglichen fünf Punkten nicht unbedingt abgefeiert.

Im Gegensatz zu anderen deutschen Künstlern, die uns wegen einem Verriss die Pest an den Hals wünschten und ganze Interviews zurückziehen wollten, nimmt Rieger die Sache aber ausgesprochen sportlich und lädt uns ganz ohne Argwohn trotzdem zum Gespräch nach Berlin ein. Dort erklärt er uns, wie das mit dem Social-Media so funktioniert, was es mit dem Buch "Der Lukas Rieger Code" auf sich hat und wie das mit der legendären Autogrammstunde wirklich war.

Freut mich, dass wir uns hier zum Gespräch treffen – auch wenn du auf laut.de nicht unbedingt gut weggekommen bist mit deinem Debütalbum. Wie gehst du mit schlechten Kritiken um?

Für mich ist das kein Problem. Plattenkritiken sind Teil des Geschäfts. Es gibt gute Kritiken und schlechte Kritiken – und damit muss man eben umgehen lernen.

Liest du Reviews über dich?

Auf jeden Fall. Es ist mir sogar sehr wichtig zu wissen, was die Leute über mich denken. Es ist okay, dass Leute sagen, dass sie das nicht mögen, dass es ihnen zu amerikanisch oder zu sehr nach Teenie-Pop klingt. Es gibt aber eben auch welche die sagen, okay, das ist genau das, was gefehlt hat. Mir ist es wichtig, alles zu lesen.

Gilt das auch für YouTube-Kommentare? Dort bist du ja sehr prominent – und wir wir wissen, sind YouTube-Kommentatoren nicht immer die glücklichsten, freundlichsten Menschen.

Wenn eine mutige Kritik geschrieben wird, die auch wirklich Feedback ist, lese ich mir das gerne durch. Wenn das nur Beleidigungen sind, bringt mir das nicht sehr viel für meine Musik. Aber ich sehe, dass sich jemand die Mühe gibt, einen kleinen Text zu schreiben und mir Feedback gibt, egal ob positiv oder negativ, dann lese ich mir das sehr gerne durch. Wenn ich alles aufnehme, kann ich auch viel umsetzen. Das hilft mir viel weiter.

Du hast also keinen Selbstschutz-Mechanismus, der dir sagt "Ich habe gerade eine neue Platte aufgenommen, es interessiert mich nicht, was Hinz und Kunz dazu sagen?"

Mich interessiert immer alles. Ich bin sehr aktiv, lese mir auch nachts noch sehr viele Sachen durch. Egal, ob ich gerade ein Album fertig habe oder ich an neuen Sachen sitze. Für das Gesamtpaket ist sehr wichtig, immer Bescheid zu wissen, was andere denken. Es steht bei mir ganz hoch oben, up to date zu sein, was andere über mich sagen.

Du veröffentlichst ein Buch, "Der Lukas Rieger Code". Dabei handelt es sich aber um keine Biographie, richtig?

Es hat biographische Teile, ist aber keine Biographie, weil ich glaube, dass ich mit 17 noch nicht in der Lage bin, eine klassische Biographie zu schreiben. Ich werde aber sehr viel erzählen, wie ich dazu gekommen bin, was ich mache, warum ich welche Social-Media-Plattform benutze und warum Social Media für mich so einen großen Stellenwert hat. Ich bin zwar schon ein Social-Media-Influencer, benutze es aber in erster Linie dafür, den Leuten meine Musik zu zeigen. Ich versuche es in diesem Buch genauer zu erklären, auch den Leuten, die mich immer noch als YouTuber sehen, als Instagram-Star. Deswegen schreibe ich dieses Buch: Um den Leuten einen anderen Eindruck von mir zu vermitteln.

Du hast bei "The Voice Kids" begonnen, bist dann dann über diverse Social-Media-Kanäle in gewissen Kreisen sehr bekannt geworden. Erklär diesen Werdegang mal.

Als ich bei "The Voice Kids" war, ging das mit Facebook los, da habe ich über Nacht circa 5.000 Likes bekommen. Das war für mich megakrass und sehr viel. Dann habe ich angefangen, auf Instagram zu posten. Damals kannte ich Instagram zwar, dachte aber, Facebook sei das Große. Auf Instagram bemerkte ich, dass ich pro Tag 1.000 Follower dazu bekam. Immer mehr und immer mehr. Auf einmal hatte ich 50.000 Follower. Ich dache mir, okay, das läuft so gut, das mache ich jetzt weiter. Ich habe mich dann mehr damit beschäftigt, habe sehr viel Zeit investiert in das Auswerten, wer warum am meisten Follower bekommt. Ich habe mir viel angeguckt und analysiert – und immer weiter gemacht. Jetzt bin ich bei 1,8 Millionen. Ich war einer der wenigen jungen Jungs, die aktiv waren. Damals gab es nicht so viele und die, die es gab, waren eher so 18 bis 20 Jahre alt. Darunter gab es nichts – und ich war da einer der Ersten.

Morgen Snapchat, mittags Instagram, abends Facebook Live

Am Anfang, nehme ich an, war alles ein Ein-Mann-Betrieb.

Ja, ich mache das Social-Media-Zeug immer noch alleine. Twitter, Instagram, Facebook, Snapchat, Music.ly. Es ist sehr viel Arbeit und man muss sich wirklich viel damit beschäftigen. Was poste ich wann, was schreibe ich dazu – das ist schon ein Job. Das erzähle ich auch im Buch.

Das ist ein ständiges Learning-By-Doing, die Spielregeln des Social Media ändern sich ja auch ständig, oder nicht?

Es ist ein laufender Prozess – es geht immer um neue Hypes. Aber ich denke, dass man grundlegende Sachen über die Jahre lernt – man weiß, wann man was machen muss, um das und das zu erreichen. Es ist ein Grundkonzept, das steht – und die verschiedenen Peaks, so was passiert im laufenden Prozess. Es ist aber auch schon sehr viel geregelt. So wie ein Stundenplan in der Schule: Ich poste morgens ein Snap auf Snapchat, Mittags ein Bild auf Instagram und Abends dann auf Instagram Live oder Facebook Live. Man hat schon eine Struktur, die man einhält.

Wie viel Prozent deiner Arbeit spielt sich im Social Media ab?

Ich mache gerade sehr viel Musik, deswegen würde ich jetzt so sagen 20 Prozent Social Media, 80 Prozent andere Sachen. Vielleicht eher so ein Viertel.

Das Album hast du in den USA aufgenommen. Erzähl mal.

Mein Manager hat eine Filmproduktion, Jetpack Films, die sehr viele Musikvideos machten – unter anderem für Robin Schulz, Cro und Johannes Oerding. Ganz viele deutsche Künstler. Dadurch kamen sie auch in die Werbebranche und machten eine große Werbung für Penny/Rewe. Das haben wir über den ganzen Dezember gedreht — und dafür mussten wir auch eine Post-Production machen. Dafür haben wir beschlossen, nach Los Angeles zu gehen – um das da zu schneiden. Ich wollte dort auch unbedingt hin, weil ich in L.A. jemand kenne, der Musik macht. Weil ich lange keine Musik machen konnte, weil ich durch diverse Komponenten nicht dazu kam, die Musik zu machen, die ich auch wirklich machen wollte, sagte ich zu meinem Manager, dass ich nach LA möchte. Dadurch sind wir mit dem Produzenten-Team von Chris Brown in Kontakt gekommen. Der Typ heißt Major, er hat ganz viel für Justin Bieber gemacht. Das war für mich toll, ich habe sehr zu ihm hochgeschaut und irgendwann fingen wir an, gemeinsam Musik zu machen. Wir haben beschlossen, nicht nur einen Song sondern ein ganzes Album zu machen – und wir haben uns immer mehr angefreundet.

Hast du auch mit geschrieben?

Wir haben alles gemeinsam geschrieben. Für das Aufnehmen des Albums hatten wir unser eigenen Studio in Deutschland, dafür ließen wir den Hauptproduzenten einfliegen.

Wann war zwischen The Voice, Social Media und L.A. der Punkt, wo das Ganze zum Business wurde?

Ich hatte jemanden, der mich in Österreich entdeckte und mich für ein Jahr managte. Ich fand das cool, das Ding war nur, er hat nicht die Möglichkeiten, wo ich hin möchte. Ich habe sehr viel gelernt in der Zeit. Ich wusste aber, dass ich da nicht richtig weiterkomme – deswegen habe ich überlegt, wie ich am besten den Schnitt ziehen konnte. Weil ich damals ein Musikvideo von Marian haben wollte, fragte ich bei ihm an und wir sind ins Gespräch gekommen. Er meinte, er möchte unbedingt mehr in die Musikwelt einsteigen – und dann beschlossen wir, gemeinsam das Projekt zu machen. Marian hat mich zu Carsten weitergeleitet – und das sind die beiden, die mich jetzt managen. Es ist cool, zwei Leute zu haben, die mir dabei helfen, meinen Weg zu gehen.

"Die Securities haben mich rausgezogen ..."

Eine Geschichte musst du mir erzählen – du hast ja bei einer Autogrammstunde ein Einkaufszentrum zum Einsturz gebracht, mehr oder weniger.

Das passierte schon mehrmals, aber in Ulm war es wirklich das am meisten außer Kontrolle. Es war ein ganz kurioser Tag. Wir waren in Stuttgart, Ulm ist da ja circa zwei Stunden entfernt. Ich hatte nichts gepostet – weil ich es vergessen hatte. Ich fragte meinen Manager noch "Oh Mann, glaubst du da kommen Leute?" Er meinte nur "Doch, das wird schon". Dann fuhren wir nach Ulm rein und an jeder Litfaßsäule und an jeder Ecke war ein Poster dieser Autogrammstunde. Ich komme im Einkaufszentrum an, hatte einen eigenen Raum, von dem aus ich sehen konnte, dass viele mit meinem Merchandise rumliefen. Es war sehr gut verteilt, weil es ein sehr großes Einkaufszentrum war. Ich habe ein Interview gegeben und bemerkte, dass viele Leute da waren. Als die Autogrammstunde begann, war es aber nicht mehr normal. Es waren circa 3.000 Mädchen da und das Center hatte drei Securities. Ich will keinem die Schuld dafür geben, aber wir hatten wirklich nichts damit zu tun. Ich habe begonnen Autogramme zu geben. 19 habe ich geschafft, danach haben mich die Securities rausgezogen und haben gesagt "Du musst JETZT gehen". Die Rolltreppe ist kaputt gegangen, die Scheibe ist geplatzt – ich habe da Videos davon. Da bekamen alle Panik, einfach weil alles zu eng war. Wir sind mit der Polizei rausgefahren worden. Es ist keinem etwas Böse passiert, aber es gab kleine Verletzungen, manche haben einen Splitter in den Fuß bekommen. Ich fand das wirklich schlimm, dass so etwas passieren konnte. Ich dachte, das wird eine ganz normale Autogrammstunde, paar Autogramme, paar Fotos. Ulm hatte ich aber nicht auf dem Zettel. Dass das so eskaliert ist – das war für mich als Person krass. Auch, wie viele Medien auf ein nicht so schönes Ereignis aufgesprungen sind.

Naja, schlechte PR war das aber nicht gerade.

Ja, als Businessperson Lukas Rieger war das ein großer Punkt – auch für's Album. Es war eine neue Erfahrung, dass so viele Medien über mich berichten.

Inwieweit beeinflusst deine Bekanntheit dein Privatleben? Gehst du auf die Straße und musst sofort 200 Selfies mit jungen Mädchen machen?

Ich bin eher an Stellen, wo nicht viele Menschen sind. Wenn wir essen gehen, tun wir das meistens abends – da laufen nicht so viele aus meiner Zielgruppe rum. Ich habe diese Schuhe vor zwei, drei Monaten in der "Mall of Berlin" gekauft. Ich bin rein gegangen und habe gesehen, dass mir zwei, drei Mädchen hinterher liefen. Als ich in den Snipes-Store weiterging, waren es zwei-, dreihundert Mädchen, die reinwollen. Die Security hat sie nicht rein gelassen. Da habe ich gesehen, dass ich nicht mehr so einfach Schuhe kaufen gehen kann. Und deswegen bestelle ich jetzt viel online (lacht)

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