5. Juni 2015

"Ich lass mich nicht mehr runterziehen"

Interview geführt von

Große Melodien und satte Gitarren: Nach dem Debütalbum "All I Was" schickt Mark Tremonti dieser Tage sein zweites Solo-Werk ("Cauterize") ins Rennen. Und ein drittes steht wohl auch schon in den Startlöchern.

Mark Tremonti zählt zweifelsfrei zu den besten Starkstrom-Gitarristen der Neuzeit. Sowohl mit Creed als auch unter dem Alter Bridge-Banner hat der Saitenhexer aus Detroit in den vergangenen zwei Jahrzehnten große Spuren im internationalen Sechssaiter-Zirkus hinterlassen. Seit nunmehr vier Jahren ist Mark Tremonti nebenbei auch noch solo unterwegs. Nach dem im Juli 2012 erschienenen Debütalbum "All I Was" kommt dieser Tage nun das zweite Studiowerk namens "Cauterize". Wir verabredeten uns mit dem Gitarristen, Songwriter und Sänger und sprachen über Selbstzweifel, musikalische Balance-Akte und Scott Stapp.

Hi Mark. Du hast in mehreren vergangen Interviews erwähnt, dass du vor der Veröffentlichung deines Solo-Debütalbums eine große innere Unruhe verspürt hast. Du seist nervöser gewesen als bei allen anderen Veröffentlichungen zuvor. Wie geht's dir heute?

Mark Tremonti: Oh, etwas besser. Aber nur etwas (lacht).

Wie kann es sein, dass dich eine Album-Veröffentlichung nach zwanzig Jahren im Business noch so aus der Bahn werfen kann?

Du kannst mir glauben: Wenn ich diese Unsicherheit abstellen könnte, würde ich es sofort tun. Aber es ist nun mal etwas anderes, ob man ein Album als Mitglied einer Band veröffentlicht oder komplett eigene Sachen an den Start bringt. Das sind zwei völlig verschieden Welten.

Hast du denn Hoffnung, dass du dahingehend irgendwann ein Gleichgewicht findest?

Daran arbeite ich. Und zwar Tag und Nacht (lacht). Weißt du, die meisten Leute da draußen nehmen mich als den harten Gitarrero wahr, der mit Bands wie Creed und Alter Bridge auf dicke Hose macht. Aber dahinter steckt ein Mensch mit vielen Selbstzweifeln.

Ehrliche Worte.

Nur so entwickelt man sich. Im Grunde genommen bin ich ja froh darüber, dass mir meine beiden Solo-Alben so am Herzen liegen. Dieses unsichere Getue nehme ich gerne in Kauf; denn das beweist mir, dass ich immer noch reflektiert bin. Das kann, glaube ich, nicht gerade jeder in diesem Business von sich behaupten.

Soll ich jetzt Namen nennen? Oder möchtest du zuerst?

(Lacht) Wir sollten lieber beide Stillschweigen bewahren, meinst du nicht?

Ja, vielleicht besser so.

Danke (lacht).

"Ich war berauscht von der großen Inszenierung"

Gerne. Um noch einmal auf deine Unsicherheit zurückzukommen: Geht es da primär um deine künstlerische Metamorphose vom Band-Gitarristen zum Frontmann?

Ja, im Wesentlichen schon. Ich hatte vor den "All I Was"-Aufnahmen keine Ahnung wie die Leute auf meine Stimme reagieren würden. Das war komplettes Neuland für mich. Ich wusste zwar, dass mein näheres Umfeld überzeugt war und komplett hinter mir stand. Aber all die Fans da draußen? Das ist nochmal ne andere Baustelle. Um so glücklicher war ich natürlich, als die ersten positiven Reaktionen ins Haus flatterten. Das gab mir viel Selbstvertrauen und bestärkte mich darin, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Ein gewisser Restzweifel ist aber geblieben. Mit dem neuen Album geht es aber schon besser.

Hast du auch mit dir selbst kämpfen müssen?

Ja, natürlich. Sorry, darauf spieltest du ja bereits an. Die Welt da draußen ist das eine. Aber den Schritt zu wagen über seinen eigenen Schatten zu springen, ist mindestens genauso schwer. Irgendwas in mir sagte mir aber, dass es an der Zeit sei. Und da ich noch nie ein Typ war, der vor Herausforderungen davonläuft, bin ich es einfach angegangen. Mittlerweile stehe ich auch voll und ganz dahinter. Ich denke, das hört man meinem Gesang auch an.

Lass uns über das neue Album sprechen; ein ziemlich heftiges Brett, wie ich finde. Gehst du das Songwriting für deine Solo-Sachen eigentlich anders an?

Vielleicht unbewusst. Wenn du in einer Band spielst, in der du zwar das meiste Songwriting übernimmst, am Ende aber noch drei andere Band-Mitglieder Ideen, Änderungen und Vorschläge mit einbringen, dann bleibt selten nicht mehr von deinen eigenen Vorstellungen übrig als das Gerüst. Versteh mich nicht falsch; das ist völlig ok. In der Regel bringt es einen Song auch nach vorne. Aber es ist irgendwie nicht mehr dein eigenes Baby. Da sind auch noch andere, die sich drum kümmern. Wenn du aber alleine arbeitest, bist auch nur du verantwortlich. Das ist ein großer Unterschied.

Weißt du, ich bin mit musikalischen Extremen groß geworden. Da war dieses ganze Metal-Zeugs, das mich total in den Bann zog. Metallica, Slayer, Judas Priest: All diese Bands machten aus mir einen Übungsweltmeister auf der Gitarre. Ich war aber auch ein Fan von großen Melodien. Das ganze 70s-Spektrum war meine große Liebe. Rod Stewart, Zeppelin, Kiss: Ich war berauscht von der großen Inszenierung. Das wollte ich dann auch immer miteinander verbinden: große Melodien und harte Gitarren. Das funktioniert innerhalb einer Band sehr gut, wenn alle an einem Strang ziehen. Ist man aber allein verantwortlich, ist es der Himmel auf Erden (lacht). Ich kann mich jetzt richtig austoben. Das ist großartig.

"Scott und ich haben schon lange keinen Draht mehr zueinander"

Trotz aller Euphorie hat das Album aber auch einen ziemlich düsteren Vibe, findest du nicht?

Ja, das stimmt. Es ist ein sehr persönliches Album. Und auch wenn es mir besser denn je geht, gibt es immer wieder Dinge, die mich nachdenklich stimmen. Das wirkt sich dann natürlich auch auf die Musik aus. Dennoch denke ich, dass ich ein gutes Gleichgewicht gefunden habe. Viel Licht, viel Schatten, verstehst du? So läuft das Leben nun mal.

Mir kam zu Ohren, dass du wesentlich mehr Songs aufgenommen hast. Kommt da noch ein Nachschlag?

Ja.

Oha!

Ich will nicht zu viel verraten.

Aber wenigstens doch ein bisschen, oder?

Hartnäckig?

Hartnäckig!

Ja, es wird ein zeitnahes zweites Album geben. Wann genau, kann ich aber noch nichts sagen. Wir werden sehen. Aber der Plan steht.

Du kannst nicht ohne Musik, oder?

Nein. Musik ist mein Leben.

Oh, ein Satz, den ich vor ein paar Jahren auch einmal aus dem Mund deines Ex-Kollegen Scott Stapp gehört habe. Dem geht's ja momentan nicht so gut. Hast du Kontakt zu ihm?

Nein.

Warum?

Nun, was viele Leute vielleicht nicht wissen, ist, dass Scott und ich eigentlich schon lange keinen Draht mehr zueinander haben. Das hat sich mit der Zeit einfach so entwickelt.

Einfach so?

Mich hat es immer genervt, dass er alles, was neben Creed stattfand, runtergezogen hat. Er hat nie begriffen, wie wichtig mir Alter Bridge war und ist. Aber ohne Alter Bridge hätte es wahrscheinlich nie eine Creed-Reunion gegeben. Diese Band hat mich wieder stark und selbstbewusst gemacht. Scott hat das nie verstanden.

Klingt ja nicht gerade nach einer möglichen Re-Reunion von Creed.

Im Moment verschwende ich definitiv keinen Gedanken daran. Warum auch? Ich habe mein Solo-Projekt und Alter Bridge, zwei absolute Herzensangelegenheiten. Ich habe keine Lust mehr, mich von negativen Vibes runterziehen zu lassen. Stell dir vor, du bist mit jemandem über Wochen 24 Stunden am Tag zusammen, mit dem du kein Wort wechselst. Wer braucht so etwas?

War es denn wirklich so schlimm?

Schweigen und Nichtbeachtung sind die Hölle. Aber, wie gesagt, ich bin da durch. Ich weiß zwar, dass man in diesem Business niemals nie sagen sollte. Aber glaube mir, in diesem Fall müsste schon ein Wunder geschehen.

Wunder sind überbewertet.

Nicht immer. Aber manchmal schon.

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