19. Juni 2012
"Justin Biebers Erfolg beruht auf seinem Aussehen"
Interview geführt von Deborah KatonaWenn Paul Smith einmal angefangen hat zu reden, gibt es kein Halten mehr. Ich treffe ihn und seinen Bandkollegen Duncan Lloyd zum Interview im Michelberger Hotel in Berlin. Sie sind gerade auf Promotour zu ihrem vierten Album "The National Health".Lange Zeit war es ruhig um Maximo Park. Die Band legte eine Pause ein, Smith veröffentlichte eine Soloplatte – deswegen heißt es nun also erzählen und erzählen und erzählen. Reisen von einem Ort zum nächsten und promoten, bis auch der letzte Journalist keine Frage mehr hat.
Von Langweile oder schlechter Stimmung kann trotzdem nicht die Rede sein. Die beiden Musiker sind nicht auf Kopf und Mund gefallen. Und so erzählen Smith und Llyod nicht nur vom neuen Album, sondern auch von Romantik, Intimität und Aggression. Wir lästern ein bisschen über Justin Bieber und Calvin Harris und die Berater von Rihanna. Und stellen fest, dass wir alle drei ein Schwäche für "Setlists-von-der-Bühne-klauen" haben.
"What happens when you lose everything? You just start again." - Was hattet ihr nach eurem Album "Quicken The Heart" verloren?
Paul Smith: Wir kamen an einen Punkt, an dem wir Stop sagen mussten. Auf der letzten Tour hatten wir jeden Tropfen Enthusiasmus und Energie gegeben, das Ende war eine große Erleichterung. Deswegen brauchten wir alle wohl ein wenig Zeit zu Hause anstatt in einem Tourbus.
Habt ihr Maximo Park in der Zwischenzeit vermisst?
Paul: Oh ja! Man vermisst die Shows und das Gefühl von Aufregung. Aber nach einer Pause fühlt man sich wie erneuert – nicht nur physisch, auch psychisch. Ich glaube, dass zu viele Musiker nur weiter machen, weil es von ihnen erwartet wird. Aber bevor es langweilig wird, sollte man aufhören.
War es anfangs überhaupt sicher, dass es noch ein viertes Album geben würde?
Paul: Nur wenn es gut genug wäre! Ich hatte ein viertes Album immer im Hinterkopf, aber zu dem Zeitpunkt ging es nicht. Nach dem Break schrieben wir Songs, bei denen wir uns nicht sicher waren. Wir setzten uns also zusammen und fragten uns, was so toll an Maximo Park ist. Was mussten wir tun, um gute Musik zu erschaffen? Die Songs, die nach dieser Unterhaltung entstanden, mochten wir sofort. Die Liebe war zurück!
Duncan Lloyd: Wir mussten erst wieder eine gemeinsame Ebene schaffen. Herausfinden, was der andere will und wieder zu einer Gemeinschaft werden. Danach wurde uns sehr schnell klar, dass wir das gewisse Etwas haben. Das gibt Sicherheit. Wir konnten dadurch auch "brutaler" zu einigen Songs werden: Wenn sie uns gefielen, aber nicht funktionierten und wir keine Lösung fanden, kamen sie in die Tonne.
In welchem Moment wurde euch klar: Maximo Park sind zurück!
Paul: Es gab dieses einschneidende Erlebnis, als wir "Reluctant Love" schrieben. Duncan gab mir den Song auf CD mit. Ich hörte ihn und dachte sofort: "Woah, ist das gut. Ich will unbedingt dazu singen." Einfach sollte der Text sein! Ich durchsuchte also mein Notizbuch nach den simpelsten Lyrics, die ich finden konnte und nahm ein sehr sanftes, ruhiges Demo davon auf. Wenn Maximo Park live spielen, sind wir immer sehr kräftig und voll. Ich wartete daher eigentlich nur auf ein: "Hm ... Also ich weiß nicht so recht..." Ich schreibe viel und vieles davon mag nicht richtig sein, aber dies Mal war ich mir so sicher, dass ich wahrscheinlich geantwortet hätte: "Du bist doch nicht ganz richtig im Kopf!"
Duncan: Es ist verrückt! Als ich den Song schrieb, wusste ich, dass Paul etwas Gutes daraus machen würde. Es war Instinkt.
Paul: Wir hatten schon einige Songs geschrieben, wussten aber nicht, was wir mit ihnen anstellen sollten. Wir probierten Neues aus und bewegten uns weg von Maximo Park. Denn wir hatten noch nicht realisiert, dass unsere Musik quasi einzigartig ist. Niemand hat die gleiche Kombination aus Romantik, Intimität und Aggression. Diese Melodien. Diese Komplexität und diese Einfachheit.
Ihr seid ziemlich stolz auf euch, oder?
Paul: Ja, absolut! Wir haben immer versucht, uns weiter zu entwickeln. Nach zehn Jahren Bandgeschichte muss man aber einen Weg finden, nach Maximo Park und trotzdem frisch zu klingen. Jetzt fühlt sich alles richtig an. Wenn man seine eigene Musik nicht mag, hat man echt ein Problem, oder?
"Rihanna erfüllt Klischees und Stereotypen. Das ist eine Frechheit."
Paul, 2009 hast du in einem Interview gesagt, dass du Maximo Park mit dem nächsten Album von Grund auf erneuern willst.Paul: Es ist eine Neuerfindung! Wir sind stärker, Maximo Park hoch 10. Nach dem dritten Album wollte ich etwas anderes machen und nahm deswegen mein eigenes, ruhigeres Album auf. Ich erinnere mich noch an einen Auftritt in Berlin als Support von Phoenix. Ich beobachtete das Publikum, sie alle tanzten und sangen zu dieser poppigen Musik. Da kam es mir: "Oh ja, so was hast du auch mal gemacht. Das kannst du doch auch." Von da an wollte ich unbedingt zurück zu Maximo Park. Ich wollte auch so etwas bei den Menschen auslösen, ihnen Freude, Aufregung und positive Energie schenken. Auch wenn auf "The National Health" düstere Themen behandelt werden, gibt es positive Songs, Liebeslieder mit optimistischer Grundstimmung. Jeder Song sollte für sich alleine stehen können und der Sound nicht einheitlich sein. Meiner Meinung nach haben wir damit ein sehr modernes Album erschaffen, denn es würdigt und erkennt die Tatsache, dass jeder gerne Unterschiedliches hört.
"Jeder" ist ein gutes Stichwort. Ihr seid zu einer Band geworden, die jeder zu mögen scheint. Mainstream, obwohl ihr gar keinen Mainstream macht. Habt ihr dafür eine Erklärung?
Paul: Wir lieben Popmusik, das ist wohl der gemeinsame Nenner von Maximo Park. Auch wenn wir Avantgardemusik mögen, können wir gemeinsam wohl eines am besten: eingängige Songs schreiben. Wenn man eine gewisse Sensibilität für Pop, für Strophen und Refrains hat, dann funktionieren deine Songs auch im Radio neben R'n'B. Sie besitzen trotz des unterschiedlichen Genres die gleiche Dynamik.
Duncan: Ich denke, unsere Songs wirken auf viele Menschen sehr melodisch. Wir schaffen es, mit unseren Texten und Melodien einen Draht zu ihnen aufzubauen. Das hatten wir aber nie unter Kontrolle! Wir haben schließlich nicht geplant, diese Art Popmusik zu machen, die kommerziell wird. Ziemlich freaky.
Paul: Ich würde sagen, wir boten eine Alternative und gaben den Leuten dennoch das gleiche: Melodien und Lyrics, die du unter der Dusche gerne singst und die dir etwas bedeuten. Aber natürlich entsteht vieles in der Musikindustrie nur, um Geld zu verdienen.
Ist doch scheiße, wenn sich Leute Künstler nennen, aber eigentlich nur einen vorgegebenen Text zu einer vorgegebenen Melodie singen und das Ganze dann noch am Computer um 100% aufgehübscht wird.
Duncan: Echt komisch. Ich meine, wer entscheidet, was im Radio gespielt wird? Im Musikbusiness treffen Leute Entscheidungen, bei denen du dich fragst, ob sie von Musik auch nur die leiseste Ahnung haben.
Paul: Nimm so junge Herzensbrecher wie beispielsweise Justin Bieber. Der Erfolg basiert auf seinem Aussehen. Es geht nicht um die Musik, sondern darum, ein Produkt zu verkaufen. Dieses Produkt nennt sich Jugend, gutes Aussehen. Das muss wohl so sein, weil sich das leicht vermarkten lässt. Schau dir die ganzen Magazincover an: Alter scheint nicht zu existieren. Jeder sieht gleich aus. Das ist eine Beleidigung für unseren Verstand! Das alles passiert unter dem Deckmantel der Musik – eine Schande. Aber trotz allem ist es nur Musik, wir arbeiten nicht für Amnesty International. Natürlich musst du deine Musik ernst nehmen, aber auch verstehen, dass Popmusik etwas oberflächlich ist.
Habt ihr derzeit einen Lieblings-Popsong?
Paul: Ich mag "We Found Love" von Rihanna, er erinnert mich an meine Heimatstadt. Calvin Harris hat diesen einen Keyboardriff ja eigentlich in jedem Song. Das ist ein bisschen billig, aber aus irgendeinem Grund funktioniert bei diesem Song alles. Natürlich baut der Erfolg wieder darauf auf, dass sie eine attraktive Frau ist, die nicht zu viel Stoff an sich hat und eine Art "Bad Girl" ist. Sie erfüllt Klischees und Stereotypen. Das finde ich eine Frechheit. Allerdings tut sie auch Dinge, die sie nicht tun sollte und bricht die Regeln der Industrie. Das macht sie für mich interessanter als andere, deren Namen ich mir nicht mal merken kann – so austauschbar sind die. Ich finde es gut, dass in einer von Männern dominierten Welt eine Frau an der Spitze der Popcharts steht. Aber ich habe auch das Gefühl, dass da Typen hinter ihr stehen, die ihr raten, das Kleid noch ein bisschen höher zu schieben. Ich wüsste zu gerne, ob sie das entscheidet oder ob sie doch nur ein Rädchen im Getriebe der Musikindustrie ist. Aber das alles ändert natürlich nichts an der eingängigen Melodie. Ich als Musiker finde das interessant: Warum mag ich bestimmte Musik und andere nicht?
Duncan: Verrückt, was die Gedanken mit einem anstellen. Warum will man manche Songs immer und immer wieder hören?
Schon mal daran gedacht, den Song zu covern?
Paul: Ja, aber Coldplay kam uns zuvor und jetzt mag ich nicht mehr.
"Ich habe früher Setlists von der Bühne geklaut."
Paul, du selbst hast deine Lyrics schon mal als "zu kitschig" bezeichnet.Paul: Haha. Na ja, ich bin definitiv romantisch und versuche, die Romantik im täglichen Leben zu finden. Ich sehe Romantik auch in trostlosen Dingen oder an Orten, die andere Leute als industriell und hart bezeichnen würden. Als Lyriker versuche ich, aus ganz Gewöhnlichem etwas Magisches zu erschaffen.
Und es scheint zu funktionieren. Eure unterschriebene CD ist bereits vor Veröffentlichung ausverkauft. Von welcher Person besäßt ihr gerne eine Unterschrift?
Paul: Hm, eigentlich von keiner. Das sind nur Objekte, die existieren. Ich habe als Kind Fußballkarten gesammelt und für die Unterschriften am Spielfeldrand gewartet. Ich hab die nun irgendwo im Haus meiner Eltern, sie bedeuten mir heute nicht mehr so viel.
Duncan: Ich erinnere mich daran, als ich Sonic Youth getroffen habe. Ich hab mir von allen ein Autogramm geben lassen – das war echt cool. Mit ihrer Musik bin ich aufgewachsen. Ich habe auch eine CD mit kleinen Zeichnungen von ihnen darauf, die bringen mich immer zum Lächeln. Ich weiß also, wie es sich anfühlt, ein Fan zu sein. Deswegen finde ich Autogramme eine ziemlich tolle Sache. Ich glaube, Jugendliche fühlen sich dem Idol dadurch verbunden. Klar, wundern wir uns manchmal, aber hey, ist ihr Ding.
Paul: Ich habe früher nach den Konzerten Setlists von der Bühne geklaut.
Kommt mir bekannt vor ...
Duncan: Ich hab sogar die von Debbie Harry von Blondie! Da ist sogar ein Fußabdruck drauf! Oh yeah!
Ich bin ein bisschen neidisch.
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