14. Oktober 2010

"Hipster-Rap? Wir machen 3D-Hip Hop!"

Interview geführt von

Wer steckt hinter der Fassade der multiinteressierten Rockstars? Eine Frageviertelstunde mit N.E.R.D über Funk, Frauen und Freiheit.N.E.R.D, das wird Lead-Vocalist Pharrell Williams nie müde zu unterstreichen, "is who we really are". The Neptunes, mit denen er und N.E.R.D-Kollege Chad Hugo für einige der erfolgreichsten Hip Hop- und R&B-Hits der Jahrtausendwende verantwortlich zeichnen, seien bloß Produzentenjob, während die Band dem wahren kreativen Ausdruck diene. Wurden N.E.R.D dafür Anfang der Nullerjahre noch als große Rock/Funk/Hip Hop-Fusionisten gefeiert, blieb die popkulturelle Zugkraft spätestens mit dem 08er Neuaufguss "Seeing Sounds" etwas auf der Strecke. Auch kommerziell bilden die Neptunes-Arbeiten bislang stets das Maß der Dinge.

Doch das ficht Pharrell Williams beim Prelistening zum neuen Album "Nothing" im Loft über Berlin-Mitte nicht an. Der 37-Jährige trägt an diesem Julitag ein cleanes weißes T-Shirt über verblassten Tätowierungen sowie Blue Jeans zum blauen Halstuch. iPod und Handy drapiert er auf dem Beistelltisch. Während die Tracks so durchlaufen, gibt er launige Hinweise und trällert emphatisch mit. Das Gospel-gestützte "God Blessed Us All" etwa handele von "Posititvity" und einem Freund, "der einen Fehler begangen und viel durchgemacht hat". Bei "Party People" spielt er Luftgitarre und lässt den Kopf kreisen. "'Nothing' hat stärkere 60s-Einflüsse als unsere älteren Sachen", erklärt Williams, mehr Doors für weniger Steely Dan. Darüber hinaus gibt es jedoch vor allem: viel bewährte Kost.

Chad Hugo hat es nicht zum Termin geschafft, stattdessen repräsentiert Drummer und Hintergrundsänger Shay Haley das zweite N.E.R.D-Drittel (Sängerin Rhea, 2009 Kurzzeitmitglied, war nur ein "Experiment", heißt es später). Im gesamten Verlauf des Prelistenings liegt Haley vollkommen ungerührt und schweigend neben Williams auf der Couch. Verpackt in brandneue Nikes, dunkle Sonnenbrille und Cap lässt er bis zum Ende kaum durchblicken, ob er überhaupt wach ist.

"Etwas, das eine Frau nachempfinden kann"

Ein ähnliches Bild ergibt sich im Anschluss beim Gespräch. Pharrell taucht erst mit fünf Minuten Verspätung auf, weil er erst noch "per iPhone ein Foto an jemanden verschicken" musste; Shay Haley fläzt sich unterdessen ungerührt auf der Couch, kratzt sich, trommelt auf dem Bauch herum und gähnt laut. Die Label-Betreuerin sorgt sich um sein Wohlergehen, sagt, dass der Interviewtag ja bald vorbei sei, woraufhin der mit einem lakonischen "I'm okay" abwinkt. "Bist du sehr müde? Es sah fast aus, als hättest du vorhin geschlafen", sekundiere ich. "Nein, ich habe konzentriert zugehört." So so, na gut.

Ich frage, ob sie etwas mit dem Begriff Hipster-Rap anfangen können, unter dem N.E.R.D oft mit Acts wie Andre 3000 oder Pop-Dandy Kanye West zusammengefasst werden. "Was ist denn Hipster-Rap? Wir machen 3D-Hip Hop", tut ein halbwacher Haley ahnungslos. Und ergänzt trotzdem, dass er Lupe Fiasco, West und Andre ziemlich "dope" und "revolutionary" findet. Wie ist es im Hipster-Rap um das Geschlechterrollenverständnis bestellt, möchte ich wissen. Schließlich sind gerade N.E.R.D bei allem Kritikerlob von Anfang an oft für flache, mitunter hypersexualisierte Lyrics kritisiert worden.

Haley weicht zunächst aus, darum frage ich konkreter: Wie viel "Her ass is a spaceship I want to ride" haben die einstigen Future-Pop-Propheten auf "Nothing" untergebracht? Pharrells Antwort: "Mit dieser Platte wollen wir immer noch mit Frauen connecten, aber auf eine andere Art. Wir wollen, dass die Frau sich sexy fühlt. Deswegen wollten wir etwas Echtes machen, etwas, das eine Frau richtig nachempfinden kann. Es ist besser, sexy zu sein und über greifbare Dinge zu reden, als über oberflächliche Sachen wie Häuser und Juwelen und zu hoffen, Frauen damit immer noch anzutörnen." Dass er nicht unbedingt zu den Kleinverdienern des Popgeschäfts zählt, muss ein Pharrell Williams beim Flirt eben schon lange nicht mehr betonen.

"Wir haben nach 'Seeing Sounds' anderthalb Jahre am Nachfolger gearbeitet", so Haley. "Wir mochten das Ergebnis, aber wir liebten es nicht. Es war nicht nah genug an dem, was in der heutigen Gesellschaft abgeht." Die heutige Gesellschaft? Gibt es jetzt also etwa politisch angehauchte Inhalte bei N.E.R.D? "No, not at all!", verneint Williams. "Dieses Album dreht sich ausschließlich um Freiheit. Die Freiheit zu denken, zu fühlen, zu sein ... und glücklich zu sein. Es gibt viel zu viele ernste Probleme da draußen."

Beim Thema Politik blickt Pharrell zurück auf die "In Search Of …"-Zeit. "Wir waren damals nicht wirklich interessiert. Shay, wer war eigentlich Präsident 2001? Bush?", muss der Grammy-Gewinner erst einmal überlegen. "Ich war jung und verstand nicht wirklich, wie Politik funktioniert." Man darf schlussfolgern: Sich nah am Puls der Gesellschaft zu verorten, heißt im N.E.R.D-Kontext, die eigene Musik nach wie vor als Ritual zum Frauen-Erobern zu begreifen. Während Politik und Freiheit hier paradoxerweise nicht verbunden scheinen.

Freiheit? Ein hübsches Wort

Was fällt ihnen denn zur Ölpest im Golf von Mexiko ein? "Yeah, das ist schrecklich", paraphrasiert Haley. "Solche Dinge passieren nicht ohne Grund." Das Unglück werde die Menschheit zusammenrücken lassen, prognostiziert derweil sein Kollege. "Solange es den 'Amerikanischen Traum' gibt, werden die großen Konzerne etwas zu verkaufen haben. Und solange die Konzerne etwas zu verkaufen haben, wird die Politik immer nach Öl riechen …", philosophiert Williams wie einer, der glaubt, gerade eine große Weisheit verkündet zu haben. "Aber wir sind ja selbst auch nie eindeutig auf etwas festgelegt. Jetzt gibt es diesen 60s-Einfluss im Sound, aber dass heißt nicht, dass wir jetzt Hippies sind und man uns in Zukunft nicht mehr mit dicken Autos durch die Gegend cruisen sieht. It's everything." Dann grinst er, greift wieder zum Handy und verabschiedet sich aus dem Gespräch.

Predigen sollen ruhig die anderen. N.E.R.Ds klarste Haltung bleibt die der spaßaffinen Funkhiprock-Gesellschaft, "live and let live", wie Williams betont, aber bitte nicht auf die Lyrics achten. Wenn er diffus von einer nicht näher definierten "Freedom" spricht und singt, dann vor allem, weil das Wort einfach ganz gut klingt. An Hippies war schließlich auch nicht alles uncool, so viel hat der US-Hip Hop-Mainstream nicht erst seit Hipster-Rap begriffen. Sieht nämlich einfach schön aus, wenn die drei Akteure im Clip zu "Hot-N-Fun" im buntbemalten Cadillac sitzen und an mit Peace-Symbolen behängten Mädchen vorbeifahren.

Progressiv und "Future-Pop" ist an diesem Ästhetizismus konzeptionell und musikalisch aber rein gar nichts mehr. "Wann erscheint unsere Platte in Deutschland?", ruft der Sänger am Ende laut in den Nebenraum. "Die Veröffentlichung ist mir gerade am allerwichtigsten. There's a lot of freedom coming up there. Eine Menge Mädchen werden eine gute Zeit haben … That's what we want." Na dann Prost.

Das Veröffentlichungsdatum von "Nothing" wurde unlängst von September auf Januar 2011 verlegt.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT N.E.R.D

Zwei plus eins macht ein Trio. Aus den Neptunes werden N.E.R.D. Die Produktionen für so ziemlich jeden R'n'B- und Hip Hop-Künstler jenseits des Atlantik …

Noch keine Kommentare