2000er: Mike Jones, Paul Wall & Slim Thug - "Still Tippin'"
Wir wechseln das Jahrzehnt und zugleich das Jahrtausend, und wenn in den Nullerjahren irgendetwas das Prädikat "hypnotisch" verdient hat, dann ja wohl der Streicherloop aus Mike Jones' Über-Hit "Still Tippin'". Produzent Salih Williams fand die Passage, die seine Aufmerksamkeit erregte, in der Ouvertüre zu Gioachino Rossinis "Wilhelm Tell", gespielt von - festhalten! - der Süddeutschen Philharmonie. Fünf Celli und zwei Kontrabässe sollen da einen aufziehenden Gewittersturm verklanglichen, schreibt Thomas Hobbs, der bei okayplayer im Gespräch mit seinem Urheber die Geschichte des "Still Tippin'"-Beats aufdröselt. "Es klingt aber eher nach einem Aristokraten aus dem 18. Jahrhundert, der gerade eine Existenzkrise durchlebt."
So oder so, fesselten Salih Williams die Eleganz und die Spannung. Wochen verwendete er darauf, das Cello in e-Moll selbst nachzuspielen, dann gab er auf: "Ich hab' es nicht besser hinbekommen als die Deutschen, also habe ich mit der Originalaufnahme herumexperimentiert, um die Streicher ein unheimlicheres, traumartiges Gefühl vermitteln zu lassen. Den Kick-Sound habe ich mit einem bisschen Klavier unterlegt, um ihn weirder klingen zu lassen. Wenn man Frequenzen und Instrumente kollidieren lässt, entsteht Magie."
Zudem war Williams wichtig, die in der ursprünglichen Fassung des Tracks im Mix versumpften Vocals von Slim Thug klarer herauszustellen, und er wollte unbedingt seinem 2000 verstorbenen Kollegen DJ Screw Respekt zollen: "Ich wollte den Bass langsamer haben, genau wie Screw es getan hätte, also haben wir das über die tiefen Frequenzen gemacht. Wenn du willst, dass ein Track wärmer klingt, musst du ihm mehr Tiefe geben. Als würde man den Song in eine Decke wickeln."
Das Resultat drang bald nicht mehr nur im Dirty South aus Autofenstern und Stripclub-Türen, sondern überall aus Radios und dem Musikfernsehen. Alle drei Rapper auf "Still Tippin'" hatten danach Major-Deals im Sack, Salih Williams einen Publishing-Vertrag als Hausproduzent bei Universal. Wo er allerdings nicht glücklich wurde: "Sie wollten nur immerzu ein neues 'Still Tippin'' von mir, und ich habe darüber meine Liebe zum Rap-Beats-Machen verloren. Wir sind Hit-Maker, wir rennen nicht alten Hits hinterher."
Auf "Still Tippin'" ist er aber mit jedem Recht der Welt noch immer stolz: "Die verdammten Streicher, Mann! Ich muss wohl ein bisschen Crack drübergestreut haben. Ich denke, deshalb verlangt der Beat nach all den Jahren noch immer deine Aufmerksamkeit." Und wie das aussieht, wenn jemand Crack über süddeutsche Philharmoniker*innen bröselt, gucken wir uns doch einfach mal an:
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