12: Tammi Terrell
Die kurze Lebensgeschichte der Tammi Terrell liest sich wie eine Aneinanderreihung tragischer Vorfälle: Mit elf Jahren von drei Männern vergewaltigt, stolperte die junge Sängerin in den Folgejahren von einer unerfreulichen Liaison in die nächste. Wieder und wieder geriet sie dabei an Kerle, die sie regelmäßig verdroschen - wie James Brown. Oder die sie erst nach Strich und Faden verarschten, ehe sie sie verdroschen - wie Temptations-Star David Ruffin, der Tammi einen Heiratsantrag machte. Dass sie irgendwann dahinter kam, dass er bereits Frau, drei Kinder und mindestens eine weitere Gespielin hatte, beendete die zerstörerische Beziehung noch nicht. Erst, als er ihr in fortwährenden Streitigkeiten mit Hammer, Machete und einem Motorradhelm zuleibe rückte. Das Liebesverhältnis mit Sam Cooke, das die Öffentlichkeit Tammi Terrell andichtete, hat es vermutlich nicht gegeben, so wenig wie ein Techtelmechtel mit Marvin Gaye: Diese zwei gebeutelten Existenzen hatten sich zwar gefunden und wundervolle Liebeslieder miteinander aufgenommen. Trotzdem sahen sie im jeweils anderen lediglich den Freund, den beider zerschrammte Seelen mehr als dringend brauchten.
Doch sogar diese tiefe Zuneigung, die sich zwischen ihnen entspann, lässt sich rückblickend noch als Fluch auslegen: Als Tammi Terell im März 1970 einem aggressiven Hirntumor erliegt, der sie zuvor bereits erst in den Rollstuhl, dann ins Koma befördert hatte, ist sie gerade einmal 24 Jahre alt. Überwältigt von seinem Verlust, weigert sich Marvin Gaye zwei Jahre lang, aufzutreten: "Ich konnte nicht schlafen, ich konnte nicht aufhören zu weinen. Drei-Minuten-Songs zu singen, in denen sich 'moon' auf 'June' reimt, interessierte mich einfach nicht." Erst der Entschluss, sich nicht mehr vor den Karren einer geistlosen Unterhaltungsindustrie spannen zu lassen, führte ihn zurück an die Arbeit. "What's Going On?" bescherte dem Soul eine Revolution, die wir demnach eigentlich Tammi Terrell zu verdanken haben. Der Frau, die in Gayes überlangem Schatten nahezu in Vergessenheit geraten ist.
Album-Tipp: Marvin Gaye & Tammi Terrell - "United"
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