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Gedanken, Pt. 2

Das aber nur am Rande. Kommen wir zum Wesentlichen: Wie können wir sicherstellen, dass sich wirklich etwas verändert? Wie erreichen wir, dass das alles mehr als ein Twitter-Hashtag für die nächsten zwei Wochen ist? Es ist ja nicht das erste Mal, dass wir im Deutschrap-Kosmos ein Sexismus-Problem angehen wollen. Ich erinnere mich an viele Lippenbekenntnisse und Stuhlkreise zu dem Thema, die am Ende auch nichts geändert haben. Gescheitert sind wir oft an der unkonkreten Ambition und dem guten Willen, der über konkreten Zielen und Schritten gelegen hat. Versuchen wir also doch einmal, aufzudröseln. Wir wollen, dass sich etwas verändert. Schön. Dann müssen wir drei grundlegende Fragen beantworten: Was wollen wir genau verändern? Wen betrifft das vorrangig? Und wie verändert man Dinge überhaupt?

Was soll sich ändern?

Ich schlage vor, zwei Hauptthesen aufzustellen. Die sind in meinen Augen zwar Seiten derselben Münze, aber auch nicht das gleiche:

a) Die Rechenschaft von Tätern. Wie jedes #MeToo-Movement, hat auch dieses das Ziel, Täter zur Verantwortung zu ziehen, die von Gerichten nicht belangt werden. Entweder, weil die zu voreingenommen sind, oder weil die Beweislage zu dünn ist. Wir müssen also ein Diskursfeld schaffen, das es potentiellen Opfern so leicht wie möglich macht, ihre Geschichten zu teilen und anzusprechen, was sie erfahren haben, ohne sofort Ächtung, Infragestellung und Zweifel zu erfahren.

b) Die Arbeit gegen Rape Culture in Deutschrap. Misogynie hat in Deutschrap eine Normalität erreicht, die nur abstumpfen lassen kann. Es wird Zeit, diese Stumpfheit zu verlernen und genuin gegen dieses Mindset vorzugehen, das es so normalisiert hat, Frauen als sexuelle Objekte und sonst nichts zu sehen. Sprich: Diese Denkmuster müssen geächtet werden, wie wir das N-Wort geächtet haben. Droppt jemand eine frauenverachtende Line, dann muss man darauf reagieren, wie man auf jede andere grobe Uncoolheit reagiert: mit Fremdscham, Augenrollen, Kritik und Weggehen. Nur so trifft es Künstler langfristig in den Finanzen.

Wer soll sich ändern?

Konkretisieren wir also kurz, über wen wir eigentlich sprechen. Bleiben wir hierfür in den Unterteilungen von a) und b)

a) Zum Rechenschafts-Aspekt: Denkt nicht einmal daran, zu glauben, es gehe hier nur um Straßenrapper. Wir sind alle chauvnistisch und patriarchal aufgewachsen, und die Spuren davon, wenn auch verschieden stark, haften uns allen irgendwo im Unterbewusstsein an. Heißt: Ein Rapper, der feministische Seminare besucht, sehr lieb wirkt und über seine Weiblichkeit und Unsicherheiten rappt, kann im Privatleben genauso grenzüberschreitend agieren wie ein Typ, der nur von Koks und Bitches rappt. Tappt auf keinen Fall in die Falle, "believe victims" nach Ermessen, ergo nach Sympathie anzuwenden.

b) Wenn es um Rape Culture geht, dann sprechen wir aber offensichtlich vor allem über Straßenrap. Diese Bubble gehört nämlich Mitgliedern sozial schwacher Gruppen, die ihre Marginalisierung mit einer "Fickt-euch-alle"-Mentalität beantworten. Man darf auch nicht vergessen, dass das ein grundsätzlich emanzipatorischer Aspekt ist, der aber auch Raum öffnet, patriarchale Denke im geschlossenen Raum voll ausleben zu können. Warum machen so viele Straßenrapper misogynen Ich-ficke-deine-Mutter-Rap? Einfach, weil das linear zu anerzogenen Frauenbildern funktioniert und sie gleichzeitig von den Gruppen abgrenzt, von denen sie wissen, dass es sie provoziert. Das funktioniert essentiell wie bei deutschen Konservativen, die auch wunderbar über Themen bonden können, von denen sie wissen, dass ihre Gegner sie komplett zum Kotzen finden.

Wie ändert man Dinge?

a) "Believe Victims" ist leicht gesagt, wenn man essentiell erst einmal keine Macht in den Händen hält. Rechtstaatlichkeit und die Unschuldsvermutung sind hohe zivilisatorische Güter, die hier aber völlig nutzlos sind. Zwei Dinge könnte man aber trotzdem zum Positiven ändern: Man kann ein gutes Klima des Vorwurfs schaffen - sprich, man kann Klägerinnen den Rücken stärken, ohne deswegen direkt den Beschuldigten vorzuverurteilen. Ein Klima, das Frauen schützt und Täter in die Pflicht nimmt, sich zu äußern, könnte graduell mehr Vorwürfe, Zeugen und Indizien auf den Plan bringen, mögliche Konsequenzen fördern und auch gerichtliches Vorgehen erleichtern. Zum anderen schürt es den zweiten Punkt: Es gewöhnt an den Gedanken, dass Taten auf den Tisch kommen. Die Angst vor Fehlurteilen mag groß bleiben. Aber wie schön wäre es, wenn einfach so viel mehr Täter unter Erklärungszwang geraten würden? Wenn sich Leute überlegen, ob sie an diesem Punkt stehen möchten? Ein großes Problem in einer Rape Culture ist, dass sich Täter unverwundbar fühlen. Öffentliche Callouts mögen sie nicht verknasten, zeigen aber, dass nicht unsichtbar bleibt, was sie tun.

b) Die Frage, wie man den Frauenhass aus den Deutschrap-Nischen kriegt, die ihn zelebrieren, ist eine schwierigere. Das Problem ist eben, dass Ankläger dessen in dieser Sparte erst einmal unter Generalverdacht stehen, gar nicht dazu zu gehören. Nach dem Motto: "Du denkst, Fler sei Frauenfeind? Du raffst doch Fler nicht mal." Oft muss man Kritikern - auch aus der Rapszene - das auch vorwerfen: Sobald sie dieses Thema anreißen, passiert ein krasser Code Switch in Richtung akademischen Diskurses. Auch Backspin oder hiphop.de sprechen dann sofort wie straight vom Gender-Studies-Seminar. Das mag inhaltlich und analytisch Sinn ergeben, sendet aber eine klare Botschaft: Jetzt richtet man sich nicht an die Straßenrap-Fans, die diesen Sprachmodus wahrscheinlich als eher alienarting empfinden, sondern jetzt spricht linke Bubble mit linker Bubble. Aber die kann a) ihre eigenen Sexismus-Probleme oft schon kaum richtig lösen und gehört b) überhaupt nicht zur Hörerschaft der Rapper, über die eigentlich geredet wird.

Deswegen nervt es mich persönlich auch, wenn wir so tun, als ginge es gerade nicht um Straßenrap, und holen dann Danger Dan oder Sookee als Deutschrap-Vertreter heran, als habe deren Zielgruppe irgendeine Schnittmenge mit denen, die wir eigentlich kritisieren wollen. Wenn Leute dann vorschlagen, man solle doch lieber Tua oder Waving The Guns hören ... Die Fans der Rapper, die die kritisierte Denke teilen, werden das vermutlich nicht. Und das ist okay. Es ist eine Community, die guten Grund hat, nach einer langen, klassistischen Geschichte Deutschlands genervt auf Bevormundung zu reagieren. Dafür müssen aber ihre eigenen Plattformen anfangen, kritischer zu werden.

Rapmedien müssen in den kleinen Texten zu neuen Gzuz-Songs oder zu neuen Fler-Alben direkt und in normaler Sprache kritisieren, wenn sie frauenfeindlichen Müll rappen. Influencer und YouTuber dürfen nicht einfach ungefiltert Sexismus abfeiern. Nur so entsteht wirklich eine graswurzelbewegte Änderung in der Mentalität, die sonst auch einfach über Bildung entstehen würde. Hätten wir ein Bildungssystem, das nichts gegen arme und migrantische Deutsche hätte, wäre das natürlich auch nett. Und wenn Labels dann nicht auch noch bekannte Frauenhasser und Frauenschläger signten, wäre das der letzte Schritt.

All das wird ein müshames Bohren dicker Bretter, das man wirklich durchziehen möchte. Es wäre schön, wenn wir diesmal nicht nur ein Zeichen-Setzen-und-dann-zurück-zum Tagesgeschäft beobachten könnten.

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