Louis und die Rapper
Gleiches kann man von der neuesten Folge der Louis Theraux-Doku-Reihe "Forbidden America" nicht unbedingt behaupten. In der zweiten Episode reist der Brite nach Florida, um dort die boomende örtliche Rapszene und ihre in den letzten Jahren zunehmend ausartend brutalen Rivalitäten etwas besser zu verstehen. Er spricht mit lokalen Underground-Koryphären Miamis, mit Soundcloud-Rappern, die die Zeit vergaß, und mit Newcomern auf der Überholspur wie etwa Hotboii und Foogiano.
Die Dokumentation zeigt Louis vollkommen außerhalb seines Elements. Das Amüsement der Rapper, die ihn inmitten der von Waffengewalt geplagten Suburbs als außerirdische Entität wahrnehmen, ist nicht gespielt. Wenn er sie wieder und wieder unverblümt auf ihre über den Haufen geschossen Freunde anspricht oder fragt, ob sie keine Angst davor haben, der nächste zu sein, antworten sie mit Verwirrung oder weichen aus. So sehr der Journalist auch versucht, eine Connection herzustellen, der einstündigen Dokumentation gelingt es nicht wirklich, allzu gehaltvolle Aussagen aus den interviewten Rappern herauszukitzeln. Ein wirklicher Erkenntnisgewinn bleibt aus.
Dennoch legt die Doku erneut Zeugnis von der erschütternden Realität dieser Szene ab. Niemand redet explizit darüber, aber wenn ein Rapper ein Musikvideo, in dem er mit Dutzenden Waffen hantiert, auf der Beerdigung seines erschossenen Freundes dreht und nicht versteht, wieso Theroux das befremdlich findet, oder wenn Theroux 9lokkNine inerviewt, der für den versuchten Mord an der Familie eines verfeindeten Rappers vor Gericht steht und in Anwesenheit seines Anwalts allen ernstes lachend behauptet, er würde in seinen Songs über Wachsmalstifte rappen, dann fängt die Musik ganz schnell an, ihren Reiz zu verlieren.
Wieder und wieder fragt man sich, ob der Realitätsbezug der 'factual pain music', wie sie der Rapper Ratchet Roach bezeichnet, diese Musik nicht eigentlich ungenießbar machen müsste. Aber am Ende sind ja wir es, die in unseren privilegierten Eigenheimen am Bildschirm kleben, wenn ein Rapper in seinen Videos mit Waffen flext, und Texte über erschossene Jugendliche mitrappen, die die Performativität und Öffentlichkeit dieser Rivalitäten noch weiter begünstigen. Rap ist nicht alleine dafür verantwortlich, dass in Florida jährliche Tausende Kinder andere Kinder erschießen, aber jede Diss-Line, jedes Gangsign im Video gießt Öl in dieses unlöschbare Feuer, und je mehr Leute dabei zusehen, desto heller brennt es.
In einer Szene filmt die Kamera ein paar spielende Kinder, höchstens 14, die mit ihren Fingern auf die Crew schießen und einen Text mitrappen, der kaltblütigen Mord glorifiziert. Man wäre fast geneigt, das als harmlos abzuwinken, wenn man nicht wüsste, dass die Chancen gut stehen, dass diese Kinder in zehn Jahren wegen eines Songs wie diesem selbst unter der Erde liegen.
Solange dieser Teufelskreis sich selbst überlassen bleibt, scheint ein Ausbruch daraus so gut wie unmöglich. Selbst eine Musikkarriere verhilft den Rappern letzten Endes nur zu Geld, das sie wiederum zu einer lukrativeren Zielscheibe macht. "They're killing rappers", sagt Foogiano, der seit seinem zwölften Lebensjahr zehn Jahre hinter Gittern verbrachte. Auch Theroux trifft ihn im Knast, wo er gerade eine weitere Haftstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes absitzt. Er gehe nirgends hin, ohne sich verteidigen zu können. "Who?" fragt Theroux. "The streets", antwortet er.
Wer die Dokumentation in voller Länge sehen möchte, kann dies auf der Homepage der BBC tun. Allerdings ist ein VPN dafür erforderlich, da sich das Video hinter einem Region-Lock versteckt.
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