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Harte Zeiten für Schweizer Rapper

Deutschrap beeinflusst die Rechtsprechung in der Schweiz: Auf den ersten Blick klingt das relativ absurd. Dafür sprechen aber die Überlegungen, die Andreas Maurer in der Aargauer Zeitung bezüglich der Frage "Wie beleidigend darf ein Rap-Song sein?" anstellt.

Am Beispiel des Rappers Ensy zeigt der Autor auf, dass schweizerische Richter heute anders (und wesentlich strenger) urteilen als noch vor einigen Jahren. Ensy veröffentlichte 2015 den Track "Scheiss Uf Euch", in dem er recht unverblümt zu Gewalt gegen Vertreter der nationalkonservativen, rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei aufrief.

2016 verurteilte ihn das Basler Strafgericht wegen öffentlicher Anstiftung zur Gewalt. Das von Ensy angerufene Appelationsgericht kassierte das Urteil 2018 allerdings wieder und begründete den in zweiter Instanz erfolgten Freispruch des Rappers mit der Freiheit der Kunst.

Das liegt alles schon eine Weile zurück und wäre eigentlich, genau wie der inzwischen in der Versenkung verschwundene Ensy, kaum der Rede wert, enthielte die unlängst veröffentlichte schriftliche Urteilsbegründung nicht einige interessante Passagen. Die Richter schrieben darin, dass ein Rapper heute mit dem gleichen Song sehr wohl mit einer Verurteilung rechnen müsste. Erfolgreiche Rapper aus dem Nachbarland - also aus Deutschland - haben demnach Schweizer Juristenkreise zum Umdenken gebracht.

"Als der Rapper seinen 'Scheiss'-Song 2015 auf YouTube lud, fand gemäß dem Gericht in der Schweiz noch keine Debatte über die Grenzen von Rap-Songs statt", schreibt die Aargauer Zeitung dazu. "Inzwischen sei das Thema aber via Deutschland hier angekommen." Der Eklat um den Echo und ein Prozess, in dem sich Bushido wegen fragwürdiger Zeilen gegen Grünen-Politikerin Claudia Roth verantworten musste, haben - obwohl es in keinem der Fälle zu einer Verurteilung kam - dafür gesorgt, ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, das es zuvor nicht gegeben habe. Würde ein Rapper heute einen vergleichbaren Song wie einst Ensy ins Internet stellen, könne er nicht mehr behaupten, er sei sich über dessen mögliche Wirkung nicht im Klaren gewesen.

Bei näherer Betrachtung kommt es einem fast noch paradoxer vor: Deutsche Rapper, die in Deutschland nicht verurteilt werden, bewirken indirekt, dass schweizerische Rapper in der Schweiz künftig verurteilt werden. Die ersten, die den neuen harten Kurs zu spüren bekommen könnten, könnten Vertreter aus dem Dunstkreis der Berner Chaostruppe sein. In diesem Fall prüft derzeit das Bundesgericht, ob ihr (wieder gegen eine SVP-Politikerin gerichteter) Song "Natalie Rikkli" von 2014 neben Beschimpfung und übler Nachrede (dafür wurden die Rapper bereits verknackt) zusätzlich den Straftatbestand der sexuellen Belästigung erfüllt.

Die Chaostruppe wehrte sich übrigens schon 2017 energisch dagegen, dass die Boulevardpresse sie zu Sexisten stempelte: "Diese Behauptung ist hinsichtlich unseres künstlerischen Schaffens ohnehin absurd, da wir uns bekanntlich gegen jegliche Form von Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Herkunft oder ihrer Hautfarbe positionieren. Noch fast absurder und sehr bezeichnend ist die ironische Tatsache, dass die Medien in ihrer Berichterstattung systematisch ausgeklammert haben, dass eine der beschuldigten Personen eine Frau ist. Dies hätte offensichtlich nicht in deren Narrativ des bösen, männlichen, rappenden Sexualstraftäters gepasst und das Zielpublikum der Boulevardpresse möglicherweise unnötig verwirrt. (...) Einmal mehr wird durch die ganze Geschichte klar, wie Auslassungen und Verdrehungen durch die Medien falsche Vorstellungen in den Köpfen der Menschen erzeugen können." Das komplette Statement der Berner Crew zum Thema lest ihr hier.

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