Oktober In Europa
Wenn wir schon in der Lefti-Rap-Ecke stehen, dann gucken wir doch gleich auch noch einmal auf das hier:
Die Antilopen haben einen Song über den 7. Oktober, den Nahostkonflikt und über Antisemitismus in der linken Szene gemacht. Über reduzierte Produktion sammeln sie Eindrücke, Bilder und Takes zum Thema. Greta Thunberg hasst Juden, die Hamas versteckt sich hinter Zivilisten in Gaza, die Antifa demonstriert nicht gegen Judenhass. Bevor wir inhaltlich darauf eingehen: Ich bin grundsätzlich eingeschüchtert, weil es einer von diesen Bombshell-Antilopen-Essay-Songs ist, die für nichts gebaut sind, als dafür, den Diskurs anzuheizen. Es steht quasi in einer Reihe mit "Fick Die Uni", "Beate Zschäpe Hört U2", "Nazis Rein" oder "Das Ist Alles Von Der Kunstfreiheit Gedeckt". Hinter dem andächtigen Sound steckt eine ziemlich aggressive Polemik. Man könnte sagen, Bait, um Leute mit starken Gegenpositionen aus der Reserve zu locken und eventuell zu entlarven.
Ich habe zu diesem Song Gedanken in zwei Richtungen. Erst einmal: Ich finde so ziemlich alles, das die Antilopen hier sagen, grundsätzlich richtig. Gleichzeitig ist es, wie so oft bei diskursiven Stücken zu diesem Thema, ein unglaublich mienenfeldiges Kuddelmuddel: Was wird gesagt? Was steht im Windschatten des Gesagten? Wer könnte was wie interpretieren? Leute, die diesen Song richtig scheiße finden, empfinden ihn natürlich sofort als eine Art Eins-zu-eins-Rückendeckung für Netanyahus militärisches Vorgehen in Gaza. Gleichzeitig muss man um schon um die Ecke lesen, um das in diesem Text zu sehen, der zunächst grundsätzlich vor allem sagt: "Antisemitismus ist scheiße."
Viele Lines sind Treffer: Olaf Scholz, der sich mit Staaten trifft, die die Hamas mitfinanzieren. Greta Thunberg, die schon vor dem israelischen Gegenangriff unempathisch und platt, teils gehässig Positionen von wenig ambivalenten Accounts geteilt hat, die definitiv als antisemitisch zu bezeichnen sind. Das große Ausbleiben von Solidarität mit Jüdinnen und Juden in Deutschland (oder generell). Das ist das Entlarvende daran: Es ist quasi eine Mausefalle für alle, die keine pro-jüdische Aussage stehen lassen können, ohne sie in irgendeiner Form relativieren zu müssen, weil, wegen, hier, Israel.
Die einzige Line, die man auf Israels Militäreinsatz beziehen kann, ist die hier: "Zivilisten in Gaza sind Schutzschild der Hamas / Schutzschild der Nachfahr'n der Juden-Vergaser / Schutzschild der sonst immer so Mutigen / 'Blabla, nie wieder Blabla'-auf-Instagram-Sager." Aber auch hier braucht es ein bisschen Fantasie, um daraus etwas zu konstruieren, das politische Werbung für Netanyahu machen würde.
Das ist wohl, was ich an "Oktober In Europa" definitiv gut und klug finde: Es zeichnet ein bisschen den Zusammenhang zwischen Antizionismus und Antisemitismus nach, weil die erwartbare Reaktion demonstriert, dass man sich nicht mit Juden in Deutschland solidarisieren kann, ohne das Leute mit irgendwelchen postkolonialen Takes dagegenhalten müssen, egal, wie sehr es um etwas ganz anderes geht.
Das ist essentiell derselbe Mechanismus, der dann dafür sorgt, das Leute attackiert werden, weil sie Kippa oder Davidstern tragen. Derselbe Reflex, der selbst bei Themen wie "Brandanschlag auf Synagoge" oder "jüdischer Student in Berlin verkloppt" dafür sorgt, dass erst einmal darüber gejammert wird, das man ja nicht gleich alle Israelkritik antisemitisch nennen dürfe. Was stimmt. Aber was hat das damit zu tun?
Noch keine Kommentare