Seite 12 von 15

Platz 4: "Chaos", 1993

Die Welt ist im Wandel: So wie die Bundespolitik mit etwaigen Einheitsnachbeben zu kämpfen hat, so ist auch Grönemeyers neuntes Studioalbum ein Übergangswerk – und wohl genau darum eines seiner besten. Drei Jahre zuvor brach "Luxus" die Interpretationsgrenze zwischen politischem und persönlichem Größenwahn auf, nun lässt sich auch das "Chaos" nahezu durchgehend in beiden Kontexten lesen. Schenkt man der Sekundärliteratur Glauben, so dürfte Anna Henkel-Grönemeyer irgendwann zwischen diesen beiden Alben ihre Krebsdiagnose erhalten haben – publik macht die Familie das damals nicht, aber dennoch: Die Unruhe, die Veränderung, das "Chaos" dringt aus allen Poren.

Nicht nur im Titeltrack kämpt Grönemeyer wie wild gegen den Absturz, auch die bis heute gespielten Tracks "Fisch Im Netz" und "Land Unter" beschwören ungestüme Zeiten herauf: "Rette mich durch den Sturm / Bring mich zum Ende / Lass mich nicht wieder los" sind da nur zwei bitter(süß)e Beispiele. Unverkennbar politisch auszulegen ist natürlich Track Nummer zwei: Die Eindrücke der rechtsextremen Ausschreitungen in Hoyerswerda und Lichtenhagen bringen damals eine Vielzahl künstlerischer Antworten hervor.

Doch Herbert will die seinige wohl noch einmal extra deutlich interpunktieren – und ein größeres Ausrufezeichen als eine lupenreine 202-BPM-Ska-Umsetzung kann man sich als poprockverwöhnter Gröni-Fan doch eigentlich kaum vorstellen. "Hart im Hirn, weich in der Birne / Ohne Halt, einfältig und klein / Auf der Suche nach einem Führer / Es ist hart, allein beschränkt zu sein" – so schonungslos sich Herbert hier übrigens abreagiert, so konstruktiv ist später seine aktive Unterstützung für Jugendeinrichtungen in Ostdeutschland.

"Chaos" ist ein wunderbar aufgeregtes Album, dessen A-Seite allein jeden Kaufgedanken rechtfertigt. Statt wie auf vielen anderen Platten ins Generische abzudriften, platziert Herbert hier auf der B-Seite mit "Kein Verlust" noch eine gelungen resignierte Ballade sowie das zynische "Die Welle" (Arbeitstitel: "Kanzler") und das siebenminütige "Grönland" – ein elektronisches, behäbig plätscherndes Mantra, das einen Vorausblick aufs nächste Studioalbum gewährt. Davor erscheint jedoch noch die "Cosmic Chaos"-Remix-EP, unter anderem "veredelt" von Alex Christensen. Und ja: Das war wirklich Herberts eigene Idee.

Gold:

"Die Härte"

Weitere Anspieltipps:

"Land Unter", "Fisch Im Netz", "Chaos", "Grönland"

Kaufen?

"Chaos"*

Wenn du über diesen Link etwas bei amazon.de bestellst, unterstützt du laut.de mit ein paar Cent. Dankeschön!

Seite 12 von 15

Weiterlesen

2 Kommentare