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"Die Stunde der wahren Empfindung" vs. "La Bella Vista"

Das Buch: Peter Handke - "Die Stunde der wahren Empfindung"
Das Album: Harold Budd - "La Bella Vista"

Warum passt es?

Nebenplot: Ich habe vor ziemlich genau einem Jahr das erste Mal Peter Handke in die Hand genommen, um eine chinesische Germanistik-Doktorandin zu beeindrucken, die ich gerade kennengelernt hatte. Genau eine Woche darauf saß ich mit dem Taschenbuch in der Berliner U-Bahn, als mich eine alte Freundin brüskiert aufklärte, dass man Handke heute nicht mehr liest. Mein Verhältnis zu dem Mann ist also verwirrt, ich will auch nicht kommentieren, wie mein politisches Verhältnis zu ihm aussieht oder ob ich eine chinesische Masterarbeit über ihn wirklich verstanden hätte. Alles, das ich sagen kann: Der Mann ist ein ziemlich kluger Motherfucker mit diesen Wörtern. Sowohl die "Stunde der wahren Empfindung" als auch das "Zweite Schwert" sind detailverliebte Charakterstudien, in denen ein Erzähler sich Schritt für Schritt durch das in ihm hin und her wiegende Seelenleben moderiert. Es beeindruckt, wie akribisch er jede kleine Regung des Selbstwertes und der Überforderung gegen diese maximal belanglosen Pappkulissen von Städten und Alltäglichkeiten projiziert. "La Bella Vista" von Harold Budd fängt diese Welt perfekt ein, nicht nur weil es eines der wunderschönsten Klavier-Alben aller Zeiten ist, sondern weil es ein ähnliches Gefühl von minimalem Spotlight auslöst. Die Farbe von Text und Musik ist die Farbe von beschlagener Scheibe vor grauem Himmel, und trotzdem beleuchtet genau ein Lichtstrahl diese eine, egale Person, der wir aus unerklärlichen Gründen folgen.

Leseprobe:

Wenn Keuschnig aus dem Busfenster blickte, wimmelte es wie von durchsichtigen Pockennarben, und als er die Augen zudrückte und wieder aufmachte, waren es noch mehr. Beim Aussteigen nahm er sich vor, erst einmal stehenzubleiben und geduldig zum Beispiel den Himmel anzuschauen. Er stand dann gefühllos da. "C'est normal", sagte zufällig jemand, der vorbeiging. Ja, alles war elendig normal. Ein ländlicher Wallfahrtsort fiel ihm ein, der Maria Elend hieß.

Er verhielt sich so unverfänglich wie möglich: kaufte zum ersten Mal Blumen für die Freundin. Ein Beobachter würde aufhören, ihn auffällig zu finden, wenn er ihn in dieses Blumengeschäft treten sähe. Er war nur einer unter vielen, beschäftigt mit Alltäglichem, so sorglos, dass er Blumen kaufte. Er nahm sich vor, pedantisch zu sein. Im kühlen Blumengeschäft, als jemand, der sich Gladiolen einwickeln ließ, fühlte er sich so geborgen, dass er der Verkäuferin helfen wollte, die Schleife zu binden. Auch die Umgebung und der Geruch des Wassers, die Wasserlachen überall, taten ihm gut. Die schöne langwierige Sorgfalt, mit der die Gladiolen nebeneinander auf das Papier gelegt wurden! Früher hätte er auf die Frage, ob die Blumen als Geschenk eingepackt werden sollten, sich sofort mit der einfachen Verpackung begnügt; heute schaute er beteiligt zu, wie die Verkäuferin die Nadeln durch das Papier steckte. Dass sie während ihrer ganzen Tätigkeit, vom Beschneiden der Stengel, dem Entfernen der welken Blütenblätter bis zum Überreichen des Straußes keine Bewegung zu viel machte, war jetzt schön. Er fühlte sich in dem Laden wie untergestellt. Er konnte lächeln, wenn ihn dabei auch die Lippen spannten, und sie lächelte auch. Gerade diese nur geschäftsmäßige Freundlichkeit erschien ihm als eine menschenwürdge Behandlung, und sie rührte ihn.

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