Seite 9 von 14

Helge Schneider vs. kulturelle Aneignung

Helge Schneider interessiert kulturelle Aneignung einen Scheißdreck, wirbelte es letzte Woche durch sämtliche Medien. Nicht zuletzt dank eines Tweets des Maischberger-Teams, in deren TV-Sendung der Mülheimer diesen Satz ja auch original so sagte. Was mich an der ganzen Geschichte sofort genervt hat, war aber schon die Tatsache, dass ein etwa einminütiger Interviewausschnitt eines 15-Minuten-Gesprächs zum Skandal hochgejazzt wird, weil alleine das Wort "Scheißdreck" kurz darauf auf Twitter trendete und sich wieder locker 80 Prozent an Leuten zum Thema äußern, die weder das ganze Maischberger-Interview gesehen haben, noch wissen, wer Helge Schneider ist. The ugly face of Social Media, man kennt es.

In aller Kürze: Schneider ist Humorist, Musik-Nerd und Vollblutmusiker, für den Kunst über allem steht, was jeder weiß, der schon einmal zugegen war, wenn er Zuschauer des Saales verwiesen hat, weil sie "Katzeklo" grölten. In der Pandemie brach er ein Strandkorb-Konzert in Augsburg nach einer halben Stunde sopntan mit den Worten ab: "Ich muss sagen, das geht mir ziemlich auf den Sack. Ich habe keine Lust mehr. Das macht wirklich keinen Spaß. Man kriegt keinerlei Kontakt zum Publikum, hier laufen auch andauernd Leute rum. Bitte habt Verständnis dafür – ich als Künstler kann unter diesen Umständen überhaupt nichts mehr machen".

Im Eifer des Gefechts neigt der Mannn also zu klarer Wortwahl. Daher empfand ich es als eher wenig verwunderlich, wie er sich zum Punkt kulturelle Aneignung äußerte - selbst wenn dieses Thema in der Musik auch gerade im Bezug auf den neuen Peter Fox-Song aufkam. Man sollte schon denken, dass man als prominenter Musiker, zumal weißer Hautfarbe, sich angesichts beständig gesellschaftlicher Diskussionen um dieses Thema zumindest mal seine Gedanken gemacht hat. Diesen Eindruck macht Helge nicht. Elegant kommt er in der brisanten Sache sicher nicht rüber, wenn er bemerkt, dass "in unserer modernen Welt" viele "Regeln erfunden" würden, und am Ende niemand so richtig weiß, "was man noch machen" darf. Zielgenauer kann man der Anti-Woke-Bewegung kaum in die Karten spielen, und der teilweise eklige Kommentarspalten-Tenor, dass hier endlich wieder einer ausspreche, dass eine Minderheit der Mehrheit etwas verbieten oder gar wegnehmen wolle, war vorgegeben. Dabei ging es Schneider wohl eher darum, die Faszination der Musik als sich ständig veränderte, von Durchmischung lebende Kunstform zu preisen, die ein für alle Teilnehmer*innen wohlig empfundenes, respektvolles Miteinander kreieren kann. Schließlich war Kultur schon immer Aneignung. Eine Sensibilisierung für Differenzen, die heute nunmal gerade weiße Menschen aufbringen sollten, ließ Helge bei Maischberger leider nicht erkennen, was ihm einigen Ärger erspart hätte.

Seite 9 von 14

Weiterlesen

Noch keine Kommentare