Romandebüt "Worauf du dich verlassen kannst"
Dem Albumdebüt folgte nämlich schon vor zwei Monaten das Kate Tempest-Romandebüt "Worauf du dich verlassen kannst" (Rowohlt, 400 Seiten, 14,99 Euro), das als eines der Musikbücher des Jahres ganz vorne einsortiert werden muss. Selbst wenn man das genannte Album nicht kennt, zieht es einen sofort in den Strudel der Story. Alle anderen finden die einzelnen Protagonisten aus "Everybody Down" wieder, das 2014 schon als musikalischer Selbstversuch einer hochbegabten Literatin bezeichnet wurde (auf dem Maifeld Derby gab Tempest vor einigen Wochen eine Lesung).
Tempest beschreibt das Leben von Tänzerin Becky, die von einem eigenen Ensemble träumt, sich im Alltag aber mit schlecht bezahlten Jobs als Musikvideo-Komparsin über Wasser hält. Auf einer Party begegnet sie Harry, die sich im Duo mit Sandkastenkumpel Leon in der anonymen Londoner Oberschicht dank Koks-Deals einen angenehmen Lebensstandard verdient – auf Platte war Harry noch ein Mann. Auch wieder dabei: Pete, Bruder von Harry, ebenfalls unglücklich, da sein Studium auf dem Stellenmarkt nichts wert ist und er im besten Fall Aushilfsjobs ergattert, die seine Mutter unentwegt zu Vorwürfen herausfordern und ihn selbst deprimieren.
Der Grundton der Erzählung ist folglich ein melancholischer: Tempest legt dar, wie Menschen in unseren turbokapitalistischen Zeiten auf der Strecke bleiben, dass nicht jeder, der es nach oben schafft, zwingend etwas geleistet haben muss, wie auch umgekehrt eben nicht jeder Verlierer selbst die Schuld trägt. Ihre Figuren verwebt sie in temporeicher Diktion, was schon der Romanbeginn andeutet, in dem Harry, Leon und Becky mit einem Koffer voll Geld vor Pete und diversen anderen Gestalten aus der Stadt flüchten.
Ein Gangster-Road-Movie in Buchform von der Poetry Slammerin: Die brillante Erzählstruktur und Tempests wortgewandte Formulierungen verblüffen selbst in der Übersetzung ein ums andere Mal. Musikalische Referenzen dürfen natürlich nicht fehlen. Das erste Kapitel mit der Flucht endet etwa so: "Die Straßen werden breiter, die Häuser größer, weniger Imbisse, mehr Gastro-Pubs. Die Stadt lockert ihren Griff. Sie fahren auf die Autobahn. Im Radio singt Billy Bragg 'A New England'".
Wichtig: Keinesfalls versehentlich das falsche Buch bestellen!
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