16. März 2018

"Es war beängstigend, ein Majorlabel zu verlassen"

Interview geführt von

Beim Majorlabel auf dem Abstellgleis? Darauf hatte Nina Nesbitt keine Lust und sagte Lebewohl, um ihre Träume auf anderem Wege zu verwirklichen. Wir trafen die 23-Jährige in Berlin.

Karrieretechnisch ging es für Nina Nesbitt recht schnell nach oben. Im Alter von 15 Jahren lud sie YouTube-Videos von sich hoch, kurz darauf war sie mit Ed Sheeran auf Tour, mit dem sie auch liiert war. Mit ihrem ersten Album "Peroxide" ging's dann auch stante pede auf Platz 11 der britischen Charts – allerdings gerieten die Dinge im Anschluss etwas ins Stocken.

Das zweite Album ließ auf sich warten, ihre Plattenfirma Island Records stellte die heute 23-Jährige nämlich auf's Wartegleis. Nesbitt entschloss sich, beim Major zu kündigen und es auf unabhängigem Wege zu versuchen. Auch der Stil änderte sich etwas – zu hören auf den ersten drei Singles von Nesbitts kommenden Longplayer. Die neueste: Der Song "Somebody Special". Wir trafen die Schottin zum Gespräch in Berlin.

Du hast Island Records verlassen und bist jetzt bei einem Indie-Label. Was hat sich dadurch für dich am meisten verändert?

Nina Nesbitt: Ich war ein Jahr lang ohne Plattenvertrag. Es war ziemlich beängstigend, ein Majorlabel zu verlassen. Ich war vier Jahr lang bei Island Records, den Großteil meines Künstlerlebens. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Bei einem Independent-Label hast du einfach mehr Freiheiten. Bei einem Major nehmen sie viele Künstler unter Vertrag, die dir ähnlich sind. Wenn du da nicht in den Release-Kalender passt, dann musst du eben Sachen ändern.

Es ist eben Geschäft, das ist schon in Ordnung. Ich bin zudem niemand, dem man einfach irgendwelche Songs gibt, die ich dann singe. Das Songwriting liegt mir am Herzen, persönliche Sachen, auch der visuelle Aspekt. Bei einem Indie habe ich die Chance, mich um all das zu kümmern. Es hat sich also alles zum Guten gewendet. Ich kann jetzt beispielsweise nach Deutschland kommen und mir hier ein Label suchen, das auch wirklich mit mir arbeiten möchte. Man hat einfach mehr Optionen, passionierte Leute mit an Bord zu holen. Man kann sich in allen Belangen aussuchen, mit wem man arbeiten möchte. Alles in allem besteht für mich bis auf den kreativen Prozess jetzt nicht so der Riesenunterschied.

Du fühlst also nicht mehr Verantwortung?

Nein, nicht wirklich. Ich muss auch nicht mehr arbeiten, ich habe einfach mehr Optionen. Ich komme mit Songs und Visuals und kann sagen: "So soll es werden".

Nicht nur dein Geschäftsleben, auch dein Stil hat sich verändert. Wann wurde dir bewusst, dass du in eine neue Richtung gehen möchtest?

Ich habe die erste Platte gemacht und wollte dann ein poppigeres Album machen. Dann ging seitens des Majorlabels aber zwei Jahre gar nichts. In dieser Zeit schrieb ich ein ganzes Album, das nie veröffentlicht wurde. Danach trennte ich mich vom der Plattenfirma. Ich begann für andere Leute zu schreiben, arbeitete mit Jessie Ware, mit einer Countryband und einigen DJs. Durch diese Kooperationen konnte ich herausfinden, worin ich gut war, denn ich sah, worin die anderen gut oder vielleicht besser sind. Danach wusste ich, dass für mich dieses Storytelling-Ding funktioniert, reduzierte Musik und die Falsetto-Range. Ich komme höher rauf als viele, mit denen ich gearbeitet habe. Das war für mich einzigartig – ob es gut war, sollte sich erst herausstellen, aber zumindest mal einzigartig.

Die Arbeit mit anderen Leuten gab dir also einen anderen Blick auf dein eigenes Werk?

Ja, zu hundert Prozent. Das erste Album, "Peroxide" dreht sich vor allem um die Lyrics. Ich machte mir über Melodien keine Gedanken. Es ging nur darum, die Lyrics in einen Song zu pressen. Bei der Arbeit mit anderen Leuten realisierte ich aber, dass sich jeder zuerst um die Melodie kümmert. Da dachte ich "Okay, vielleicht sollte ich mal beginnen, ernsthaft darüber nachzudenken." Die Melodie ist schließlich das Wichtigste am Song. Ich habe viel daran gearbeitet – jetzt komme ich auf die Chords, die ich mag, finde eine Melodie dazu und erst dann kommen die Texte. Das ist für mich eine neue Arbeitsweise. Und ich schreibe immer auf dieselbe Art und Weise, egal ob der Song für mich oder für jemand anderen ist.

"Schlechte Kritiken belasten mich lange"

Auf welchem Instrument komponierst du?

Ich schreibe gerne am Klavier. Wenn ich auf der Gitarre komponiere klingt das immer wie das, was ich vorher gemacht habe, nach Folk-Musik. Klavier ist irgendwie inspirierender. Ich arbeite aber auch mit Samples: "The Moments I'm Missing", das erste der neuen Stücke, das erschienen ist, baut auf Samples auf. Ich habe das Sample verändert, Geschwindigkeit und Tonhöhe, es geschnitten, dann einen Drumbeat dazu programmiert. Das gab mir eine ganz neue Freiheit.

Was war der erste neue Song, der fertig war?

Das Stück heißt "Sacred", es ist auch der erste Song auf dem Album. Er handelt von der Zeit, als ich Labels wechselte und alles irgendwie eigenartig war. Es geht darum, dass man mehr will, etwas wahrhaftigeres. "Sacred" ist allerdings wohl eher so etwas wie ein Intro. Danach kam "Moments", das war dann der erste richtige Song.

Diese Warteposition, in der du dich befunden hast: Das ist doch der Albtraum jedes Künstlers.

Ja. Ich wusste ja nicht mal, dass ich in einer Warteposition war. Ich habe laufend Songs eingeschickt, aber es hieß immer: "Schick noch was, das ist noch nicht das, was wir suchen". Es fühlte sich so an, als wäre keiner meiner Songs gut genug. Es ist aber alles gut ausgegangen, no hard feelings. Es hat mich sicherlich dazu gebracht, eine bessere Songwriterin zu werden.

Du hast jetzt drei Singles veröffentlicht. Wann kommt das Album?

Es kommt Ende Mai, Anfang Juni. Es ist kein Konzeptalbum, aber auch keine reine Songsammlung. Es erzählt eine Geschichte, von Anfang bis Ende. Es geht um persönliches Wachstum. Es wirkt zu Beginn manchmal düster, aber dann kommt ein Wendepunkt. Ich bin wirklich stolz auf das Album.

Wie wird es denn heißen?

Ich hab es noch nicht angekündigt. Sobald man den Namen sagt, ist das Mysterium weg. Der Name des Albums ist ein Mantra – man liest den Namen und fühlt sich dann hoffentlich gut.

Liest du Kritiken über deine Musik?

Ich hab früher immer Reviews zugeschickt bekommen, auch aus Blogs. Es waren einige tolle dabei, aber manche waren einfach nur gemein. Das ist ja prinzipiell okay, jeder darf seine eigene Meinung haben. Aber mir spukt das dann tagelang im Kopf herum, deswegen habe ich meinem Manager gesagt, dass ich das nicht mehr lesen will. Es belastet mich.

Deine Musik ist immer noch sehr textorientiert. Sitzt du lange an den Texten und änderst sie immer wieder, oder geht das bei dir schnell und intuitiv?

Nein, es kommt eher so raus aus mir. Ich schreibe ein paar Wochen durch und mache dann lange gar nichts. Keine Ahnung, wie es in mein Gehirn kommt (lacht). Wahrscheinlich bei Gesprächen mit Freunden.

"Ich hatte nach Ed Sheeran drei Boyfriends"

Wann wurde dir klar, dass du Musikerin werden willst?

Ich glaube, ich war 16. Ich war nie die beste Sängerin und dachte, ich hätte ohnehin keine Chance. Dann habe ich Videos auf YouTube gestellt, weil ich wissen wollte, ob die Leute finden, dass ich singen kann. So wuchs eine kleine Fanbase heran und alles begann sich zu entwickeln.

Die harte Schule der YouTube-Kommentare!

(lacht) Ja, das stimmt.

Dann bist du mit Ed Sheeran getourt. Welche Erfahrung war das?

Nun, davor habe ich vor zehn Leuten in Pubs gespielt. Die größte Menschenmenge, vor der ich bis dahin stand, waren 200 Leute auf meiner Highschool. Und plötzlich spielt man in diesen Riesenhallen. Ich war wirklich nervös. Es gibt in England einen bekannten DJ, Example, der mich auf seine Arena-Tour mitgenommen hat. Da stand ich mit meiner Akustikgitarre und meinen vier Akkorden und habe gezittert (lacht). Er wusste nicht, dass ich damals solche Gigs gar nicht kannte. Es war beängstigend, aber manchmal muss man eben aus seiner Komfortzone raus, wenn man wachsen will.

Ed Sheeran ist natürlich ein Riesenname. Nervt dich das, wenn dich Leute immer wieder mit Sheeran, der ja dein Ex-Freund ist, in Verbindung bringen?

Nun ja, die Leute interessiert es anscheinend. Mich nervt es gar nicht, wenn die Leute über Musik reden wollen, aber wenn es um andere Dinge geht ... Weil ich eine Frau bin, werde ich als seine Ex betitelt. Das ist jetzt halt schon sechs oder sieben Jahre her. Ich hatte seitdem drei Boyfriends, habe ein Album aufgenommen, bin um die Welt getourt. Und so will man mich festnageln? Aber die Welt funktioniert scheinbar so, es geht um Clickbait. Ich denke, man sollte Menschen nicht dadurch kategorisieren, mit wem sie vor sieben Jahren gegangen sind.

Dein erstes Album ging ja in Großbritannien gleich in die Top 15.

Ja, auf Platz 11, nur 13 verkaufte Einheiten von der Top 10 weg. Ich bin aber immer noch ziemlich glücklich. Nur manchmal denke ich: 'Mann, gerade mal 13 Stück haben mich von den Top 10 abgehalten!' (lacht)

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