9. September 2022
"Wir waren nah dran, die Band zu zerstören"
Interview geführt von Manuel BergerParkway Drive finalisierten ihr siebtes Album "Darker Still" mit dem Gedanken, es könne ihr letztes Werk sein. Schuld daran war nicht nur die durch die Covid-19-Pandemie unsichere Zukunftslage für tourende Bands, sondern auch wachsende Probleme innerhalb des Quintetts aus Byron Bay, Australien. Wie und warum sie nun einen Restart wagen, erzählt Sänger Winston McCall im Interview. Parallel zum Albumrelease starten Parkway Drive in Deutschland ihre erste Konzertreise seit drei Jahren.
Als die Pandemie einsetzte, befanden sich Parkway Drive gerade am vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere. Ein Sommer voller Festival-Headline-Shows lag hinter ihnen, darunter eine beim bekanntesten Metalevent der Welt. Weltweit kam ihr Film "Viva The Underdogs" ins Kino, inklusive einer Rückschau auf die Hits der vergangenen Jahre. Die Arbeit, die die Australier seit ihrer Genesis 2003 in die Band gesteckt hatten, hatte sich ausgezahlt.
Doch in fast 20 Jahren Existenz hatten sich intern auch einige ungelöste Probleme angestaut. Im Frühjahr 2022 sagt die Band überraschend eine lang geplante Tour ab, nur wenige Wochen bevor es losgehen sollte. Es gebe Dinge aufzuarbeiten, hieß es im zugehörigen Statement. Man habe eine Grenze erreicht. Auch wir spekulierten daraufhin über ein mögliches Ende der Band. Tatsächlich schrammten Parkway Drive offenbar knapp daran vorbei. Während der Arbeiten zu ihrem siebten Album wären sie fast zerbrochen, erklärt Sänger Winston McCall nun im Interview. Unbewusst flossen die zugehörigen Themen bereits mit in "Darker Still" ein – dem bislang musikalisch zugänglichsten, textlich aber wahrscheinlich düstersten Album in Parkway Drives Karriere.
Winston, seit das vorangegangene Album "Reverence" 2018 erschienen ist, habt ihr eure bisher größten Shows gespielt, Festivals geheadlinet und "Viva The Underdogs" weltweit in die Kinos gebracht. Wie habt ihr euch während dieser Zeit als Band weiterentwickelt?
Winston McCall: Es ist viel Zeit vergangen zwischen "Reverence" und jetzt. Eine Menge ist passiert. Vor Covid haben wir als Band den wahrscheinlich größten Schritt unserer Karriere gemacht. Das Publikum für unsere Musik wuchs. Das hatte natürlich Auswirkungen. Und Covid war ebenfalls ein großer Einschnitt. Nach "Reverence" spielten wir die größten Shows, die wir je gemacht hatten, die Band war größer denn je. 17 Jahre lang hatten wir unablässig daran gearbeitet und wollten eine Pause einlegen. Dann schlug Covid zu und plötzlich ging gar nichts mehr. Wir dachten wirklich, dass vielleicht nichts mehr davon zurückkommen würde. Es hätte das Ende der Welt sein können. Musik wurde als erstes runtergefahren und wird als letztes wieder zurückkommen – in Australien, aber auch überall sonst in der Welt. Soweit wir damals wussten, hätte es zehn Jahre dauern können; die Band wäre am Ende gewesen. Als wir wieder anfingen zu schreiben, war deshalb die größten Fragen für uns: "Warum?" und "Wofür machen wir Musik?" Schließlich hätte das das Letzte sein können, was wir jemals machen. Die Musikindustrie wird vielleicht nie mehr so existieren, wie wir sie kannten. Sollte dem so sein: Was wollen wir schaffen? Also dachten wir uns: Okay, fuck it. Eigentlich ist alles genauso, aber eben auch sehr anders.
Gab es definierende Momente hinter den Kulissen, die euch an den Ort gebracht haben, wo ihr heute steht?
Covid war für uns geradezu eine Situation des Druckabfalls. Du bist nicht wieder raus auf Tour gefahren, also schreibst du, was immer du schreiben möchtest. Aber je länger es andauerte, desto größer waren die Auswirkungen auf die einzelnen Bandmitglieder – und jeder hatte mit anderen zu kämpfen. Für einige von uns war es eine harte Periode und wir trieben uns beim Schreiben des Albums gegenseitig in den Wahnsinn. Als es dann Zeit wurde, das Material aufzunehmen, war es echt hart. Wir konnten Australien nicht verlassen und mussten unsere Produzenten einfliegen. Sie saßen erstmal zwei Wochen lang in einem Hotelzimmer. Das war wie ein Gefängnis für sie. Dann blieben sie vier Monate lang im Land, und wir versuchten während des Lockdowns alles hinzukriegen. Der Druck auf alle Beteiligten nahm zu ... es war echt verdammt angespannt, Mann. Wir luden so viel Druck auf uns selbst, dass wir nahe dran waren, die Band zu zerstören – so nah waren wir noch nie. Mit diesem Album und allem drumherum hätten wir beinahe die Zerreißgrenze nach 20 Jahren Pushen überschritten. Als wir am Ziel waren, wussten wir: "Das Ergebnis ist großartig, aber wir müssen ein paar Angelegenheiten regeln." Deshalb haben wir eine Pause eingelegt und eine Tour abgesagt.
Darauf wollte ich hinaus. Anfang des Jahres habt ihr recht kurzfristig eine gebuchte US-Tour abgesagt. Der Grund dafür war also, dass die Band kurz vor der Auflösung stand?
Ja, genau deswegen. Fast 20 Jahre lang haben wir größtenteils auf dieselbe Art und Weise gearbeitet wie ganz am Anfang. Aber inzwischen ist einfach alles riesengroß. Es gibt einfach so vieles, womit wir uns nie auseinandergesetzt haben, und Druck, über den wir nie miteinander gesprochen haben. Es galt einfach: "Go, go, go, go!". Covid gab uns eine neue Perspektive darauf und als wir am Ende des Albumprozesses standen, erkannten wir, dass wir uns in keinem guten Zustand befanden. Wir fingen an uns gegenseitig zu fragen, wie es uns geht. "Ich bin ziemlich im Arsch." – "Ja, ich ebenso." – "Ich fühle mich nicht gut. So sollte das nicht sein."
Schließlich war die Wahl, die wir hatten: Entweder wir canceln eine Tour oder wir touren niemals wieder, weil die Band explodiert. Es war echt verdammt knapp. Wir hatten noch drei Wochen Zeit bis zur Tour und fragten uns, ob es klug ist, das durchzuziehen. Da haben wir zum ersten Mal richtig miteinander gesprochen. Wir suchten uns Beratung und Mediation. Wir entschieden uns, wieder enger zusammenzukommen. Wir standen uns zwar nahe im Hinblick auf die Ziele mit der Band, aber es war an der Zeit, Mental-Health-Work zu betreiben. Wir konnten das nicht vorhersagen, es passierte einfach. Es ist scheiße, die Leute mit einer abgesagten Tour zu enttäuschen, aber zugleich war sich mindestens die Hälfte der Band nicht sicher, ob sie das alles weiter machen wollte. Es war einfach zu viel. Wir alle wollen das. Also steckten wir eine Menge Arbeit rein, mehr über uns zu lernen, über Kommunikation und über Mental Health. Deswegen kann das nächste Kapitel der Band existieren. Wir befinden uns als Band jetzt in einem besseren Zustand als je zuvor. Das ist echt großartig. Wir haben gelernt, dass man Dinge nicht einfach so überwindet und dann ist es vorbei. Es ist eine kontinuierliche Reise. Wir haben nun Kommunikationswege eingerichtet, um weiterzuwachsen, statt im Status Quo zu verharren. Die Band bedeutet konstantes Wachstum. Es geht aufwärts und abwärts und wechselt die Richtungen – im Hinblick darauf, was wir kreieren möchten und wie wir miteinander kommunizieren. Wie wir uns als Menschen weiterentwickeln muss ebenfalls konstant sein. Momentan sind wir als Band zwar in einem besseren zustand als je zuvor, aber wir setzen auch die Arbeit daran fort. Und das ist eine gute Sache.
"Du bekommst im Leben niemals eine zweite Chance."
Beschäftigt ihr euch auch auf dem Album mit dieser Angelegenheit?
Jedes Album reflektiert textlich meinen mentalen Zustand zur jeweiligen Zeit. Und ich denke klanglich kommt es auch dadurch rüber, wie Jeff seine Gitarrenparts schreibt. Es kommt von innen und wir alle setzen es dann zusammen. Das Albumkonzept basiert auf der Idee der 'dunklen Nacht der Seele' (der Term entstammt ursprünglich einem Gedicht des Karmeliters Johannes vom Kreuz und wird teils auch Metapher für Depression oder depressive Phasen benutzt; A.d.R.). Ich fühle, dass ich diese durchlaufen habe und zu einem gewissen Grad noch immer durchlaufe. Gewahr wurde ich mir dessen vor ein paar Jahren, als wir anfingen, das Album zu schreiben. Das Album ist eine Reise. Es beginnt mit einer Warnung, stürzt dann von der Kloppe in die Tiefen des Geistes und kommt am Ende mit ein einer veränderten Perspektive wieder raus. Nach allem was passiert ist, haben die Songs leicht andere Bedeutung angenommen. Wir stellten das Album fertig und fingen dann an, uns mit dem eben Erzählten auseinanderzusetzen. Es war alles schon da, als wir das Album schrieben, aber wir erkannten es noch nicht so richtig. Tief im Innern wusste ich wahrscheinlich schon, dass diese Probleme existierten. Sie bahnten sich ihren Weg einfach weiter als ich jemals gedacht hätte. Inzwischen blicke ich anders auf das Album.
Erklär doch bitte ein bisschen was zum Konzept der 'dunklen Nacht der Seele'.
Die dunkle Nacht der Seele ist ein Ereignis oder etwas, das in deinem Leben passiert, das dichbis ins Mark erschüttert – in deinem Wertesystem, deinem Sinn dafür, wo du im Universum stehst, in deiner Welt, in deiner Wahrnehmung. Du musst alles neu bewerten und eine Reise durchlaufen, um alles wieder aufzubauen, weil deine Wahrheit nicht länger existiert. Ich fand mich vor einigen Jahren in diesem Zustand wieder und arbeite seitdem daran, mich anzupassen.
Interessant ist, dass Covid Ähnliches für die ganze Welt bedeutete. Alles, was du kanntest, ist jetzt völlig anders. Aber so ist es eben. Man geht durch verschiedene Stadien: Die Warnzeichen, das Ausschlagen, die Wut, die Trauer, die Reise selbst – bis hin zum Trotz am Ende. Der letzte Song trägt eine trotzige Note in sich. Es wird eine Menge Menschen in deinem Leben geben, in deren Augen du nie eine gute Person sein wirst – egal, wie gut du bist oder wie sehr du dich anstrengst, eine zu sein; sie werden dich immer als etwas Böses ansehen. Es ist erstickend, damit umzugehen, gerade wenn es um Menschen geht, die dir nahe stehen. Das kann dich zerschlagen, denn uns wird immer gesagt, man soll sich vernetzen. Als gut gesehen werden, lässt einen sich auch gut fühlen. Sich selbst in einer Abwärtsspirale wiederzufinden ist hart. Es ist hart, die Teile dessen, was du dachtest du sein, wieder aufzusammeln und in neuer Ordnung zusammenzusetzen, um Wahrheit und Wert in dir selbst zu finden.
Beschäftigen sich alle Songs des Albums mit dieser Thematik oder gibt es Ausnahmen?
Alle stehen in Verbindung mit dieser Reise. Nicht unbedingt auf persönliche Art und Weise, aber sie sind alle mit Perspektive darauf geschrieben. Wir wissen, in welcher Zeit sie geschrieben wurden. Covid war nicht das einzige, was passiert ist. Es war erschütternd. Die Welt wird nicht besser und die Leute lassen sich das nicht mehr gefallen. Das Album wurde also auch aus der Perspektive geschrieben, durch diese Zeit zu gehen, um zu erzählen, was passiert. Es spiegelt auch wider, wie Leute sich dafür entscheiden, aufzustehen. Man sagt uns immer, wir sollen alles im Leben akzeptieren. Das Beste sei, einfach glücklich zu sein und zu lächeln – glücklich zu sein mit dem, was man hat. Aber manchen Menschen wird das gesagt, während sie ins Gesicht getreten werden und man ihnen ihre Rechte entreißt. "Sei fröhlich! Lach mal! Akzeptiere es! Es könnte schlimmer sein!" Es spielt gar keine Rolle, ob es schlimmer sein könnte. Es könnte verdammt nochmal besser sein! Alles könnte verdammt nochmal besser sein. Und wenn es jemals etwas gab, das das gezeigt hat, dann diese Zeitperiode. Etwas beeinflusst all unsere Existenzen, tötet Menschen, macht Leute krank. Jemand macht einen Haufen Kohle damit. Bestimmte Länder wollen anderen Ländern nicht helfen. Menschen horten Dinge ... Du denkst dir: Das ist die Menschheit. Du willst sehen, wie schnell dieses Ding, das wir einfach glücklich lächelnd akzeptieren sollen, auseinander bricht? Here you go. Zwei Jahre und plötzlich liegt alles offen. Auch darum geht es.
Auch der Vorgänger "Reverence" war schon grob als Konzeptalbum angelegt. Diesmal geht ihr aber noch einen Schritt weiter damit. Inwiefern habt ihr auf der von "Reverence" geschaffenen Grundlage aufgebaut?
Die Sache ist: Die Konzepte transportieren wir ja nicht unbedingt in Form eines Narrativs, sondern die Story liegt eher im Mindset der jeweiligen Zeit. "Reverence" wurzelt in Trauer. Dort begann dieser ganze Prozess für mich, ohne dass ich es merkte. Das jetzt ist zum Teil eine Fortsetzung davon, aber mit mehr Fokus. Es geht weniger um eine Frage vor dem Hintergrund von Verlust, sondern darum, eine Reise und eine Herausforderung anzuerkennen – eine sehr dunkle. Deshalb lautet der Titel "Darker Still". Der Titel impliziert ja die Fortsetzung. "IRE" war Wut, "Reverence" war Trauer – und das jetzt ist noch finsterer. Das wollte ich mit dem Titel ausdrücken. Ich stellte fest, dass es für nichts kein Zurück gibt. Du kannst neue Versuche starten, aber du bekommst im Leben niemals eine zweite Chance. In der Geschichte mögen sich Konzepte wiederholen, aber nie geht etwas tatsächlich rückwärts. Je weiter du gehst, je älter du wirst ... du bekommst deine Unschuld nicht zurück, du kannst nicht einfach etwas vergessen. Wenn du feststellst, dass dir etwas Unwohlsein in der Welt bereitet, dass etwas dich dich klein fühlen lässt oder in Angst versetzt, kannst du es nicht wieder aus deinem Kopf löschen. Es ist da. Das Idee von Glückseligkeit und Licht verändert sich. Je weiter ich in meinem Leben fortschreite und je mehr ich von der Welt sehe, desto klarer wird: Für all die Schönheit da draußen gibt es auch sehr viel Dunkelheit. Statt diese Dunkelheit zu ignorieren – denn davon wird man krank, glaube ich – sollte man das ganze Bild betrachten und erkennen, wie klein, wie super-klein wir sind und wie unfassbar komplex das Leben ist und dass auf dieser Reise immer mehr hinzukommt, dass dich noch viel kleiner macht. Das ist Teil der Schönheit: Zu lernen, in der Dunkelheit zu sehen wird dir helfen, zu verstehen, was das Konzept von Finsternis uns gibt. Darum geht es im Leben. Nicht darum, glücklich zu sein und zu lächeln und zu glauben, alles ist super. Das ist nicht Existenz. Das bekommst du nur als Kind. Von dort an gewinnst du dazu. Als Kind kennst du nur einen Bruchteil von Glück und das wars. Alles bewegt sich weiter und du hast noch ein ganzes Leben danach.
"Ich erinnere mich nicht mehr daran, wie es war, auf der Bühne zu stehen"
Auf dem Album stehen Songs, von denen ihr selbst sagt, dass ihr so etwas schon immer schreiben wolltet, es aber bislang nie umgesetzt habt. Was brachte euch zu dem Punkt, es nun doch durchzuziehen?
Der Großteil des Albums ist in langsamerem Tempo geschrieben als alles, was wir zuvor gemacht hatten. Das veränderte den Ansatz an die Musik. Statt auf Adrenalin und schnellem Headbanging basiert das hier auf Groove. Wenn du das Tempo verlangsamst, suchst du nach anderen Sounds. Dinge fließen anders. Wir legten viel mehr Wert auf den Rhythmus. Songs wie "The Greatest Fear", "Darker Still", "If A God Can Bleed" und auch "Stranger", "Land Of The Lost" und die Hälfte von "From The Heart Of Darkness" basieren auf viel simpleren Konzepten – für den gesamten Song gibt eine starke rhythmische Grundfeste und ein, zwei definierende Melodien. Es ging darum, auszutüfteln, wie man diese in die verschiedenen Parts des Songs einarbeitet und wann diese Melodien nicht das dominierende Feature sein sollten, sondern andere Elemente und Instrumente reinkommen sollten, um das Stück weiter zu bringen. Das unterschied sich davon, wie wir sonst gearbeitet hatten: Riff, Drums, Vocals und einen Parkway-Song draus machen. Die Songs selbst sind ja gar nicht so ungewöhnlich; sie sind nur anders für uns.
Einer der einprägsamsten Momente des Albums ist der Übergang von "If A God Can Bleed" zu "Soul Bleach". Ausgerechnet die zwei unterschiedlichsten Stücke des Albums habt ihr nicht nur musikalisch, sondern auch textlich verbunden – und das Industrial-artige "If A God Can Bleed" ist definitiv neues Territorium für euch.
Oh ja, damit bin ich auch sehr glücklich. Da steckt eine Menge Arbeit drin. Wir programmierten das Stück zuerst, dann spielte Ben nochmal echte Drums drüber und wir mischten das zusammen. Obendrauf dann die Vocals und die Talk-Box-Gitarre. Hast du schonmal eine Talk-Box-Gitarre gesehen? What the fuck! Jeff hatte die Idee, das im Chorus zu benutzen. Ich bin auch echt froh, dass der Übergang funktioniert. Die Songs wurden damit im Hinterkopf geschrieben. Wir haben sie zwar separat voneinander aufgebaut, aber die Idee der Verbindung existierte schon. Einerseits sollten sie ihre eigene Soundwelt haben und klar voneinander getrennt sein – dabei aber eben doch verbunden sein. Es musste diesen 'Bang!'-Moment bei der Transition geben. Wenn die Leute "If A God Can Bleed" hören werden sie sich wahrscheinlich denken: "Was zur Hölle?" Aber dann kommt "Soul Bleach" und es herrscht einfach pure Raserei.
Viele der Stücke scheinen außerdem mit der Publikumsreaktion bei Konzerten im Hinterkopf geschrieben worden zu sein. Wie nähert ihr euch einem solchen Ziel?
Ja, zu hundert Prozent! So war es immer bei uns. Wir mögen einfach viele verschiedene Sachen. Ich liebe hymnische Songs. Ich liebe es, wenn alle mitsingen. Ich liebe aber auch immer noch Moshpits. Ich liebe es, wenn Leute sagen: "What the fuck is that?" Ich liebe Langsames, Kurzes, Episches ... Rauszukriegen, wie wir das alles auf ein Album bekommen ist die Herausforderung für uns. Diesmal standen die Posten weiter auseinander als je zuvor. Es gibt einige der hymnischsten und einfachsten Songs, die wir bisher geschrieben haben, aber eben auch eine siebeneinhalbminütige Ballade einen ein seltsames Spoken Word-Interlude dazwischen. Und ja: Wir haben immer live im Sinn. Die Performance ist Teil von allem, was wir tun. Und wir wiederholen uns nicht gerne. Wenn wir etwas mögen, aber schonmal gemacht haben, sagen wir nicht: "Los, nochmal!" Es gibt Wege, um Dinge anders zu machen. Uns fällt stets ein Stück Livekonzept, ein Moment oder eine Emotion ein, die wir noch nicht im Set haben und damit erschaffen können. Das haben wir immer im Kopf. Ich will kein ganzes Album voller Radiorocksongs schreiben. Ich will kein Album voller siebenminütiger Post Hardcore Ambient-Balladen. Alles das hat aber seinen Platz bei Parkway Drive.
Jetzt steht eure große Herbsttour an, inklusive sieben Shows in Deutschland. Die letzten Live-Momente, die wir von euch gesehen haben, war die riesige "Viva The Underdogs"-Produktion. Wie wird das neue Setup da mithalten?
Die ersten Shows nach der Pause, Mann! Sie werden so gut wie vorher, wenn nicht besser! Wir sind echt tierisch aufgeregt. Es ist seltsam, darüber nachzudenken, denn ich habe sowas ja seit drei Jahren nicht mehr gemacht. Seit den Anfangstagen ging alles ineinander über, bis Covid uns gestoppt hat. Jetzt erinnere ich mich nicht mehr daran, wie es war, auf der Bühne zu stehen. Ich habe keine Referenz mehr. Es ist so komisch. Selbst im Set Design, an dem wir gerade arbeiten gibt es noch dieses kleine Extra-Element hinter dem ein Fragezeichen steht. Sowas gab es vorher noch nie. Ich kann mich nicht an die Energie des Publikums erinnern. Ich weiß noch, dass es fantastisch war, aber die Muscle-Memory und das emotionale Gedächtnis, was sonst immer da war, fehlt mir. Also vertrauen wir darauf, dass unsere Fans fucking awesome sind und dass wir wissen, das die Show toll ist und wir damit die nächste Evolutionsstufe der Band erklimmen. Euch erwartet das, was ihr vorher schon mochtet, aber mehr und anders – genauso wie beim Album. Es ist nicht total nicht wiederzuerkennen, aber es gibt einen Haufen coolen Scheiß.
Die vergangene Live-Pause war ja die längste in eurer Karriere. Wie hast du dich jetzt auf die Konzerte vorbereitet?
Ich beginne mit der Vorbereitung, sobald diese Pressetour zuende ist (das Interview fand im Juni statt, A.d.R.) – ich fange mit Singen an. Ich werde eine komplette "Privattour" machen, nur um sicherzugehen, dass meine Stimme okay ist. Ich fast war etwas geschockt, als wir ins Studio gegangen sind und festgestellt habe, dass meine Stimme noch funktioniert. Ich trug diese Angst in mir, dass ich zum Mikro gehen würde und sie einfach verschwunden wäre ... weil ich sie nicht benutzt habe. Aber das war zum Glück kein Problem. Wahrscheinlich wird die Rückkehr auf die Bühne eine große Emotionsflut auslösen. Das hier ist unser Leben! Ich habe mein halbes Leben damit zugebracht, so viel Zeit. Wir standen an einem Punkt, an dem wir echt dachten, das würde nie zurückkommen. Dass wir selbst wenn der Rest der Welt wieder zurückfinden sollte, unser Land nie wieder verlassen würden dürfen. Wir dachten darüber nach, wie wir uns dann fühlen würden. Das war gut. Es hätte das Ende sein können und wir wussten, dass wir es weiter geschafft hatten als wir jemals zu träumen gewagt hätten. Das jetzt fühlt sich an wie eine zweite Chance. Echt jetzt. Bedenkt man, dass wir die erste Chance schon nicht versaut haben, ist die zweite Chance umso wertvoller. Wir werden also richtig reinhauen!
Freust du dich auf irgendwas Bestimmtes?
Die Fans. Ich freue mich einfach darauf, wieder Leute zu treffen, so viele Menschen singen zu fühlen zu sehen. Auch unsere Roadcrew habe ich seit drei Jahren nicht mehr gesehen. All die Freunde, die uns durch Dick und Dünn begleitet haben. So viele Menschen, mit denen ich Erfahrungen geteilt habe, die jetzt zurückkommen. Ich bekomme einen teil meiner Seele zurück, von dem ich glaubte, ihn verloren zu haben. Das ist echt verrückt. Also ja ... es wird gut! Mann, ich könnte für eine Person spielen und wäre verdammt stoked! Ich bin heiß darauf, wieder loszulegen!
Sprechen wir zum Schluss noch kurz über das für euch eher untypische Artwork. Von wem stammt es und was waren die Gedanken dahinter?
Wir wollten etwas sehr anderes machen als vorher. Wir versuchen immer, andere Wege zu gehen, denn das Artwork verleiht für mich immer auch der jeweiligen Ära Ausdruck – und jede Ära ist anders. Der Künstler kommt tatsächlich aus Deutschland: Hedi Xandt. Er macht wunderbare Skulpturen, sowohl echte als auch digitale. Ihm pitchte ich das Konzept des Albums – die dunkle Nacht der Seele und die zugehörige Reise. Er schickte mir Ideen zurück und gemeinsam erarbeiten wir dann, wohin wir gehen wollten.
Die Vision war, die Außenhaut der Seele bzw. der menschlichen Psyche darzustellen. Du hast also diese Schale, mit einem Riss in der Mitte, der sich öffnet und den Blick auf Stacheln im Innern freigibt. Es gibt also eine Schutzhülle, die gleichzeitig auch ein Gefängnis ist für das, was im Innern steckt. Darauf läuft es doch hinaus oder? Deine Wahrnehmung von dir selbst ist das, was du der Welt zeigst, um dich zu schützen. Doch gleichzeitig hindert das, was du dabei aufbaust, dich dabei, rauszukommen. Das Bild fängt genau ein, wie sich das anfühlt. Und es ist super-super anders. Wir wollen ein Metalalbum machen, das so aussieht als würde es nicht in die Gegenwart passen, sondern eher ein bisschen in die Zukunft. Ein anderes Statement für die Band. Ein anderes Farbschema. Andere Texturen. Auf andere Art und Weise gemacht. Hedi lieferte fantastische Arbeit ab. Wir hatten andere Optionen, aber wir kamen immer wieder auf das zurück. Ich verfolgte seine Arbeit schon vorher lange. Es ist so vielseitig in dem was er tut, dass ich viel davon hielt, was er aus unserem Werk herauszog. Es war ein echt guter Prozess.
Parkway Drive bedeutete schon immer Kollaboration – in jedem Aspekt. Ich vertraue lieber einem Künstler in seinem Feld als Dinge zu diktieren. Schließlich komme ich ja zu dir, weil du dein Handwerk verstehst.
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