2. Dezember 2011

"Du darfst tanzen!"

Interview geführt von

Müde ist Peter Licht. Kein Wunder, es ist halb eins und er hat soeben die Bühne des Konstanzer Kulturladens verlassen. Zwei Zugaben verlangte das Publikum von ihm und hatte immer noch nicht genug.Immerhin sind Liveauftritte noch nicht lange Standard bei dem medienscheuen Pop-Poeten. Seit fünf Jahren erst stellt er sich ins Scheinwerferlicht. Berücksichtigt man, dass sein größter Erfolg "Sonnendeck" zehn Jahre her ist, ist er quasi erst nach seinem kommerziellen Zenit ins Livegeschäft eingetreten. Seine Fans lieben seine Auftritte. Man merkt das an der Stimmung im Saal. Andächtig lauschen rund 500 Twens den Worten, die Licht in Form von Songs und Poesie weitergibt.

Durchaus euphorisiert von einem vielseitigen Konzertabend begebe ich mich also nach zahlreichen Zugaben in den Backstage-Bereich, um mit Licht über den Kontext seines neuen Albums "Das Ende Der Beschwerde" zu plaudern. Dass er das Gespräch einleitet mit den Worten "Zwanzig Minuten höchstens, ich bin kaputt und müde" gibt meinem Schwung einen kleinen Dämpfer.

Wie ist es für dich, auf der Bühne zu stehen? Fühlst du dich zum Fraße vorgeworfen?

Peter Licht: Zum Fraße? Nö. (Pause) Nö. Ist ja immer die Frage bei einem Konzert, wer wen frisst. Das ist ja irgendwie ein beiderseitiges Fressen.

Du sagtest einst, du willst auf der Bühne nicht verfügbar sein, nicht fotografiert werden. Aber nun hat es ja doch ein paar Mal geblitzt im Publikum.

Ja, stimmt. Das passiert immer mal wieder, grundsätzlich wird das aber ganz gut respektiert. Aber das hat es immer schon gegeben. Ist ja klar, wenn man sich auf die Bühne stellt, muss man damit rechnen, auch mal fotografiert zu werden.

Es ist aber irgendwie dein Markenzeichen geworden, oder? Dieses Meiden der Öffentlichkeit, das Unterlassen der Selbstdarstellung, wie es ja sonst allzu gerne betrieben wird.

Naja, ich denke, jeder macht das so, wie er das mag und wie das für ihn passt und gut ist. Ich mache ja viel öffentlich. Das heute Abend war ja sehr öffentlich. Ich finde, das hat dann auch so einen Kern, so eine Wahrheit. Hier bin ich und ich singe meine Lieder, da sind die Leute. Das ist eine sehr direkte, gute Sache.

Wenn Peter Licht um Worte ringt, um seine Gedanken zu verpacken, reibt er sich immer wieder die müden Augen. Er lässt sich viel Zeit beim Antworten, verwirft Ansätze und beginnt von neuem und macht lange Pausen. Ganz so, als wolle er auf keinen Fall missverstanden werden. Vielleicht wurde er das zu oft in der Vergangenheit, denn als ich ihn nach seinem Hit "Sonnendeck" frage und ins Gedächtnis rufe, dass er sich im vergangenen Interview mit laut.de als One Hit Wonder bezeichnete, unterbricht er mich.

Ich hab mich nie als One Hit Wonder bezeichnet. Manchmal ist das ja so, wenn du bei dem Wort "kein" ein "k" weglässt, dann ist es auf einmal "ein", das geht relativ schnell, dass sich die Bedeutung verdreht. Ich hab das nie so gesehen.

One Hit Wonder hin oder her, ist ja auch am Ende bloß ein Etikett. Dennoch drängt sich eine weitere Frage auf.

War "Sonnendeck" ein Fluch oder Segen?

Es ist ein Segen. Ich mag das Lied immer noch und es ist auch gar nicht so, dass sich das irgendwie überwölbt oder so, überhaupt nicht. Ich hab da überhaupt kein Problem mit.

"Ein klares Jein!"

Kann es einen authentischen Künstler geben?

(Überlegt) Ja, das ist interessant, nicht? Wenn man da ganz genau hinschaut, wird sich das so auffächern, das Modell von Authentiziät. Das ist interessant, was das soll und warum es diese Konstruktion überhaupt gibt. Ich finde, das ist wie so ein Lichtbogen, der hin und her springt zwischen zwei Polen, die elektrisch aufgeladen sind. Ich glaube, kein Mensch kann authentisch sein, aber jeder Mensch hat auch einen Kern. Wir sind alle Teil des Schwarms, diese Vorstellung, dass man sich in einem Schwarm bewegt, dass eine genetische Grundsuppe da ist, das ist eben Gesellschaft. Das ist eben so eine Konstruktion, wo es gar nicht so sehr ums Authentische geht, sondern das hat natürlich eine gewisse Funktion, warum Authentizität ein attraktives Modell ist.

Vorhin habe ich dein Album gehört und mich dabei erwischt, wie mein Fuß mitwippte. Da fand ich fast, ich tue dir unrecht, weil du sehr textlastig bist und es nicht wirkt, als wolltest du ein Album zum Spaß haben machen. Darf man zu deinem Album tanzen?

Klar darfst du. Musik ist passiert doch auf vielen Ebenen und das ist ja auch eine. Wenn das die Ebene ist, auf der meine Musik dich berührt, dann ist das doch völlig in Ordnung.

Wenn du ein Theaterstück inszenierst und wenn du einen Song schreibst, gibt es da Unterschiede? Man ist ja beides Mal ein Stück weit Herr über eine Sache. Unterscheidet sich das oder ist das im Prinzip ähnlich?

(Überlegt) Ja, das ... Also von der Grundanlage ist das wahrscheinlich ähnlich. Es geht darum, eine Welt aufzubauen und zu gucken, ob die sich behaupten kann oder ob sie zusammenfällt wie ein aufgeblähter Pfannekuchen. Und dann gibt es ja unterschiedliche Längen und Formate, ein Song ist eingedampft und fokussierter. Eine Inszenierung muss zwar auch fokussiert sein, aber in der Länge ... Naja ... Jein. Ein klares Jein! (Schmunzelt)

Hast du insofern bei einem Theaterstück mehr Freiheiten, weil du in der Länge einfach mehr machen kannst, als wenn du einen Song auf drei Minuten dampfen musst?

Nö. Also, ich bin ja frei, zu wählen, ob ich ein Lied machen will. Also ich möchte ja gern diese Form. Ich bin da ja frei. Das ist die gleiche Freiheit. Alles ist ein Genre, das Theater ist ja auch ein Genre, da kann ich ja auch nicht einfach machen, was ich will. Ich kann mich da ja auch nicht hinsetzen und einfach drei Stunden häkeln, Quittungen ordnen oder Ablagen zu machen. Das ist ja kein Theaterstück.

"Wir brauchen eine neue Welt."

Ich wage einen zweiten Versuch und spreche ihn auf sein Interview mit Jens Friebe im Intro an.

In einem anderen Interview hast du gesagt: "Auf 'Das Ende der Beschwerde' werden einfach verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie die Beschwerde enden kann und nicht eine dieser Möglichkeiten funktioniert." Und nun? Müssen wir uns ewig beschweren?

(Lacht) Ich hab das bestimmt nicht so gesagt!

Ich krame die Ausgabe aus meiner Tasche, schlage die Seite auf und halte ihm sein mit neongelbem Textmarker hervorgehobenes Zitat unter die Nase. Wenigstens lacht er.

Ähm ... Ja dann hab ich wahrscheinlich im nächsten Absatz das genaue Gegenteil behauptet. Klar können Beschwerden enden! Ich finde das eine interessante Auseinandersetzung mit dem Phänomen 'Beschwerde': Ein fiktives Gegenüber und mich selbst als Gegenüber. Das ist so ein allmächtiges Thema und es geht eigentlich um die Sehnsucht, aus diesem Beschwerde-Tran herauszukommen. Da kann man natürlich rauskommen. Das wäre das Ende der Beschwerde. Allein die Kraft der Formulierung zeigt doch, dass die Beschwerde enden kann, weil sie es eben verbal tut.

Was passiert, wenn man aus diesem Tran herauskommt? Lebt man dann in einer Utopie? Wenn es nichts mehr zu beschweren gibt, wäre es ja quasi ideal.

Ja, das ist natürlich schon gut, wenn es keine Beschwerden gibt. Das ist super, das wünsche ich mir.

Aber wäre das nicht irgendwann auch langweilig?

Nee, dann hat man ja sehr viel mehr Zeit und muss sich nicht mehr mit Beschwerden rumschlagen. Ich empfinde das nicht als langweilig, ich finde das ist ein absolut erstrebenswertes Ziel. Dann kann man ja irgendwas anfangen.

Was würdest du denn anfangen?

Wenn ich keine Beschwerden mehr hätte ... (überlegt lange). Ich würde wahrscheinlich einen Apfel essen oder eine Wand anstreichen. Weiß ich nicht.

Du besingt den neuen Menschen. Wie muss dieser Mensch aussehen?

Ich singe ein Lied, in dem die Behauptung aufgestellt wird, der neue Mensch wird kommen. Das ist ein Vorstellungsraum, so ein Assoziationsfeld, das ich auswerfe.

Was assoziierst du denn damit?

Ganz verschiedenes. Ich denke, dass das eine Vorstellung ist, die in den Köpfen ist, eine kollektive Sehnsucht nach dem neuen Menschen. Das ist nicht nur seit heute so, sondern seit vielen Zeiten eine Sehnsuchtsvorstellung. Ich denke, dass es auch eine Perversion von Menschenbild ist, weil es ja auch eine Wertung ist, so ein Sortiervorgang - der neue Mensch und der alte Mensch. Das ist auch irgendwie dann ein Klassifizierungsmechanismus. Das ist ein Gesang über die Möglichkeit einer Vorstellung, was das soll, dass es einen neuen Menschen gibt, dass neue Menschen kommen, die die Welt tragen können, die die Räume besetzen und damit zurecht kommen.

Heißt das, dass der neue Mensch sich anpassen muss oder die Welt an sich anpassen muss?

Der hat das schon automatisch im Programm, das ist ja die Vorstellung, dass er ein Teil der neuen Welt ist und dann ist das eben auch der neue Mensch und der hat dann eben auch die Matrix, um die neue Welt geregelt zu kriegen.

Brauchen wir das denn? Eine neue Welt?

(Überlegt) Ja, ich denke schon.

Wie soll die denn aussehen?

Ja, das ist natürlich eine Wahnsinnsfrage. Die Welt verändert sich permanent und ich denke, dass sich die neue Weltordnung auch in gewisser Weise selber findet. Das ist momentan ja auch absolut zu sehen. Es ändert sich die Welt und das ist einfach auch ein hoffnungsvolles Zeichen, es ändert sich viel und passiert viel und ich betrachte das als hoffnungsvoll.

Also ist Veränderung prinzipiell erst mal gut?

Ja. Aber es muss auch ganz viel bleiben. Das sind so wahnsinnige Fragen, deswegen ist es das sinnvollste, ein Lied zu machen, das ist dann die Betrachtung und that's it. Deshalb mache ich ja Lieder, anders kann ich das gar nicht beschreiben. Das ist meine Beschreibung davon, gar nicht meine eigene Meinung. Da kann sich dann jeder sein eigenes Bild machen. Ich weiß gar nicht, ob das jetzt eine richtige Theorie ist. Stelle anheim.

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