19. Juni 2015

"Wir waren unausstehlich"

Interview geführt von

Refused sind zurück! Nach sage und schreibe 17 Jahren melden sich die Hardcore-Punk-Ikonen aus Schweden mit ihrem neuen Studioalbum "Freedom" zurück.

Als der Trail Of Dead-Bassist Autry Fulbright II im November 2014 ein Foto bei Instagram postet, auf dem er gemeinsam mit Dennis Lyxzen posiert, geht ein Raunen durch die internationale Alternative-Szene. Das Foto an sich spielt allerdings nur eine Nebenrolle. Viel mehr Staub wirbelt der Text auf, den Autry unter das Bild setzt: "Wir spielen heute in Österreich mit der Band INVSN von diesem Typen hier, mit der er unterwegs ist, bis er die Vocals für das neue Refused-Album eingesungen hat, das nächstes Jahr erscheinen soll."

Peng! Ein neues Refused-Album? Für kurze Zeit stand die Welt still. Dann brach alles zusammen – zumindest in Kreisen, in denen das bis dato letzte Refused-Werk "The Shape Of Punk To Come" als das "White Album" der Hardcore-Punk-Geschichte verehrt wird. Danach kam erst einmal gar nichts mehr: keine offizielle Bestätigung, kein Dementi. Fünf Monate saßen Refused-Fans auf heißen Kohlen, ehe die Band Ende April 2015 endlich aus dem Dunkeln trat und die Gerüchte um ein neues Studioalbum bestätigte. Nun steht "Freedom" in den Startlöchern, und ist laut Band "das radikalste, das wir jemals getan haben." Das schreit natürlich nach detaillierteren Infos. Und so trafen wir uns in Berlin mit Frontmann Dennis Lyxzen und Schlagzeuger David Sandström zum Gespräch.

Hi ihr zwei. Da habt ihr ja ganz schön was losgetreten.

Dennis: Das kannst du wohl laut sagen (lacht).

David: Aber letztlich ist es doch das, was alle wollten, oder?

Dennis: Naja…

David: Stimmt. Du warst anfangs nur schwer von der Idee eines neuen Albums zu begeistern.

Warum?

Dennis: Keine Ahnung. Für mich war das Kapitel Refused eigentlich abgeschlossen. Aber was habe ich schon zu melden? (lacht)

Ein Frontmann, dessen Meinung nicht zählt? Das kann ich nicht glauben.

Dennis: So ist es natürlich auch nicht. Dennoch war ich sehr skeptisch.

Wer oder was hat dich umgestimmt?

Dennis: Die Musik. Es waren die ersten Demos von David, Kris und Magnus, die mich neugierig machten. Das schlichte Reden über ein neues Refused-Album hatte keine Wirkung auf mich. Erst als die Musik ins Spiel kam, fing ich an, ernsthaft darüber nachzudenken.

Wann war das genau?

David: Darüber geredet haben wir das erste Mal im August 2012. Damals spielten wir auf einem Festival in Schweden. Die Musik kam erst später. Die Demos, die wir Dennis dann vorspielten, waren eigentlich für ein anderes Projekt gedacht. Aber irgendwie steckten da ganz viele alte Vibes drin. Das klang alles sehr nach Refused. Also schnappten wir uns Dennis und spielten ihm das Zeug vor.

Dennis, was war das für ein Moment für dich?

Dennis: Das war sehr aufwühlend. Da war dieser Teil in mir, der sich vehement dagegen sträubte. Ich meine, "The Shape Of Punk To Come" ist ja nicht irgendeine Platte. Dieser eine Teil in mir wollte unser Erbe schützen, weil er davon überzeugt war, dass alles gesagt wurde. Der andere Teil war aber aufgeregt wie ein kleines Kind, das nach Jahren der Verbannung endlich wieder auf einem Spielplatz stand. Ich war total gespalten, schwankte hin und her und konnte kaum mehr einen klaren Gedanken fassen. Die Musik hat aber letztlich alle Zweifel weggeblasen. Ich konnte nicht widerstehen. Also haben wir es angepackt.

"Das Ende der Zusammenarbeit mit Jan war ein längerer Prozess"

Dennis, du sagst, dass du große Zweifel hattest. Hatte Jan ( Jan Brännström, Gitarrist – wurde im Herbst 2014 von der Band verabschiedet) ebenso große Zweifel? Oder warum ist er kein Mitglied der Band mehr?

Dennis: Das Ende der Zusammenarbeit mit Jan war ein längerer Prozess. Da passten viele Dinge nicht mehr. Die unterschiedlichen Auffassungen über die musikalische Zukunft der Band war sicherlich ein ausschlaggebender Punkt.

Aber nicht der einzige?

Dennis: Nein, aber der ausschlaggebende.

Wunder Punkt?

Dennis: Nein, kein wunder Punkt. Nur, warum sollten wir Vergangenes hochkochen lassen, wenn die Gegenwart und die Zukunft so viel Spannenderes verspricht?

Da ist was dran. Wie ist es um eure Gefühle und Erwartungen bestellt? Ist die Situation vergleichbar mit der vor 17 Jahren?

Dennis: Es ist wesentlich aufregender als damals.

Woran liegt das?

Dennis: Damals waren wir alle Anfang zwanzig. Wir waren wild, ungestüm und unberechenbar. Wir hatten nur Blödsinn im Kopf. Ich glaube, wir waren mit die unausstehlichste Band überhaupt. Diese Attitüde, gepaart mit unserer Musik, war Revolution pur. Heute sind wir fast alle über vierzig Jahre alt. Und trotzdem brennt in uns noch dieses Feuer. Das ist schon ziemlich krass.

Ich meine, wir sind jetzt fokussierter und gereift. Aber wenn man sich das neue Album anhört, könnte man denken, dass die letzte Platte erst zwei Jahre auf dem Buckel hat. Wir reden hier aber von einer Zeitspanne von fast zwanzig Jahren. Dieses Bewusstsein, dass wir nach so langer Zeit immer noch in der Lage sind, ein Feuerwerk sondergleichen abzubrennen, haut uns momentan alle ganz schön aus den Socken.

David: Das Krasse ist auch, dass es dabei gar nicht nur um die neuen Songs geht. Es ist das große Ganze, das immer noch an allen Ecken brennt.

Was meinst du damit?

David: Wir haben letztens im Proberaum ein bisschen rumgeblödelt. Irgendwann schlug einer vor, ein paar Coversongs anzustimmen. Wir haben dann richtig extreme Teile rausgekramt: Songs von Black Sabbath, PJ Harvey und Fugazi. Und die klangen alle wie Refused. Was ich damit sagen will: Trotz der 17 Jahre, in denen wir nicht zusammen gespielt haben, ist die Basis immer noch vorhanden. Wenn wir aufeinander treffen und die Instrumente einstöpseln, dann kommt automatisch Refused dabei raus. Das steckt scheinbar irgendwie in uns drin. Und das macht die Gegenwart gerade besonders aufregend.

"Wir können uns nur noch selbst im Weg stehen""

Ihr seid ja damals auseinandergegangen, weil das Gleichgewicht zwischen euren Ansprüchen und dem, was letztlich von der Öffentlichkeit zurückkahm, irgendwann nicht mehr stimmte. Habt ihr keine Angst davor, dass es wieder so laufen könnte?

David: Angst ist immer ein schlechter Berater. Damals waren wir einfach nicht bereit. Als wir merkten, dass unsere zweite Platte, eine Platte, von der wir auch heute noch denken, dass man nicht mehr aus ihr hätte herausholen können, weniger Leute ansprach, als unsere erste Scheibe, waren wir total überfordert. Das hatten wir nicht erwartet.

Wir waren aber auch nicht in der Lage darüber zu sprechen. Schon gar nicht miteinander. Wir waren nicht kommunikationsfähig. Deswegen fiel die Band auseinander. Der eigentliche Grund waren wir. Heute gehen wir da gelassener ran. Wir wissen mittlerweile, dass es mitunter etwas dauern kann, bis gewisse Botschaften bei der Masse ankommen.

Euer Song "New Noise" dient da sicherlich als Paradebeispiel.

Dennis: Exakt: Der Song ging erst viel später steil. Da war die Band schon längst durch. Wer weiß schon, wie es mit "Freedom" laufen wird? Vielleicht wird es einem Song wie "Elektra" ähnlich ergehen. Das würde uns aber heute nicht mehr aus der Bahn werfen. Da bin ich mir ziemlich sicher.

Was würde euch denn aus der Bahn werfen?

David: Keine Ahnung. Ich würde uns jetzt nicht als eine Band bezeichnen, die nichts mehr umhauen kann. Ich denke aber, dass wir uns nur noch selbst im Weg stehen können. Nach über zwanzig Jahren im Business weiß man einfach, wie der Hase läuft. Wir haben so viel erlebt – gemeinsam und natürlich auch jeder für sich. Die Leute heben einen in die Höhe. Und zwei Tage später lassen sie dich wieder fallen. Das läuft nun mal so. Das alles berührt uns nicht mehr. Wichtig wird sein, wie wir in der Zukunft miteinander umgehen werden. Das wird der Schlüssel sein. Und wenn das alles funktioniert, kommt vielleicht auch noch ein weiteres Album raus. Vielleicht auch noch eins. Wer weiß? Wir sind da ganz relaxt.

Dennis: Diese mystische Glocke, die die letzten 17 Jahre um die Band errichtet wurde, vereinfacht heute natürlich auch vieles. Es herrscht ein viel größeres Interesse an der Band als damals. Da sind einerseits die Leute, die uns seit den Anfangstagen kennen. Und dann gibt es die, die erst nach unserer Auflösung angestachelt wurden.

Das ist so ein wildes Gemisch, das in den letzten Jahren immer dickflüssiger wurde. Wir haben das während unserer Reunion-Shows im Jahr 2012 gemerkt. Da war richtig was los vor den Bühnen. Als würden wir schon seit zwanzig Jahren durch die Stadien tingeln. Wir fangen also nicht von null an. Es gibt nichts Schlimmeres, als auf eine Bühne zu gehen, vor der dich tausende Leute mit großen Augen angucken und keinen blassen Schimmer haben, was eigentlich abgeht.

Erinnerst du dich diesbezüglich an einen besonderen Tiefpunkt?

Dennis: Oh ja. Das war allerdings nicht mit Refused, sondern mit The (International) Noise Conspiracy. Da spielten wir mal in Spanien im Vorprogramm von Metallica. Diesen Abend werde ich wohl nie vergessen. Wir gingen auf die Bühne, und da standen ungefähr 20.000 Kuttenträger vor uns, die mit verschränkten Abend nur darauf warteten, dass wir endlich wieder verschwinden. Das war ein ziemlich traumatisches Erlebnis für mich (lacht).

David: Ha, ich erinnere mich. Du hast dich danach total bei mir ausgeheult.

Dennis: Hallo? Das war auch ziemlich heftig. Geheult habe ich natürlich nicht. Aber geflucht habe ich. Und das nicht zu knapp.

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