laut.de-Kritik
Rosenstolz on Tour: 27 Konzerte und die Hallen standen Kopf.
Review von Linus SchwankeDeutz/Messe, Linie 4. Die Straßenbahn ist voll, verhältnismäßig wenig ältere Bürger im Wagen. Am Haltepunkt Keupstraße wird klar warum: AnNa, Peter und Crew laden zum Gig ins kultige E-Werk. Offenbar ein Höhepunkt der Tour 2002, denn nicht umsonst waren seit Sommer gerade für Köln (nach Berlin natürlich) keine Karten mehr zu bekommen. Na ja - höchstens bei Ebay für sehr viel Geld. Und so ziehen auch wir mit zwei sündhaft teuren Tickets in der Tasche und bester Laune in einer endlosen Kolonne die Schanzenstraße herunter zum E-Werk.
Dort angekommen Jacken, Taschen und sonstiger Ballast ab an die Garderobe. Ein Fetzen am Leib und feste Schuhe müssen reichen.
Was von der neunköpfigen Combo in den nächsten 135 (!) Minuten geboten wird, ist verblüffend: Tanz der Emotionen. Hinreißender und echter, persönlicher und vielseitiger kaum möglich. Ein ständiger Wechsel von offenen Mündern, Gänsehaut und massivem Abtanzen, wenn's rockig wird.
Unheimlich schön, Teil eines Saales zu sein, bei dem dreieinhalbtausend Herzen scheinbar im Gleichtakt schlagen. Umwerfend der Gemeinsinn: bis in die hinterste Ecke gehen die Leute mit, lassen sich von den selbstbewussten Berlinern mit ihrem fast kabarettistischen Charme und musikalischen Können begeistern. Rocken bei anderen Konzerten meist die ersten zehn Reihen der Audience, steht bei Rosenstolz der Saal komplett Kopf. Dies ist nicht durch kollektive Affenliebe oder frenetische Fans zu erklären, sondern durch das schier unglaubliche Spektrum der Band, mit einer fühlbaren Nähe zum Publikum, die zum Verbiegen keinen Zoll Spielraum lässt.
Wer Rosenstolz nie begriffen hatte oder begreifen wollte - auf dieser Tour, die 27 Konzerte umfasste, wäre er fällig gewesen. Und er hätte gelernt, wie rockig und leicht abgefahren Rosenstolz eigentlich ist. Lyrisch und schrill, tiefsinnig und banal. Eigentlich alles - nur eben genau nicht das, was jemand erwartet, der Rosenstolz nicht kennt.
Aber das war nicht immer so. Aus der einst balladenschweren Gruppe ist ein Ensemble geworden, dessen Lebensfreude und beneidenswertes Selbstbewusstsein in das nunmehr 12-jährige Gesamtwerk hör- und sichtbar eingeflossen ist. Das kommt echt rüber. Insgesamt ist das Konzert eine Strecke von sage und schreibe 24 grundverschiedenen Songs, in die stellenweise recht gut performte Soli (E-Gitarre, Saxophon) eingebracht werden.
Rosenstolz spaltet nicht nur die Nation, sondern sogar teils die eigene Audience, indem sie angenehm unberechenbar bleiben. Beispielhaft wird selbst ein Klassiker wie "Schlampenfieber" neu gerahmt: stereotyp sprechgesungenes "Megapower" verleiht dem Vortrag eine fast kabarettistische, irre komische Note à la singender Kühe in der Muppets-Show. Das Publikum grinst breit, um Sekunden später wieder wild abzutanzen, wenn AnNa den Refrain "und dann hamma Schlampenfieba, imma wieder rutscht das Mieda!" rotzpogig reinpeitscht.
Höhepunkt ist nach wie vor "Königin": 2002 in rockiger Interpretation, kommt dieses sehnsüchtig erwartete "Satisfaction" der Rosen auch in Köln rüber wie eine Offenbarung: hinreißend. Fulminant. Neu. Unglaublich. "KA".
Dass die Band einen festen Stellenwert auch in der Lesben- und Schwulenszene besitzt, zeigte sich nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch auf dem Konzert in Köln: da entert für die Länge eines Songs "Ja, ich will" die Kölsche Schrillgöre Hella von Sinnen die Bühne und verschwindet ebenso schnell wieder. Witzig.
Im Publikum glänzende Augen und eng umschlungene Paare bei gänsehautverdächtigen Balladen wie dem neuen "LAUT" oder "Anders" mit minimalistisch-klassischer Begleitung wie Gitarre und gestrichener oder gezupfter Geige. Nicole nimmt Susanne bei der Hand, Marc seinen Thomas in den Arm.
Was alles so schön kitschig klingt, stellt inmitten einer lobenswert gut abgemischten Lightshow eine Atmosphäre her, die fett unter die Haut geht.
Nach zwei Stunden und 10 Minuten sind wir etwas benommen, als das Ensemble nach fünf Zugaben die Bühne endgültig verlässt und dumpfe Hintergrundmusik sowie emsige Rowdies klar machen: das Konzert ist zu Ende, der Alltag hat uns wieder - und das Leben auch! Mit einem wohligen Lächeln im Gesicht verlassen wir das E-Werk. Wann geht die nächste Linie 4? Ist doch wurscht.