15. Mai 2012
"Image, Aussehen und Lifestyle fahren die Dollars ein"
Interview geführt von Kai ButterweckHip Hop, Pop, Punk, R'n'B, Dub, Gospel: Santi White, alias Santigold, lässt sich nicht gerne in Schubladen stecken, wenn es um ihr musikalisches Schaffen geht. Der Spagat zwischen Punk-Wurzeln und rockigen Klängen à la Bad Brains und The Smiths und eher anorganischen Ergüssen von Diplo und Co. ist gewaltig, doch für die New Yorkerin noch lange kein Grund, die Finger davon zu lassen.Nach ihrem erfolgreichen Debütalbum "Santogold" aus dem Jahr 2008 konnte es die täglich wachsende Anhängerschaft kaum erwarten, mit dem Zweitwerk der Sängerin konfrontiert zu werden. Doch daraus wurde nichts, denn Santigold setzte nach dem Debüt-Rummel erst einmal andere Prioritäten.
Welche das waren; warum sich die Bardin auf ihrem neuen Album "Master Of My Make Believe" abermals über gesellschaftliche Oberflächlichkeiten erzürnt, und warum sie vor einem Headliner-Konzert angespannter ist, als wenn ihr 15.000 Red Hot Chili Peppers-Fans gegenüberstehen, verrät uns Santigold während eines entspannten Vieraugengesprächs im Herzen Berlins.
Dein Debütalbum "Santogold" hat vor vier Jahren reichlich Staub aufgewirbelt. Nimmt man normalerweise die Euphorie und den Schwung eines derartigen Beginns nicht zum Anlass, möglichst schnell mit einem Nachfolger aufzuwarten?
Santigold: Es mag sein, dass es viele Bands und Künstler gibt, die so verfahren. Ich ticke da ein bisschen anders. Mir ging es nach dem Album vor allem in erster Linie darum, mir eine Live-Gefolgschaft aufzubauen. Ich persönlich kann mir von Musikern erst dann ein richtiges Bild machen, wenn ich sie auch mal live spielen sehe. Ein schönes Album ist eine tolle Sache. Wenn man den Inhalt aber nicht auch live vermitteln kann, dann hat das ganze Unterfangen einen nicht gerade unerheblichen Makel.
Demnach bist du danach erst einmal ausgiebig auf Reisen gegangen?
Santigold: Genau. Die Jahre 2008 und 2009 habe ich nahezu komplett auf Tour verbracht. Ich habe versucht, so viele Orte und Menschen mit meiner Musik zu erreichen, wie irgendwie möglich war. Im Jahr 2010 habe ich angefangen, mich mit neuen Ideen und Songs zu beschäftigen. Ein Jahr später war das neue Album fertig. Viele Leute sprechen immer von einer langen Pause zwischen beiden Alben, aber für mich gab es keine Pausen (lacht). Ich habe mich nach der Veröffentlichung meines Debüts ja nicht hingesetzt und auf meinen Lorbeeren ausgeruht, sondern ich habe die Scheibe so intensiv wie möglich nach außen getragen.
Nervt dich die Ungeduld der Öffentlichkeit?
Santigold: Nun, ich würde sagen, mich nervt allgemein diese Husch-Husch-Mentalität, die sich in den letzten Jahren überall flächendeckend ausbreitet. Alles muss schnell gehen. Jeder muss funktionieren. Am Ende bleibt nur Oberflächlichkeit übrig. Das ist auch ein großes Thema auf meinem neuen Album. Ich persönlich finde zwar, dass ich auf meinem Debüt noch wesentlich wütender zu Werke gegangen bin, als dieses Mal, aber letztlich steckt immer noch viel Frustration und Ärger in meinen Texten.
"Wir haben so viel selbst in der Hand; jeder für sich"
Was stört dich denn am meisten?Santigold: Das ist echt schwierig. Ich glaube, zunächst würde ich mich über einen kleinen Knopf freuen, den man drücken kann, damit die Leute aufwachen; so ganz allgemein, verstehst du? Wir müssen wieder an einen Punkt kommen, wo uns bewusst wird, dass wir alleine die Kontrolle besitzen, Dinge wieder ins richtige Lot zu bringen. Ich meine, mein neues Album heißt nicht umsonst "Master Of My Make Believe". Wir haben so viel selbst in der Hand; jeder für sich. Aber alle diskutieren und schieben den schwarzen Peter von einem zum anderen. Keiner kommt aus dem Knick und fängt vor der eigenen Haustür an. Das frustriert mich und bereitet mir Sorgen.
Inwieweit kann Musik daran etwas ändern?
Santigold: Musik steckt voller Energie und ist die perfekte Plattform, um viele Menschen gleichzeitig zu erreichen und zu inspirieren. Und ich glaube, dass man mit Musik unheimlich viel erreichen und bewirken kann. Davon bin ich fest überzeugt.
Lässt die heutige Musikindustrie, die sich mehr und mehr vom Gedanken der Kunstverbreitung verabschiedet und zunehmend das eigene Portemonnaie in den Vordergrund stellt, Künstlern wie dir, die anprangern und neue Weichen stellen wollen, überhaupt noch genügend Freiräume?
Santigold: Das ist eine sehr gute Frage und wirklich schwer zu beantworten. Ich kann mich glücklich schätzen, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die mich unterstützen. Aber du hast natürlich recht, denn das, was zu Beginn der Vermarktung von Musik im Vordergrund stand, nämlich die Kunst, rückt zunehmend in den Hintergrund. Es geht wie in den meisten anderen Bereichen auch einfach nur noch ums Geld.
Was hat das zur Folge?
Santigold: Man muss sich doch nur die Charts angucken.
Inwiefern?
Santigold: Kaum einer geht noch ein Risiko ein. Die wenigsten Verantwortlichen reißen sich noch den Arsch für Bands auf, die am Anfang stehen und wirklich was drauf haben. Die Angst ist einfach zu groß, dass sich nach monatelanger Aufbauarbeit kein finanzieller Reibach machen lässt. Es werden nur noch Leute gepusht, bei denen man weiß, dass sich ihre Alben eh fast von selbst verkaufen. Alles was hinten ansteht und versucht nachzurücken, bleibt auf der Strecke, weil kaum noch einer bereit ist, zu investieren. Und wenn es dann mal ein neuer Künstler nach oben schafft, dann doch meist nur so einer, der alles mitbringt, um für irgendeinen vorangegangenen Top-Seller den Klon zu mimen.
Das wirklich Traurige ist, dass du heutzutage in diesem Business kein guter Musiker mehr sein musst, um erfolgreich zu sein. Wenn du den richtigen Haarschnitt, das Selbstwertgefühl einer Marionette und die angesagtesten Produzenten im Rücken hast, dann bist du wie gemacht für die Charts. Das war früher, als das eingenommene Geld noch die Folge von gehaltvoller Kunst war, anders. Heute steht die Kunst im Hintergrund. Image, Aussehen und Lifestyle fahren die Dollars ein. Das ist schon ziemlich bitter.
Die Coldplay-Anhängerschaft konnte nicht allzu viel mit mir anfangen
Wer steht denn deiner Meinung nach gerade zu Recht hoch im Kurs?Santigold: Es gibt nur wenige, bei denen wirklich die Musik im Vordergrund steht. Adele ist so jemand. Bei ihr geht es um die Basis. Sie hat eine tolle Stimme und ihre Songs bringen Emotionen hervor. Das gefällt mir richtig gut. Außerdem habe ich mich in diesem Jahr über den Grammy für Bon Iver gefreut. Das ist intensive Musik mit Ausdruck und großen Gefühlen, und nichts, was mal eben auf die Schnelle am Reißbrett entstanden ist.
Du hast vor deiner Solo-Karriere in der Punkband Stiffed gesungen. Was hat letztlich den Ausschlag gegeben, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen?
Santigold: Es ging eigentlich weniger um Kontrolle, denn auch bei Stiffed war ich mehr oder weniger für alles verantwortlich. Vielmehr war ich irgendwann an einen Punkt angelangt, an dem ich mich künstlerisch eingeengt fühlte. Ich wollte einfach etwas Neues machen. Die Zeit mit der Band war aber unheimlich wichtig für mich. Es war wie eine Art Ausbildung für mich. Ich habe gelernt zu singen und mich zu präsentieren. Das war sehr lehrreich, aber irgendwann schnappte ich mir John Hill, der ebenfalls in der Band spielte, und wir starteten zusammen das Santigold-Projekt.
Danach ging es rasant bergauf, inklusive Support-Shows für Coldplay, Jay-Z , Björk und Beastie Boys. Ich glaube, viel unterschiedlicher können Fangruppen kaum sein. Hast du dich irgendwo fehl am Platz gefühlt?
Santigold: Um ehrlich zu sein, konnte die Coldplay-Anhängerschaft nicht allzu viel mit mir anfangen. Aber das war halb so schlimm. Ich bin nicht sonderlich nervös vor einem Auftritt, schon gar nicht, wenn ich erst einmal auf der Bühne stehe. Das ändert sich auch nicht, wenn ich merke, dass der Zugang zum Publikum zu wünschen übrig lässt.
Ist es eigentlich schwieriger vor einer Masse von Menschen aufzutreten, die nur wegen dem Hauptact da sind, als vor "eigenem" Publikum zu performen?
Santigold: Für mich ist es eher genau umgekehrt. Ich kenne einige Kollegen, die sich jedes Mal in die Hosen machen, wenn sie einen großen Support-Slot bekommen, weil sie denken, die Leute würden etwas Besonderes von ihnen verlangen (lacht). Ich bin wesentlich angespannter, wenn ich vor meinen Leuten auftrete, da ich weiß, dass man hier etwas von mir erwartet. Die Leute kennen mich und wollen, dass das, was sie zuhause in ihren Playern gut finden, auch live funktioniert. Wenn ich aber vor vielen Menschen spiele, die mich nicht kennen, habe ich auch keinen Druck.
Es ist einfach nur eine tolle Möglichkeit vor vielen Leuten zu spielen. Demnächst gehe ich mit den Chili Peppers auf Tour. Da stehen dann ungefähr 10- oder 15.000 Fans vor einem. Das ist natürlich schon ein geiles Gefühl. Und wenn es dann am Ende noch dazu führt, dass der eine oder andere mit einer positiven Erinnerung an meinen Auftritt nach Hause fährt, um so besser. Aber wie gesagt, "schwieriger" ist es für mich, vor meinen eigenen Fans zu spielen.
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