laut.de-Kritik
Schwindelanfälle und ein Schluck aus dem Weinglas: So schön kann Traurigkeit sein.
Review von Jasmin LützIch liebe so wunderbare Konzerte wie an diesem Abend. Plötzlich verschwinden alle Sorgen. Ein wohliger Zustand und eine angenehme Ruhe überkommen einen. Absolute Leere im Kopf. Nur die wohltuenden Töne erfassen die Hörmuschel. Die Seelenheiler an diesem Mittwochabend heißen Savoy Grand und kommen aus England. Sie beglückten Köln zum zweiten Mal mit ihrer atemberaubenden Musik.
Als Support durfte man sich auf eine Kölner Legende freuen. The Furthurs haben sich wieder zusammengefunden mit Begründer und Frontmann Kurt Kreikenbom. Im smarten Anzug präsentierte er uns glücklich seine neue Formation. Eine Mischung aus Folk und tanzbarem Rock'n'Roll. Richtig gut und eine Überraschung gab es auch noch. Die Crazy Cats begleiteten stimmlich drei Songs der Gruppe. Absolutes Highlight: zwei Coverversionen des unvergesslichen "Bobby Fuller". Euphorische Stimmung bei "Let Her Dance" und Tränen in den Augen bei "A New Shade Of Blue". Zugabe gab es leider nicht, weil es schon spät war und Savoy Grand schließlich auch noch auf die Bühne wollten.
Letztes Jahr waren die vier Männer aus Nottingham noch ein absoluter Geheimtipp. Das merkte man auch leider am spärlich besetzten Publikum. Aber dafür, dass sie zum ersten Mal in Deutschland spielten, war es schon damals ein absoluter Erfolg. Dieses Jahr war das Gebäude um einiges voller. Nach Erscheinen des zweiten Albums "Burn The Furniture" wurden viele neugierig und als "Platte des Monats" bei der SPEX gekürt, wollte man die harmonischen Genies ganz gerne mal live erleben.
Auch diesmal wird mir bei den ersten Gitarrenanschlägen ganz warm ums Herz. Man hat Angst, bei dieser melodiösen Musik gleich umzufallen. Man wippt nervös von einem Bein aufs andere. Zündet sich eine Zigarette an. Weiß nicht genau, was man mit sich anfangen soll. Leichte Schwindelanfälle, abermals ein Schluck aus dem Weinglas. Noch eine Zigarette und kurz den Blick durchs Gebäude schleifen lassen. Diesmal gelingt es mir allerdings früher, still zu stehen. Die Wurzeln einiger Bandmitglieder sind immer wieder deutlich zu hören: Jazz und Swing treffen hier auf den Freund Pop. Hier kommt auch das tolle Vibraphonspiel von Oliver zur Geltung. Eine großartige Mixtur, die vor allem durch die sensationelle Stimme von Graham untermalt wird.
Unglaublich, wie diszipliniert Graham, Oliver, Kieran und Ian ihre Instrumente beherrschen. Ein faszinierendes Zusammenspiel. Absolut konzentriert. Vorwiegend wird die neue Platte präsentiert. Minutenlange Stücke, wie "A Trained Dog" oder "Why Did You Disappear?" Ich muss sagen, man ist immer wieder erleichtert, wenn ein Song vorbei ist. Endlich kann man sich wieder bewegen. Schnell mal mit dem Nachbarn flüstern. Lautes Klatschen und Begeisterungsrufe unterbrechen für kurze Zeit die meditative Stille. (Außer dem diesmal etwas unangenehmen Lärmpegel aus der Trinkbar. Hier saßen einige Banausen, die ihr Klassentreffen mal lieber zu Hause veranstaltet hätten). "Will You Please Be Quiet!" Nach minutenlanger Schwerelosigkeit auch wieder die ersten Bewegungen auf der Bühne.
Nach jedem Song wird erst einmal die Gitarre von Sänger Graham gestimmt. Es kommt häufig zum Instrumentenwechsel. Sehr erfreulich auch die Benutzung der Harmonika. Toll, was dieses kleine Tasten- und Blasgerät so anrichten kann. Der Klang der fröhlichen Traurigkeit. Verantwortlich für diese Klänge ist Ian Sutton, der Mann am Klavier, an der Trompete und das Akkordeon kann er auch noch spielen. Faszinierend bearbeitet Kieran das Vibraphon mit einem Geigenbogen und Graham setzt noch einen drauf. Mit einem Schlagzeugstick lässt er die Gitarrenseiten schwingen. All zu schöne Erinnerungen an Sigur Ros. Hier wird die Gitarre mit dem Geigenbogen anderen Tönen ausgesetzt.
Selten ist es so ruhig während eines Popkonzerts. Nur das Klicken des Fotoapparates und Flüstergeräusche versetzen einen wieder in die Realität zurück. Nach jedem Stück ein zufriedenes Lächeln von Sänger und Gitarrist Graham. Zwei-, dreimal kommt es zu explosionsartigen Erschütterungen. Der Körper erwacht für kurze Zeit aus der Starre. Einige denken sich wohl: "Oh, da hätte ich aber doch mal lieber meine Ohrenstöpsel mitgenommen." Kieran tritt sehr heftig seine Bassdrum, dazu der deftige Bass von Oliver, der lange Atem von Ian an der Trompete. Graham bearbeitet stilvoll seine Gitarre. Nüchtern betrachtet, hat man bei Savoy Grand nicht den Eindruck, eine Popband vor sich zu haben. Sie sehen aus wie brave Sportstudenten oder angehende Lehrer. Aber man sollte sich nicht vom Äußeren ablenken lassen. Kann ja schließlich nicht jeder aussehen, wie Robbie Williams.
Wieder mal ist an diesem Abend der kleine Herzensbruch passiert. So schön kann Traurigkeit sein. Und neben den Alben von Savoy Grand sei jedem ein Live-Erlebnis durch die Schwerelosigkeit wärmstens zu empfehlen!