13. Dezember 2012

"Das Ding kommt jetzt vor Gericht"

Interview geführt von

Der Berliner gehört zu den schillerndsten Figuren im deutschen Hip Hop. Polarisierend und immer für einen Tritt in den Allerwertesten derjenigen gut, die auf ihn herunter schauen, drückt Sido schon seit gut fünfzehn Jahren der hiesigen Sprechgesang-Szene seinen Stempel auf. Dieser Tage veröffentlichte der ehemalige Maskenmann sein erstes Best Of-Album.Er wolle es zukünftig ruhiger angehen lassen, hieß es zu Beginn des Jahres oftmals aus seinem Munde. Und mit Hilfe seiner neuen Lebensgefährtin Charlotte Engelhardt, der Gründung einer eigenen Produktionsfirma und dem Ausweichen auf diverse berufliche Nebenschauplätze schien plötzlich auch alles in geordneten Bahnen zu laufen. Doch dann kam der 19. Oktober 2012: ein Wortgefecht, böse Schimpfwörter in Richtung einer nicht anwesenden Mutter, eine (angedeutete) Ohrfeige und ein theatralisch zu Boden fallender österreichischer Klatsch-Reporter.

Urplötzlich füllte Sidos Name wieder die Boulevard-Gazetten von Hamburg bis Wien. Da war es wieder, das vermeintlich aggressive Gockelgehabe eines Deutschrappers, der sich eigentlich nichts sehnlicher wünscht, als dass sich die Leute mit seiner Musik beschäftigen, anstatt mit Scharmützeln abseits der Bühne. Wir trafen Sido in Berlin und sprachen mit ihm über sein neues Album, auf Hochglanz polierte Schuhe und die Schattenseiten des Daseins als Dr. Jekyll und Mr. Hyde.

Hi Sido, erst mal alles Gute nachträglich. Du hattest letzte Woche Geburtstag. Ordentlich gefeiert?

Sido: Ja, total. Man wird ja nur einmal im Leben 19 (lacht).

Mal im Ernst, findest du bei all den beruflichen Baustellen, überhaupt noch Zeit um derartige Termine gebührend zu feiern?

Naja, es ist schon schwieriger geworden. Die Zeiten, in denen wir die Feste feierten wie sie fielen, sind schon lange vorbei. Wenn ich neben der Arbeit mal etwas Zeit finde, dann verbringe ich die mit meiner Familie - und zwar ausschließlich. Es gibt nur noch Arbeit und Familie in meinem Leben. Für alles andere ist eigentlich kein Platz mehr.

Apropos Arbeit: Du hältst gerade ein Exemplar der Deluxe Edition deines neuen Albums in den Händen. Zufrieden mit dem Ergebnis?

Absolut. Ich meine, guck es dir doch mal an. Zwei CDs, inklusive Fotobook im Vinyl-Format. Da kann man nicht meckern, oder?

Eigentlich nicht, zumal der Preis, wie ich gestern gesehen habe, ein Witz ist. 40 Songs und ein Hochglanz-Fotobook für 23 Euro. Da kann man von einem Schnäppchen reden, oder?

Definitiv. Wir wollten das auch unbedingt so machen, obwohl es geschäftstechnisch eigentlich ein Schlag in die eigene Fresse ist. Heutzutage funktionieren die Charts ja komplett anders, als noch vor einigen Jahren. Je größer deine Einnahmen am Produkt, umso höher steigst du in den Charts. Das war ja früher umgekehrt. Demnach hätten wir das Album - das Ziel Charts vor Augen - eigentlich wesentlich teurer raushauen müssen, damit es sich wirklich rechnet. Aber eine Best Of ist in meinen Augen immer noch ein Fanprodukt, das sich jeder leisten können sollte. Daher der günstige Preis, you know? Die Gewinnspanne ist hier wirklich nicht allzu hoch, aber dafür ist die Freude bei den Fans umso größer.

"Ich habe noch nie einen Rocker mit Jordans gesehen"

40 Tracks - war dieses Ausmaß von vornerein geplant oder konntest du einfach nicht loslassen?

Es war mir einfach wichtig, wirklich alle Songs aufs Album zu packen, die mir besonders viel bedeuten. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten es auch noch zehn weitere Songs verdient gehabt, auf dem Album zu landen. Aber man hat ja auch nur eine begrenzte Speicherkapazität auf zwei CDs.

Ist dir die Auswahl schwer gefallen?

Es war schon ein ganz schöner Akt, keine Frage. Ich habe mir einfach all meine Veröffentlichungen vorher noch mal angehört und dann die Sachen rausgepickt, die meiner Meinung nach auf ein Best Of-Album gehören. Dann habe ich immer wieder reingehört, die jeweiligen Songs hin und her geschoben und, und, und. Dann wurden wieder Songs aussortiert und andere Songs kamen dazu. Das war schon ziemlich anstrengend.

Ich wollte aber keine Standard-Best Of machen, sondern meine ganz persönlichen Favoriten in ein rundes Ganzes verwandeln. Die Songauswahl habe ich ganz allein getroffen. Deswegen werden sich bestimmt auch viele Leute über die Tracklist wundern, denn es sind eine Menge Songs drauf, über die kaum jemand je gesprochen hat. Das ist mir aber egal. Ich finds geil so.

Es gibt einige, die den "Arschficksong" vermissen.

Der war auch auf den ersten zwei oder drei Probeversionen noch drauf. Irgendwie hat er aber dann doch nicht so richtig gepasst. Das lag aber nicht an der vermeintlich dreckigen Attitüde des Songs sondern an meiner ganz persönlichen Wunschvorstellung des Gesamtbilds. Da drin funktionierte der Song irgendwie nicht.

2011 war ja ein ziemlich erfolgreiches Jahr für dich. Es gab die Zusammenarbeit mit Bushido, den Kinofilm und die regelmäßigen Ausflüge ins öffentlich-rechtliche österreichische Fernsehen. Hatten all die Lorbeeren etwas mit der Entscheidung zu tun ein Best Of-Album in Angriff zu nehmen?

Nein, nicht wirklich. Wenn es nach mir gegangen wäre, würde es noch gar kein Best Of-Album geben. Der Punkt ist einfach, dass ich damals von Aggro zu Universal gewechselt bin und einer der Vertragspunkte beinhaltete, dass Aggro den Soundtrack zum Blutsbrüdaz-Film und eben ein Best Of-Album veröffentlichen darf. Die wollten das Album eigentlich auch schon im Frühjahr raushauen, aber zum Glück konnte ich sie noch umstimmen. Weihnachtsgeschäft, you know (lacht)?

Ah, verstehe. Wenn schon günstig anbieten, dann aber wenigstens innerhalb einer lukrativen Phase.

Genau. Mittlerweile finde ich aber auch, dass es eigentlich doch ganz gut passt. Mein Leben ist gerade im Wandel. Ich habe eine neue Frau, eine Produktionsfirma und kreiere nebenbei noch eine eigene Kopfhörerlinie. Unheimlich viele neue Dinge passieren gerade in meinem Leben. Insofern empfinde ich dieses Best Of-Album eigentlich auch als guten Abschluss.

Es sind auch sechs neue Tracks vertreten. Es gibt ja Kollegen, die stampfen noch vier weitere aus dem Boden und präsentieren dann ein komplett neues Album. Das kam für dich nicht in Frage?

Nein, ich wollte noch kein richtig neues Album machen. Ich fand es aber wichtig, meinen Fans etwas mehr zu bieten als den üblichen Greatest Hits-Standard.

Ich habe gestern das erste Mal das Video zum Song "Meine Jordans" gesehen und danach stundenlang im Keller nach passendem Schuhwerk für unser heutiges Gespräch gesucht. Aber Schuhe mit Häkchen trage ich mittlerweile nur noch, wenn ich mit meinem Sohn zum Bolzen fahre. Schlimm?

Nö, passt schon (grinst).

Ich steh halt mehr auf drei Streifen.

Kein Problem.

Wie wichtig sind dir Schuhe?

Sehr wichtig. Aber in dem Song geht es eigentlich viel mehr um das grundlegende Kokettieren mit Rap-affinen Dingen. Es gibt Kollegen, die schreiben Songs über Gucci-Brillen, glänzende Sterne auf ihren Autos oder andere Sachen, mit denen Rapper gerne prahlen. Das ist halt so bei uns. Ein Rapper zeigt halt gerne, was er hat. Die Kohle, die Autos, die Uhren, die Mädels: Das gehört dazu. Und Jordans sind halt so eine Art Heiligtum im Hip Hop-Business. Ich habe noch nie einen Rocker mit Jordans gesehen. Mir sind meine Jordans wichtig, sehr wichtig.

Wie viele Schuhe hast du?

Oh, ich hatte mal um die 400 Paar. Heute habe ich aber nur noch ungefähr 100.

'Nur noch' ist gut. Ich habe sieben Paar Schuhe daheim, inklusive Hausschuhe.

Dafür habe ich keine Hausschuhe (lacht).

"Dieser Typ ist ein Witz"

Aufgrund deines Images spaltest du natürlich. So gibt es neben deinen treu ergebenen Fans auch mindestens genauso viele, die sich so gar nicht mit dir und deinem Schaffen anfreunden wollen.

So wie die Leute von laut.de zum Beispiel (grinst).

Ach, nimmst du das so wahr?

Naja, ich kann mich erinnern, dass ihr gerade zu Beginn meiner Karriere mit zu meinen größten Kritikern zähltet. Aber das ist schon okay.

Du kannst deinem Unmut gerne freien Lauf lassen.

Nö, passt schon (lacht).

Fühlst du dich ungerecht behandelt?

Ich rede jetzt mal ganz allgemein. Wenn es sich nicht wirklich um ein Hip Hop-spezifisches Medium handelt, dann haben die Leute in der Regel auch nur Interesse daran, die Dinge festzuhalten, die nichts mit meiner Musik zu tun haben. Daran habe ich mich aber mittlerweile gewöhnt. Das ist halt so. Ich habe aber, was die vermeintlich skandalöse Öffentlichkeitspräsenz angeht, mit den Jahren viel gelernt. Es gibt dahingehend nicht mehr allzu viel zu berichten, was auch gut ist.

Naja, vor zwei Monaten ging es mal wieder hoch her, Stichwort: Dominic Heinzl.

Es gibt halt Leute, die nicht merken, wann das Maß einfach voll ist. Dieser Typ ist einfach ein Witz. Schon als wir uns vor zwei Jahren das erste Mal während eines Interviews begegneten, hat mich dieser Mensch auf die Palme gebracht. Er war frech, respektlos und hat sich aufgeplustert wie ein Gockel.

Danach habe ich gesagt, dass man bitte dafür sorgen soll, dass sich unsere Wege nicht noch einmal kreuzen. Aber irgendwie klebte er immer wie ein Schatten an mir. Permanent hat er mich in seinen Shows durch den Kakao gezogen. Das ist ja auch völlig okay, kann er ja machen. Aber an diesem Abend hat ihn halt irgendeiner zu mir durchgelassen, und der Herr hatte nichts Besseres zu tun, als mich abermals zu provozieren. Naja, der Rest ist Geschichte.

Ein Schlag und Dominic Heinzl sank zu Boden.

Ja, aber wie! Hast du gesehen, wie er zu Boden ging? Irgendwie ziemlich zeitverzögert, oder? Das zeigt doch eigentlich alles. Aber egal, das Ding kommt jetzt vor Gericht und dann gucken wir mal.

Das Ganze lief ja während der österreichischen Castingshow Die große Chance ab. Mit derartigen Formaten scheinst du dich ja in den letzten Jahren angefreundet zu haben. Warum hast du nach der 2008er-Popstars-Staffel nicht in Deutschland wieder Platz auf einem Jurystuhl genommen?

Ganz einfach: Abgesehen von "The Voice" kannst du alle Formate hierzulande in die Tonne treten. In Österreich läuft das wesentlich menschlicher ab. Das liegt vielleicht auch daran, dass die Show von einem öffentlich-rechtlichen Sender gemacht wird. Da wird nicht geschummelt und getrickst. Die Leute kriegen wirklich eine reale Chance. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie rappen, singen oder schreien. Was gut ist, wird auch für gut befunden.

Dennoch dürftest du die Zeit bei Popstars, zumindest in privater Hinsicht, in guter Erinnerung behalten. Du warst danach erst mit Doreen Steinert von Nu Pagadi liiert und bist seit diesem Jahr mit Charlotte Engelhardt zusammen. Zu einer verspäteten Blutsbrüderschaft mit Detlef D! Soost wird es aber wohl eher nicht mehr kommen, oder?

Nein, auf keinen Fall.

Bist du nachtragend?

Das hat nichts mit nachtragend sein zu tun.

Sondern?

Pass auf, es gab erst vor ein paar Tagen eine Situation, über die ich heute noch lachen muss. Zu meinem Geburtstag bekam Charlotte eine Nachricht von Detlef, weil er selbst meine Nummer wohl nicht hat (grinst). Darin bat er sie, mich zu fragen, ob ich denn nicht Lust hätte mit ihm eine Fernsehshow aufzuziehen, so nach dem Motto: Detlef gegen Sido. Hallo?

Echt? Das fänden viele Leute bestimmt spannend.

Ja, mag sein. Für mich ist das aber eine absolutes No Go, never, niemals. Merkt der noch was?

Kurz noch zum Abschluss: Castingshows, Kopfhörerlinie, Kinoausflug: Hältst du schon Ausschau nach beruflichen Optionen für die Zeit nach deiner aktiven Laufbahn als Musiker?

Ja, zum Teil schon. Aber es wird noch ein Weilchen dauern, bis ich Ruhe gebe (lacht). Mein nächstes Album ist für 2013 in Planung. Aber später? Ich denke schon, dass ich langfristig gesehen, entweder vor oder hinter der Kamera glücklich werde.

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LAUT.DE-PORTRÄT Sido

"S wie der Stress, den du kriegst wenn ich am Mic bin. I wie 'Du Idiot!' Mich zu battlen wär' Leichtsinn. D wie die Drogen, die ich mir täglich gebe.

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