22. Mai 2025
"Wenn mein Uber ein Tesla ist ..."
Interview geführt von Désirée Pezzetta30 Jahre gibt es Skunk Anansie nun schon. Wie kaum eine andere Rockband der 90er haben die Briten den Weg für junge, queere Künstler*innen geebnet.
Ihr neues Album heißt "The Painful Truth". Redakteurin Désirée Pezzetta durfte vorab schon reinhören und hat sich in Berlin mit Skin und Ace nicht nur über die neue Musik, sondern auch das aktuelle Weltgeschehen unterhalten.
Glückwunsch zum neuen Album! Ich bin total begeistert. Es ist so kraftvoll. Viele Künstler*innen werden mit den Jahren etwas seichter – aber ihr nicht. Ihr seid das Gegenteil: voller Energie und Tiefe. Wie kommt es, dass ihr nicht den kitschigen Weg gegangen seid wie so viele andere?
Skin: Ich glaube, man könnte sagen, wir sind das schon – und dann wieder auf der anderen Seite rausgekommen. Es gibt sicher ein Album, das wir selbst nicht mehr so mögen. Aber wir haben daraus gelernt. Wir haben während COVID einiges durchgemacht – auch gesundheitlich und persönlich. Und wir haben unseren Manager verloren, der über 30 Jahre bei uns war. Plötzlich waren wir nur noch zu viert, direkt konfrontiert mit der "schmerzhaften Wahrheit". Das war die Basis, um einen neuen Produzenten zu finden – einen, der auch schreibt. Denn alle schreiben heute mit anderen Leuten, und wir hatten viele intime Alben, bei denen wir nur unter uns waren. Ich wollte diesmal jemanden, der sich in die Songs vertieft – in die Struktur, die Essenz. Mit Dave Sitek (TV on the Radio) zu arbeiten, war großartig. Keiner von uns wusste so richtig, was wir taten – aber wir wollten unbedingt etwas Gutes machen. Und dann war es ein Prozess von Trial and Error. Jeder Song durchlief viele Versionen. Wir mussten die Band fast spirituell neu aufbauen.
Also habt ihr auch etwas Kontrolle an den Produzenten abgegeben?
Skin: Ja, absolut. Wir haben vorher zwar mit Produzenten gearbeitet, aber noch nie mit einem, der auch Künstler ist. Das ist etwas ganz anderes. Du musst dein Ego komplett zur Seite schieben. Es geht nur noch darum, großartige Songs zu machen – egal, wer sie geschrieben hat. Der Produzent muss wirklich in den Song eintauchen, und das geht nur, wenn er selbst auch Künstler ist. Wir wollten jemanden, der sich nicht nur auf den Klang, sondern auf die Struktur konzentriert. Das Ergebnis ist inspirierend.
Das Album heißt "Painful Truth", was ist die größte, schmerzhafte Wahrheit für euch?
Skin: Dass Menschen immer wieder dieselben Fehler machen. Wir zerstören ständig Dinge, obwohl wir es besser wissen. Alles, was gerade passiert, ist schon passiert. Lernen wir daraus? Nein. Wir verstecken die Vergangenheit nur, damit wir die Fehler erneut machen können. Aber jede*r von uns hat seine eigene schmerzhafte Wahrheit. Für Cass ist sie anders als für mich. Wir wollen, dass die Leute ihre eigene finden. Vielleicht ist sie politisch, vielleicht persönlich. Vielleicht merkt jemand, dass er Trump vertraut hat – nur um dann zu erkennen, dass er ihm nichts bedeutet. Oder jemand merkt, dass die eigene Beziehung nicht funktioniert. Es geht darum, ehrlich zu sich selbst zu sein.
Und als Band?
Skin: Ob wir überhaupt noch gut genug sind. Ob wir ein weiteres starkes Album machen können. Ob wir weitermachen sollten. Das haben wir uns gefragt.
Ace: Meine schmerzhafte Wahrheit ist eine tiefe Enttäuschung über die Menschheit – aber das ist keine Überraschung mehr. Man ist enttäuscht, aber nicht mehr schockiert. Das Verhalten der Menschen ist so oft schlecht, dass es fast erwartbar ist.
Skin: Genau. Und je älter man wird, desto öfter denkt man: "Ach ja, schon wieder derselbe Fehler." Aber man braucht Hoffnung. Ohne Hoffnung, wofür leben wir dann? Was ich nicht fassen kann: Trump wurde zweimal impeached, galt als Schurke – und trotzdem wählen ihn viele wieder. Wie soll man da noch Vertrauen in Menschen haben?
Ace: Stell dir vor: Ein Präsident wird zweimal angeklagt, war mit einem Pädophilen befreundet, redet abfällig über Frauen, hetzt gegen Einwanderer – und trotzdem bekommt er wieder Macht. Es ist wahnsinnig. Was soll man da noch von den Menschen denken.
Skin: Und dann war da Elon Musk. Diese Wahl wurde für Trump gekauft. Von großen Geldgebern, allen voran Musk. Es geht längst nicht mehr um Demokratie, sondern um Kapitalmacht.
"Das ist keine politische Haltung, sondern Menschlichkeit"
Skin, du bist auch auf Social Media sehr vokal im Bezug auf deine politischen Ansichten. Bekommst du viel negatives Feedback?
Skin: Mittlerweile ist es für mich nicht mehr nur Politik, sondern grundlegendes soziales Bewusstsein. Es geht nicht um Parteien, sondern um Anstand und Grundrechte. Jede*r sollte frei von Rassismus, Sexismus oder Homophobie leben dürfen – das ist keine politische Haltung, sondern Menschlichkeit. Klar, es gibt Kritik. Aber ich lasse das nicht an mich ran. Klar, man kann lamentieren, dass alles scheiße ist. Aber eigentlich ist nicht ALLES Mist. Für mich jedenfalls nicht, mein Leben ist gut. Ich habe eine Tochter, eine Ehefrau, ein Haus, spiele eine ausverkaufte Tour. Ich lebe einen elitären Lifestyle und ja, dafür lohnt es sich zu kämpfen. Aber man darf sich auch nicht kaputtmachen lassen davon. Zuhause zählen meine Frau, meine Tochter, gutes Essen, gemeinsames Spielen. Manchmal braucht es ein extremes Feindbild, um Menschen wieder zu vereinen. Wenn es in der Gesellschaft gut läuft, vergessen die Leute, wie gut es ihnen geht und fangen an, sich gegenseitig anzugreifen. Manchmal braucht man einen Diktator, um wieder zu kämpfen, damit sich alle endlich daran erinnern, was sie mit sich anfangen und wen sie unterstützen sollten. Und ich glaube, das passiert gerade
Ace: Das ist alles sehr wahr. Die Bedrohung ist so groß geworden, dass viele merken: Wir müssen uns zusammenreißen. Statt sich gegenseitig für Kleinigkeiten zu canceln, sollten wir gegen die kämpfen, die uns wirklich schaden.
Skin: Genau. Es ist verrückt, dass Leute Boy George angreifen und sogar canceln– dabei hat er Musik und Gender revolutioniert. Stattdessen sollten wir uns gegen Leute stellen, die unsere Rechte nehmen wollen. Und weil Trump und Musk so schlimm sind, steigt jede*r ein und solidarisiert sich.
Man wird verarscht werden, wenn man einen Tesla hat ...
Ace: Das passiert ja schon, die Verkaufszahlen gehen zurück. Und die Teslas sind echt enttäuschend. Touchscreens ohne Nutzen, billige Materialien. Man fragt sich: "Hast du dafür wirklich 40.000 Tacken ausgegeben?"
Skin: Ja, der Mythos fällt. Viele kaufen keine Teslas mehr. Es ist schon fast negativ konnotiert, wenn jemand einen Tesla fährt. Die Autos sind Plastikmüll, teuer und überbewertet. Und Musk lebt nur von Subventionen. Ohne staatliche Hilfe wäre er längst weg vom Fenster. Er verspricht immer nur und liefert exakt gar nichts. In den nächsten Jahren werden die Menschen nicht mehr in diese Nazi-Connection investieren.
Ace: Ja, man wird verarscht werden, wenn man einen Tesla hat.
Skin: Und dann bestellst du ein Uber, und es ist ein Tesla. Wenn ich sehe, dass mein bestelltes Uber ein Tesla ist, storniere ich den Auftrag. In meinem ganzen verdammten Leben werde ich mich nicht mehr in einen Tesla setzen.
Lest ihr Social-Media-Kommentare?
Ace: Auf der Skunk Seite? Eher selten. Ich schaue lieber Bilder unserer Gigs an und freue mich.
Skin: Ich lese schon. Aber meistens nicht die auf unseren Seiten, sondern die Kommentare unter lustigen Beiträgen. Menschen können wirklich lustig sein und ich versuche, meinen Algorithmus entsprechend zu trainieren. Die meisten negativen Kommentare kommen eh von Leuten ohne Ahnung. Das macht keinen Spaß mehr. Deshalb lesen viele Künstler*innen kaum noch mit. Du spielst nicht Gitarre, aber machst online einen Gitarristen runter? C'mon.
"Gott ist zu einem Werkzeug der Unterdrückung geworden"
Ihr tourt gerade. Wie bleibt ihr bei diesem Pensum und den ganzen Meet and Greets so gesund?
Skin: Wir werden auch krank, klar. Meine Stimme hat sich gerade erst wieder erholt. Aber wir jammern nicht auf der Bühne. Wir nehmen Vitamine, essen gesund – und die Energie auf der Bühne heilt manchmal alles.
Ace: Nach dem Auftritt sind wir voller Adrenalin, man schwitzt, da fühlt man sich nicht krank. Es ist besser, rauszugehen und mit Fans zu reden, als im grauen Backstage zu hocken.
Skin: Ich bin da etwas anders – brauche eher Ruhe nach den Shows. Aber das respektieren wir. Jede*r ist anders.
Ihr seid seit über 30 Jahren eine Band. Was ist das Geheimnis eurer Gruppenharmonie?
Skin: Glück. Wir mögen uns wirklich – das ist selten.
Ace: Die Chemie stimmt einfach.
Skin: Ace und ich waren sogar schon vor der Band befreundet und mit Cass habe ich auch vorher schon in einer Band gespielt.
Ace: Auch unsere Crew passt zu uns. Wenn wir neue Leute ins Team holen, fragen wir zuerst: "Was sind das für Menschen?" Erst dann: "Wie gut sind sie?" Schlechte Vibes machen wir nicht mit. Dann schmeißen wir auch jemanden mitten in einer Tour raus.
Heute verändert sich Rockmusik stark. KI übernimmt. Wie seht ihr diese Entwicklung?
Skin: Klar, du kannst ein Album mit KI machen. Aber es wird nicht gut klingen. Die Menschlichkeit fehlt. KI kann nicht fühlen, nicht singen, keine echten Texte schreiben. Deshalb: Nutze als Künstler*in KI, wo sie hilfreich ist und dir dein Leben leichter macht. Aber betone dafür das Menschliche noch mehr. Denn das kann die KI nicht. Sie ist kein Mensch.
Ace: Menschen möchten sich auch connecten, zusammen etwas erschaffen. Das liegt in unserer Natur. Mick Fleetwood hat gesagt: "Du kannst ein Album allein machen – aber mit anderen macht es mehr Spaß." So war's schon immer. Viele junge Musiker*innen verlassen sich nur auf Social Media. Aber die Wahrheit ist: Geh raus, spiel Gigs. So erreichst du Menschen.
In einem Song auf dem Album heißt es auch: "An artist is an artist, even without followers."
Skin: Genau. Ein Künstler ist jemand, der etwas ausdrücken will – nicht jemand mit vielen Likes.
*Skin rappt den Song "An Artist is an Artist*
Mein Lieblingssong ist "Shame". Und die Zeile "You left us idols, not heroes" aus "Cheers" hat mich besonders bewegt.
Skin: Ja, "Cheers" ist sarkastisch. Ein Toast auf das, was schiefläuft. Die Zeile kritisiert, wie wir falsche Idole anbeten – Politiker, religiöse Figuren – anstatt echte Helden zu feiern. Ich kann einfach nicht mehr an diesen Gott glauben, von dem die christlichen Nationalisten ständig reden. Sie sagen, Jesus wird uns retten, alles wird wunderbar – aber schau dich doch mal um in der Welt. Es läuft überhaupt nicht wunderbar. Klar, die Leute sagen dann, Gott hat dem Menschen den freien Willen gegeben. Aber wenn das das Ergebnis ist – Mord, Leid, Kinder, die sterben – dann hätte er diesen freien Willen lieber wieder wegnehmen sollen. Es macht für mich einfach keinen Sinn. Wieso sollen wir so einen Gott überhaupt verehren? Warum klammern sich die Leute weiter an ihn? Warum benutzen sie ihn als Rechtfertigung, um anderen weh zu tun, um Hass zu verbreiten, um Rechte zu nehmen? Für mich ist Gott zu einem Werkzeug der Unterdrückung geworden, ein Vorwand für Grausamkeit. Und wenn das euer Gott ist – dann will ich mit ihm nichts zu tun haben. Ganz egal, welchen Namen ihr ihm gebt – ob christlich, muslimisch, buddhistisch oder sonst was. Es ist nicht Gott, der gut oder böse ist – es sind die Menschen. Und ich finde, wir sollten endlich aufhören, Gott als Ausrede für unser Verhalten zu benutzen. Wir brauchen keinen Gott, um zu wissen, was richtig und falsch ist. Und wir sollten aufhören, Idole wie Trump anzubeten, als wären sie Helden. Sie sind keine. Und dieser Götzenkult, diese ganze religiöse Selbsttäuschung – das ist das eigentliche Problem.
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