laut.de-Kritik

Electropop hätte man wohl nicht erwartet.

Review von

Skunk Anansie haben sich neu erfunden. Pumpender Electropop im Stile der frühen Marina And The Diamonds variiert auf ihrem siebten Studioalbum "The Painful Truth" die Melancholie, ein Markenzeichen der Skunks, etwa in "Lost And Found" und "This Is Not Your Life". "Lost And Found" erscheint da noch als das weicheste und unmittelbar greifbarste aus dem Longplayer.

Und manchmal gerät das neue Electro-Image schrill, wirken die Beats klirrend, pfeifend, kommt ein bisschen FKA Twigs-Ästhetik und theatrales Soundtrack-Design ins Spiel wie bei "Animal", der neon-grellsten Nummer. Bassist Cass findet das im Gespräch ein bisschen weit her geholt. "Aber das liebe ich, wenn man solche Vergleiche zieht", kommentiert Skin. "Ich finde FKA Twigs zu exzentrisch für 'Pop', zu abseitig, 'crazy' und abgefahren, aber eine unglaubliche Künstlerin. Von daher mag ich den Vergleich ziemlich."

Über neun Jahre liegt der Vorgänger der ausdauernd tourenden Band aus London zurück. Die Kreativ-Pause währte länger als davor die Trennung der Gruppe während der 2000er. Nicht alles ist jetzt anders. Peitschende Punkrock-Strophen mit verzweifelten Vocals, hymnischem Chorus und Purzelbaum-Kaskaden an den Snares gibt es vereinzelt noch, siehe "Shoulda Been You". Mag sein, dass das Quartett mitbekommen hat, wie andere und jüngere Gruppen das Sound-Erbe der Grunge-getränkten Anything-goes-90er in etwas Synthie-Glitter-Verziertes verwandeln: The Mysterines aus Liverpool ließen sich da als Referenz heranziehen. "Fell In Love With A Girl" ähnelt deren aktueller Klangfarbe.

Andererseits gehen Skin, Ace und ihre Rhythm-Twins eine Reihe von Experimenten ein, die überhaupt keine Parallelen mit irgendwem erkennen lassen und außerdem einen riesigen Spagat in die Wege leiten. Von der kakophonischen Freejazz-Punk-Funk-Fusion im Opener "An Artist Is An Artist", der als Live-Banger bereits zündet, bis zum ruhigen Innehalten rund um die Themen Karma und Engel im Closer "Meltdown" passiert allerhand. Umgekehrt unterlässt die Vierer-Crew gleichzeitig vieles, wofür sie nie wirklich das glückliche Händchen hatte. So unterbleiben Ska-Versuche (bis auf eine rhythmische Andeutung am Anfang von "Shoulda Been You"), und es gibt keine Metal-Flirts. Die immer noch beeindruckend klare Sopran-Stimme von Frontfrau Skin bezirzt und zieht die Hörer:innen wie ein Traktor mit Charisma durch die Lieder. Das klappt selbst dann ganz gut, wenn manche Kompositionen und Arrangements eigentlich eher eine mediokre Angelegenheit sind, wie in "Shame".

Als Produzent agierte David Sitek. Er verantwortete eine Reihe von TV On The Radio-Platten und arbeitete zuletzt auch mit Weezer. Die Electropop-Biege gab es, zugegeben, auch ohne ihn schon einmal, ein einziges Stück lang - das war "Victim" auf "Anarchytecture". Bei diesem wie auch anderen Alben lag es teils an den Harmonien, teils an den Lyrics, den Performances, der Dramaturgie, insgesamt an Verschiedenem, dass die Band kaum mehr Substanzielles, Einprägsames riss, obschon sie kommerziell erfolgreich blieb. Skunk Anansie merkten selbst, wie sie ausbrannten. Sie machten es sich quasi als ihre persönliche "Painful Truth" bewusst: Entweder mussten sie etwas grundlegend verändern oder sie würden einfach keine Maßstäbe mehr setzen, sich selbst nicht mehr für voll nehmen können.

"Wenn wir nichts Frisches und Vorausdenkendes machen würden, könnten wir als Band nicht weiter fortbestehen", bringt Skin es drastisch auf den Punkt. Das neue Werk lässt sich nun endlich gut durchhören ohne zu gähnen und probiert vieles aus. Ob es der einmal rundherum in New Wave geschwenkte Disco-Bounzer "Fell In Love With A Girl" über den "typical fuck-boy" ist oder die vertonte Ekstase "My Greatest Moment" über Ewigkeit und das Vermächtnis der Erinnerung. Dieses spannende Melodram kitzelt aus Skin all ihre Feinheiten im Vermitteln der Worte heraus.

Als Rahmen designt die Gruppe dafür einen majestätischen Slow Motion-Drum'n'Bass - eine überraschende, aber auch überragend gute Wahl! Wenn man bei der Kirsche auf der Torte angelangt ist, dem sphärischen "Meltdown", hat man sich nach insgesamt viel Input und Trommelwirbel eine Vocal Ballad und einen intimeren Rahmen für Skins wundervolle Vortragskunst durchaus verdient und bekommt ein schönes LP-Ende serviert. Mit diesem Album veröffentlichen Skunk Anansie nach langer Zeit wieder relevante Lieder, die ihren legendären Status als eine der innovativsten Kapellen der 90er untermauern und ein neues Kapitel eröffnen.

Trackliste

  1. 1. An Artist Is An Artist
  2. 2. This Is Not Your Life
  3. 3. Shame
  4. 4. Lost And Found
  5. 5. Cheers
  6. 6. Shoulda Been You
  7. 7. Animal
  8. 8. Fell In Love With A Girl
  9. 9. My Greatest Moment
  10. 10. Meltdown

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