Galt das Wort Jungle zunächst als Oberbegriff für jenen schnellen Breakbeat-Sound, der sich aus dem englischen Hardcore Anfang der 90er Jahre entwickelt hatte, setzte sich mit dem Schwinden des Ragga-Einflusses und der Erweiterung des musikalischen Spektrums allmählich die Bezeichnung Drum'n'Bass durch. Ein Etikett, das die Essenz des Sounds besser auf den Punkt brachte: Beats, die mittlerweile bei gut 160 BPM angekommen waren und ein tiefer Bass.
Alex Reece landete 1995 mit "Pulp Fiction", das scheinbar in seiner minimalistischen Struktur, seinen geraden Beats und seinem Jazz-Appeal kaum noch etwas mit dem nervösen Jungle-Flair geschweige denn UK-Hardcore tun hatte, einen Clubhit. Mit Goldies Meilenstein-Album "Timeless" bekam die Musik für die Masse ein Gesicht. Und zwar ein ziemlich einprägsames! Mit der Drum'n'Bass-Blaupause "Terminator" hatte der spätere James-Bond-Bösewicht bereits 1992 die Szene aufgemischt. Nun war er Kopf eines der einflussreichsten Drum'n'Bass Labels (Metalheadz), für das DJs wie Kemistry & Storm als musikalische Missionare durch die Clubs der Welt zogen und mit der rohen und futuristischen Energie ihrer Platten Scharen von Fans bekehrten.
Londoner Brutstätten des Sounds der Stunde waren seinerzeit der legendäre Club 'Speed' und die sonntäglichen Metalheadz Sessions im 'Blue Note', bei denen sich die Drum'n'Bass-Chefriege um Fabio, Goldie, Grooverider und Doc Scott einfand, um mit den neuesten, frisch auf Dubplate geschnittenen Dance-Hymnen die Crowd zum Kochen zu bringen.
Drum'n'Bass war in, fand sich in seiner melodiösen Variante auf zahlreichen Lounge-Compilations und in Werbespots wieder. Pioniere wie Roni Size (Reprazent) bekamen dicke Plattenverträge und Coverstorys in den Musik-Gazetten. Gearbeitet wurde dabei an den verschiedensten Baustellen: Während LTJ Bukem mit seinem Good-Looking-Label den atmosphärischen - anfangs Intelligent Drum'n'Bass genannten - Part des Genres okkupierte, forschten Nerds wie Photek oder Source Direct mit einer immer komplexer werdenden Beat-Struktur an einer vertrackten Jungle-Wissenschaft. Andere sampelten Jazz-Loops, Soul Vocals oder wagten den Crossover zum Rap. Auch die Popwelt entdeckte Jungle. Bands wie Everything But The Girl ließen sich remixen oder bauten Drum'n'Bass-Elemente in ihr Repertoire ein, so auch David Bowie. Drum'n'Bass war der Sound der Stunde und viele schwärmten schon vom europäischen Pendant zum US-Hip Hop.
Das war aber dann doch mächtig übertrieben. Zwar waren Drum'n'Bass-Tracks nach wie vor in England immer für eine Chart-Platzierung gut. Doch insgesamt ebbte der ganze Hype rasch ab, als die Darkness-Welle über den Drum'n'Bass schwappte. Diese minimalistischen, kalten und bedrohlich-technoiden Produktionen von Ed Rush, Optical, Fierce und Konsorten waren nichts mehr für den Mainstream. Trotzdem hatte sich - in England sowieso, aber auch in Europa und dem Rest der Welt - eine feste Szene mit Künstlern, Clubs, DJs und Labels etabliert, die auch ohne die großen Majorverträge den Sound am Leben hielt.
Im Laufe der Jahre verästelte sich Drum'n'Bass zusehends. Alte und neue Schubladen wie Intelligent, Techstep, Jazzstep, Drumfunk, Clownstep, Neurofunk und Liquid Funk wurden aufgemacht um den einzelnen Sub-Genres gerecht zu werden. Denn nach wie vor nährt sich Drum'n'Bass aus allen musikalischen Einflüssen, sei es Electro, Funk, Brazil, Soul, Hip-Hop, House, Jazz, Metal, Pop, Techno oder Trance - und auch der gute alte Reggae kam im neuen Jahrtausend im ganz großen Stil zurück.