14. Juli 2010
"Ich hatte schon Texte für Anthrax"
Interview geführt von Michael EdeleDas Interview mit dem Sipknot/Stone Sour-Fronter Corey Taylor steht unter strengen Restriktionen. Fragen zum kürzlich verstorbenen Slipknot-Bassisten Paul Gray sind untersagt. Und von dem im September erscheinenden Album "Audio Secrecy" bekommt man eine halbe Stunde vor Interviewbeginn gerade mal fünf Songs zu hören.Nicht die besten Voraussetzungen, um sich über das aktuelle Befinden von Slipknot und das neue Stone Sour-Album zu unterhalten. Da Corey aber ein heller Kopf ist und auch so jede Menge zu erzählen hat, lässt sich damit durchaus leben.
Während auf der Bühne noch die Vorband ihren Soundcheck macht, sitze ich Backstage und warte auf den Sänger. Schließlich kommt der Mann mit einem Brötchen und vollen Backen reingeschlappt, setzt sich mir gegenüber und mampft erst mal einen.
Corey Taylor: So, wie gehts?
So weit ganz gut und selber?
Joa, kann auch nicht klagen. Meine Knie sind ein wenig im Arsch, aber sonst. Das ist jetzt unsere zehnte Show innerhalb von zwölf Tagen, das schlaucht ganz schön. Aber bislang waren die Shows alle ziemlich geil. Das passt schon, auch wenn es Stress ohne Ende ist. Wir hatten zwischen den Albumaufnahmen und der Tour gerade mal ein paar Tage Zeit, um unser Zeug zusammen zu packen und dann ging es auch schon los. Und der erste Gig war dann auch gleich Rock am Ring vor diesem riesigen Publikum. Keine Warm-Up-Show oder irgendwas, direkt auf die große Festival Bühne. Das war schon geil.
Ihr seid ja noch kräftig unterwegs. Auch auf den Sonisphere Festivals mit Metallica, Slayer, Megadeth und Anthrax seid ihr dabei.
Ja, die nächsten zwei Wochen sind Sonisphere, dann ist noch das Hellfest und ein paar Shows mehr. Dann kommen wir tatsächlich auch mal heim. Wir haben zuvor aber auch noch Dates in Bulgarien, worauf ich mich sehr freue, denn bislang war ich da noch nie.
In dem Moment meint die Vorband, dass der Soundcheck noch nicht lange genug war und lärmt noch mal los.
Wer sind die überhaupt?
Oh, das ist eine englische Band namens No Americana. Unsere Manager hat uns die empfohlen, und wir geben den Jungs einfach mal eine Chance. Für ihr Alter sind die richtig gut und haben jede Menge Hooks in ihren Songs. Finde ich nicht schlecht.
Engländer? Du hast nicht zufällig die Fußball-Weltmeisterschaft verfolgt?
Ich hab die ersten beiden Spiele gesehen, also Südafrika gegen Frankreich und USA gegen England. Alter, das war schon cool. Vor allem, weil unser Tourmanager Engländer ist. Der kam nach dem Spiel mit einer total miesen Stimmung rein und wir fragten ganz unschuldig: "Wie ist das Match denn gelaufen?" - "HALTET DIE SCHNAUZE!!! Wir hatten nen ganz beschissenen Tag." Ich meinte nur: "Ooooder wir hatten ein gutes Team" (lacht). Am Tag darauf waren wir auf dem Download Festival und ich musste natürlich jeden Engländer in meiner Umgebung fragen, wie er das Spiel gestern fand. Ein Wunder, dass ich keine auf's Maul bekommen habe (lacht).
Ich bin ja großer Fan von "The Daily Show" mit Jon Stewart. Was er da mit seinem Außenreporter John Oliver abgezogen hat, der ja Brite ist, war großartig!
Ja, "The Daily Show" ist genial. Genau wie "The Colbert Report". Das ist mittlerweile die einzige Möglichkeit, tatsächlich einigermaßen wertvolle Information über die US-Politik zu bekommen, weil sie weder rechts- noch linkslastig sind. Was einem FOX News vorsetzt, ist langsam nicht mehr tragbar. So einen Scheiß kannst du dir echt nicht anschauen. Jon und Steven sind die Einzigen, die Scheiße echt noch beim Namen nennen. Hin und wieder schau ich auch bei CNN rein, aber die haben einfach keine Eier und versuchen, nur ja keinem ans Bein zu pissen. So kannst du keine informativen Nachrichten bringen. Die haben immer gut recherchierte Sachen und kommen immer nah an den Punkt, wo sie wirklich was aufdecken und bewegen könnte, machen dann aber einen Rückzieher. Was soll das? You're fucking CNN! Ich erwarte ja nicht mal, dass die sich klar für eine Seite aussprechen, die sollen einfach die Wahrheit bringen, egal wer dadurch gut oder schlecht da steht. Man muss eigentlich beide Seiten einer Geschichte bringen, um wirklich bei der Wahrheit zu bleiben und dabei wird man halt auch schon mal dreckig. Aber das erwarte ich von einem guten Nachrichtensender. So wie das BBC News machen. Ich bekomme von BBC News mehr brauchbare Informationen über mein eigenes Land, als ich das je von einem amerikanischen Sender bekommen könnte. Wie traurig ist das?
"Was bringt es denn, nach außen auf cool zu machen?"
Ich habe vorhin gehört, dass ihr während der Aufnahmen in Nashville Probleme mit einer Überflutung hattet?Die ganze Gegend um unser Studio herum stand unter Wasser. Glücklicherweise echt UM das Studio HERUM, denn das Studio selber war nicht betroffen. Dafür aber natürlich Tausende andere Menschen in Nashville. Ich hab in der Zeit auch versucht, so viel wie möglich Werbung für die ganzen Vereine und Organisationen zu machen, die für die Flutopfer gesammelt haben und sich um die Verpflegungen gekümmert haben, denn es sind Schäden in Millionen-Dollar-Höhe entstanden. Das war echt schlimm, ich konnte mir das ja mit eigenen Augen anschauen. Wir hatten echt unglaubliches Glück, dass unser Studio davon nicht betroffen war. Wir haben also nur ein paar Tage verloren, weil wir schlicht und ergreifend nicht bis zum Studio durchgekommen sind. Die Straßen mussten erst wieder freigeräumt und befahrbar gemacht werden. Wir hatten in Des Moines auch schon diverse Flutkatastrophen. Die letzte war 2008 und ich bin damals in der Gegend rum gefahren und habe irgendwelche Leute aufgesammelt und zu meinem Haus gebracht, weil deren Häuser komplett zerstört waren. Ganze Siedlungen waren dem Erdboden gleichgemacht worden, das war absolut verrückt. Von daher war das nichts wirklich Neues für mich, aber dennoch verdammt krass. Aber es hat gut getan zu sehen, wie schnell die Gemeinde sich zusammen geschlossen und Hilfe organisiert hat.
Könnte man da nicht gerade doppelt so viel kotzen, wenn man sieht, wie die Natur verrückt spielt, weil die Menschen sie versauen? Vor allem, wenn BP gerade den Golf von Mexiko langsam aber sicher mit Öl füllen?
Hör bitte auf. Das ist so dermaßen lächerlich und over the top. Ich kann nicht mal mehr wütend über so was werden. Es fehlt einfach komplett der Bezug zu dieser verheerenden Katastrophe. Die haben ein paar der besten Ingenieure auf diesem Planeten und die können so was nicht vorhersehen und entsprechen reagieren? Alles was sie bisher versucht haben, es abzudichten, zu schließen, was auch immer. Das war doch alles hilfloser Scheiß. Die beste Idee war also, Haare zu sammeln und damit das Öl aufzusaugen? Wie armselig ist das denn? Oder das Ding mit einer Bombe zu verschließen? Das sind die besten Ideen?? Ich darf da gar nicht weiter drüber nachdenken, weil einen so was echt in den Wahnsinn treiben kann. Und bei dem ganzen Schlamassel bleibt eine andere Katastrophe wie in Nashville beinahe unbeachtet. Wenn nicht ich und ein paar andere Leute versuchen würden, das Ganze publik zu machen und in den Medien zu bringen, wüsste außerhalb von Nashville keine Sau was von der Flut. Das ist so unglaublich …
Inspiriert dich so was auch wenn es ans Texte schreibe geht?
An sich schon, aber für die aktuelle Scheibe eher nicht. Ich hab mich dieses Mal nicht so sehr zu politischen Themen geäußert und mich mehr auf die soziale Kommentare konzentriert. Eher Dinge, zu denen eigentlich jeder einen Bezug hat. Manch einer kann mit Politik überhaupt nichts anfangen und kümmert sich auch nicht darum. Dieses Mal hab ich eher über Sachen geschrieben, die mich privat beschäftigen, über die ich selbst sehr viel nachdenke. Das hat dann mit Beziehungen zu tun, aber auch mit einem selbst. Dass man den Mut hat, sich selbst zu verwirklichen und auch für seine Überzeugungen einzustehen. Der Umgang mit dem Verlust von geliebten Menschen, ohne daran kaputt zu gehen und all solche Dinge. All das waren Dinge, die mich dieses Mal beschäftigt haben, als ich Texte geschrieben habe. Auf eine gewisse Art und Weise sind das die persönlichsten Lyrics, die ich je geschrieben habe. Ich denke, dass sich viele Menschen mit den Texten identifizieren können, auch ältere. Was hab ich davon, über meine Gefühle und Ängste zu singen, die ich in der High School hatte? Ich bin jetzt Mitte 30 und entsprechend gehe ich an die Dinge heran.
Machst du denn Unterschiede in deinen Texten, was du für diese oder für jene Band verwendest?
Eigentlich nicht. Es kommt immer darauf an, in welcher Stimmung ich bin und was mich jeweils beschäftigt. Der größte Unterschied zu den Texten von "All Hope Is Gone" ist eigentlich nur der Grad an Wut. Während der Arbeiten zu "All Hope Is Gone" war ich mehr oder weniger auf den Weg zu dem Grad der Ausgeglichenheit, die ich mittlerweile habe. Allerdings war ich damals immer noch von vielen Dingen unglaublich angepisst.
Auf "Audio Secrecy" sieht das schon anders aus. Ich betrachte die Dinge mit etwas mehr Abstand, teilweise sogar mit positivem Ansatz, obwohl die Themen nach wie vor oft negativ sind. Zum Beispiel frage ich mich, warum manche Menschen in Beziehungen bleiben, obwohl sie schon seit langem wissen, dass die Sache vorbei ist. Du hast alles gesagt, versucht, getan und du weißt einfach, dass es keinen Sinn mehr hat. Aber trotzdem bleiben viele Leute in einer solchen Beziehung. Warum? Ist es nur, weil du mit den zufrieden bist, was du kennst? Weil du Angst hast allein zu sein? Du selbst zu sein?
In wie vielen Bands singst du momentan eigentlich?
Oh Mann, das ändert sich andauernd (lacht). Da sind natürlich Slipknot und Stone Sour. Dann hab ich da noch ne Fun-Coverband und meine Solo-Akustik-Sachen. Dann hab ich ne andere Sache mit ein paar Typen laufen, über die ich aber nicht reden kann. Das liegt zwar momentan etwas auf Eis, wird aber echt ne richtig geile Sache. Und wenn's nach mir geht, könnt ich jeden Tag irgendwas anderes mit egal wem machen. Wenn irgendwer mit ner coolen Idee ankommt und mich das reizt, bin ich dabei (lacht). Als wir 2008 auf einer von diesen Festivaltouren unterwegs waren, haben ich und ein paar der Jungs von der Second Stage eine Band gestartet die absolut sinnlos und dämlich, aber dafür witzig war. Es ging eigentlich mehr um das Konzept, als um die Band. Wir waren eine politische Band, die nicht mal wusste, um was es ihnen politisch geht. Wir haben dann für die Rechte von Gummi-Tieren gekämpft und ähnlichen Blödsinn. Wir haben einen einzigen Gig gespielt und der war so unglaublich schlecht, man glaubt es kaum.
Wir haben auf der Hot Topic Stage gespielt, nachdem Machine Head auf der Hauptbühne fertig waren. Die kamen dann alle rüber gerannt und sind mit auf die Bühne. Das haben dann immer mehr Bands so gemacht und am Ende standen etwa 70 Leute auf der Bühne. Alle mit OP-Masken vor dem Gesicht und jeder hat irgendwas gespielt. Auf der Bühne waren mehr Leute, als im Publikum, aber es war einfach ne coole Sache. Die Leute sind einfach geflüchtet, weil wir richtig, richtig scheiße waren. Aber wir hatten einen Höllenspaß! Neben mir waren noch Leute von The Red Chord, Walls Of Jericho, Mastodon, Slipknot, Machine Head und was weiß ich noch dabei. Das war einfach nur geil. Ich bin ein Typ, der einfach seinen Spaß haben will und das auch zeigt. Was bringt es denn, nach außen einen auf cool und harter Typ zu machen? Ich hab lieber meinen Spaß und wenn ich mich für das Publikum mal zum Affen machen kann, warum nicht?
"Keiner steht für sich allein!"
Erzähl doch mal was über die Sache mit Anthrax. Da warst du ja auch mal im Gespräch als Nachfolger von John Bush.Das war verdammt nahe dran, tatsächlich wahr zu werden. Ich bin mit Scott (Ian), Frank (Bello) und Charlie (Benante) sehr gut befreundet und wir haben zusammen diesen Akustik-Gig in New York gespielt. Das war irgendwann 2006 und wir hatten echt Spaß. Anschließend waren wir zusammen noch was essen und als wir dann ins Taxi gestiegen sind fragte ich irgendwann: "Wer singt eigentlich jetzt bei Anthrax?" Und sie fragten: "Warum machst du das nicht?" Und ich meinte nur: "Yeah, cool!"
Dann gab es eine längere Pause und wir dachten alle nur: "Hmmmm, was wäre, wenn?" Ab da saß ich tief in der Scheiße (lacht). Wir haben uns dann noch mal mit unseren Managern gemeinsam zum Essen getroffen und sagten denen: "Hört mal, wie haben uns ein wenig unterhalten und hatten da ne Idee." Eine Zeit lang wurde das Thema wirklich ernst, ich hab Demos von ihnen bekommen und hatte auch bereits die ersten Texte geschrieben. Leider ist es nie bis zu irgendwelchen Aufnahmen gekommen, aber ich war wirklich schon damit beschäftigt, wie ich alles einigermaßen aufteilen und unter einen Hut bringen kann. Ich hab mir sogar schon über die Setlist mit Anthrax Gedanken gemacht. Ich wollte das echt durchziehen! Letztendlich kam aber das Label an und sagte: "Du kannst das nicht machen. Du bist zeitlich schon bis ans Limit ausgelastet, da ist kein Raum mehr." Ich hab dann richtig mit Quengeln angefangen: "Aber ich könnte … ich kann doch … ich will aber!!!" (lacht). Also musste ich Scott und Charlie anrufen und ihnen mitteilen, dass es nicht geht. Das hat mir echt das Herz gebrochen. Aber letztendlich sitzt du da und denkst dir: Wenn es hätte passieren sollen, wäre es passiert. Jetzt haben sie Joey (Belladonna) wieder mit dabei und das ist großartig.
Naja, hast du den ganzen Scheiß mitbekommen, was da nach deiner Absage abgegangen ist? Da fühlt man sich als Fan schon ein wenig verarscht.
Ja, das war schon verrückt. Keiner wusste genau, was da jetzt eigentlich Sache ist. Ich hab Scott vor ein paar Tagen erst getroffen und fragte ihn, was da denn alles abgelaufen ist und wie es jetzt weiter geht. Und er stand nur da und zuckte mit den Schultern, weil er mittlerweile auch nicht mehr darauf vertraut, dass morgen alles noch so ist, wie heute. Ich hätte ihn am liebsten mal in den Arm genommen und ihn getröstet. Ich meine, Anthrax sind so eine geile Band und andauernd passiert irgendein Scheiß. Ich wünsche ihnen echt das Beste, und dass das mit Joey jetzt endlich klappt.
Ich hab von eurer neuen Scheibe bislang auch nur fünf Songs im Auto gehört, aber die waren schon mal vielversprechend. Sowohl von dir, als auch von eurem Drummer hab ich nun schon ein paar Mal gehört, dass das Album dunkler ausgefallen sein soll als der Vorgänger.
Ja, da waren die fünf Tracks, die du gehört hast, nicht mal repräsentativ für das Dunklere. Vor allem der letzte Track auf der Scheibe ist sehr düster. Aber eher im Sinne von melancholisch und nicht im Sinne von evil. Das ist das, wovon ich vorhin schon gesprochen habe. Dunkel, im Sinne davon, dass du über dich und die Dinge, die dir was bedeuten, nachdenkst. Als ich angefangen habe, für dieses Album Texte zu schreiben, waren sie deutlich dunkler und düsterer. Aber letztendlich haben sich viele davon in etwas Positiveres entwickelt. Nach und nach habe ich festgestellt, dass diese Texte genau mein Leben widerspiegeln und sinnbildlich dafür sind, wo ich jetzt stehe und wie ich mich dahin entwickelt habe. Ich habe beschlossen, mich nicht gegen diese Entwicklung zu wehren und einfach zu schauen, wohin es mich führt. Es sind durchaus ein paar sehr melancholische Sachen auf der Scheibe, aber die eigentliche Message ist: Auch wenn du durch die Hölle gehen musst, kannst du dennoch ohne einen Kratzer wieder daraus hervorgehen. So lange du an dich selbst und an das was du fühlst glaubst und stark genug bist, du selbst zu sein. Wenn das der Fall ist, kannst du jeden Scheiß, jeden Schmerz überstehen. Letztendlich musst du das auch. Schließlich gibt es da Leute, die sich auf dich verlassen. Du verlässt dich andererseits genauso auf andere Menschen. Keiner steht für sich allein.
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