4. Februar 2011

"Rock und Klassik sind wie Licht und Schatten"

Interview geführt von

Alice Cooper, Tarja und Eisbrecher zusammen auf Tour - klingt wie wild zusammen gewürfelt, funktioniert aber tatsächlich.Sowohl die martialischen Rhythmen von Eisbrecher als auch klassischen Kompositionen von Tarja werden vom Publikum des Schock Rockers Alice Cooper bestens aufgenommen. Und wenn sich im Vorfeld von einem genialen Konzert noch die Möglichkeit bietet, ein Interview mit der finnischen Sängerin zu machen, schlägt man natürlich zu.

Schließlich sitze ich Tarja Turunen in ihrer Garderobe in der Frankfurter Jahrhunderthalle gegenüber. Mein weibliche Begleitung ist zwar so nervös, dass sie beim Interview kaum mehr ein Wort heraus bringt, hat sich aber im Vorfeld bereits eher skeptisch über das neue Album "What Lies Beneath" geäußert.

Meine Begleitung hier ist der Meinung, dass du auf der aktuellen Scheibe zu viele rockigen Sachen hast und dich doch eher auf die klassische Komponente konzentrieren solltest. Was sagst du dazu?

Ha, was soll ich dazu sagen. Jeder darf seine eigene Meinung haben und ich kann das voll und ganz akzeptieren. Es gibt einige Fans, die so denken, aber mir geht es bei meiner Musik darum, mich damit zufrieden zu stellen, und das neue Album drückt alles aus, was mich als Menschen ausmacht. Klar, ich bin eine Sängerin mit klassischer Ausbildung und liebe klassische Musik, aber genauso liebe ich es auch zu rocken! Was man auf dem neuen Album hört, ist exakt das, was ich fühle und was aus meiner Seele dringt. Ich habe in den letzten Jahren sehr viel über mich, Musik und viele anderen Dinge gelernt und bin überglücklich mit dem Ergebnis.

Denkst du, diese Erfahrungen wären für dich innerhalb einer Band wie Nightwish nicht möglich gewesen?

Schwer zu sagen. Meine Musik unterscheidet sich doch sehr von der von Nightwish. Damals hat Tuomas eigentlich alles geschrieben, und nun komponiere ich die Musik selber. Ich gehe ganz anders an die Sache heran und vor allem bin ich heutzutage wirklich glücklich mit allem, was ich mache.

Also steht es für dich nicht zur Debatte, wieder in einen Bandkontext zu wechseln?

Das kommt drauf an, wie man das sieht. "What Lies Beneath" wurde komplett als Band eingespielt und auch ausgearbeitet. Die Jungs, die mit mir im Studio und weitgehend auch hier auf der Bühne zusammenarbeiten, sind alles Profis und sehr talentiert. Und somit haben sie auch einen starken Einfluss auf meine Musik. Mein Album würde ohne sie nicht so klingen, wie es sich nun mal anhört, und ich bin verdammt stolz darauf, mit diesen Menschen zu arbeiten und auf das, was sie geleistet haben. Ich seh die Jungs nicht nur als Mietmusiker, viele von ihnen sind schon lange mit mir unterwegs. Klar gibt es hin und wieder ein paar Wechsel, aber das liegt dann einfach daran, dass sie noch andere Verpflichtungen haben. Für mich ist das also deutlich mehr als mein Soloprojekt.

Auf dem Debüt "My Winter Storm" sah die Sache aber noch anders aus.

Auf jeden Fall. Das war ein riesiger Unterschied. Ich stand zum ersten Mal komplett auf eigenen Beinen und musste mir Leute suchen, mit denen ich arbeiten konnte. Von denen kannte ich dann niemanden und wusste gar nicht, wie weit ich mich auf die einlassen kann. Das Label war neu, ich war nervös, das war erst mal alles ganz furchtbar. Das Label wollte dann jemanden, der Songs für mich ausarbeitet und hat einen Produzenten organisiert. Das ging damals alles unglaublich schnell, und ich wusste als Songwriterin noch gar nicht so recht, wie ich das anfangen soll. Ich machte nur ganz kleine Schritte, aber das war auch gut so. Mittlerweile habe ich deutlich mehr Selbstvertrauen und kann meine Ideen viel besser umsetzen. Ich bin jedenfalls sehr glücklich mit den Ergebnissen. Es gibt ein paar Dinge, die ich heute nicht mehr so machen würde, aber auch einiges, das ich genauso tun würde. Ich habe einfach das Gefühl, mich endlich wirklich frei bewegen und agieren zu können. Fast so, als hätte ich neue Lungen bekommen (lacht).

Wie schreibst du deine Songs denn? Spielst du ein Instrument?

Ja, Klavier. Das ist für mich das perfekte Instrument. Daheim habe ich ein wundervolles, großes Klavier, das einen unglaublich melancholischen Klang hat. Darauf schreibe ich die meisten meiner Songs. Die Musik kommt immer zuerst und dann irgendwann die Lyrics. Ich brauche aber irgendeinen Auslöser, um Musik zu komponieren. Irgendetwas muss mich seelisch bewegt haben.

"Ich brauche Ruhe und Licht"

Wie war das denn auf dem ersten Album? Was stammt da von dir?

Viele der Melodien und die Texte natürlich. Die Stücke auf "My Winter Storm" sind auch alles meine Babys. Die grundlegenden Ideen stammen von mir und wurden dann mit den jeweiligen Leuten ausgearbeitet. Bei der Single "I Walk Alone" war das ein wenig was anderes, die Nummer war schon weitgehend fertig geschrieben und ich habe nur noch ein paar Kleinigkeiten dazu beigetragen.

Kommen wir mal zum aktuellen Album und vor allem zum Opener "Anteroom Of Death". Das ist ein überraschend harter Song. Stammt der ebenfalls aus deiner Feder?

Aber hallo!

In was für einer Stimmung warst du denn, als du den Song geschrieben hast?

Du wirst es nicht glauben, aber den Song habe ich in seinen Grundzügen im Urlaub auf einer wundervollen, karibischen Insel geschrieben. Ich bin eines Morgens ein wenig früher aufgestanden, hab ein wenig auf meinem E-Piano rumgeklimpert, und dabei kam der Song heraus.

Du hast einen dermaßen düsteren, harten Song an einem wunderschönen Morgen auf einer karibischen Insel geschrieben? Das ist nicht dein Ernst.

Doch, ehrlich! Für mich ist beim Songwriting nicht die Umgebung wichtig, sondern viel mehr, dass ich dabei meine Ruhe habe. Dann kann ich mich auch in jegliche Stimmung versetzen, die ich will und die ein Song benötigt. Ruhe und Licht sind viel wichtiger für mich, als Umgebungen.

Dann ist Finnland aber nicht unbedingt die richtige Umgebung, wenn du gutes Licht haben willst.

Das ist absolut richtig. Deswegen lebe ich ja schon seit geraumer Zeit nicht mehr in Finnland.

Von wem stammt denn die Idee, dich einen Song mit Phil Labonte (All That Remains) singen zu lassen?

Mir war von Anfang klar, dass ich für "Dark Star" einen männlichen Gesangspartner brauche. Ich hatte schon ein paar Namen im Hinterkopf, aber letztendlich habe ich mich mit meinem Co-Autor von der Nummer unterhalten und er schlug mir Phil vor, da er dessen Band bereits gut kannte. Mir waren sie ebenfalls schon ein Begriff und Phil war tatsächlich auch eine der Stimmen, die ich mir gut zu dem Song vorstellen konnte. Wir haben uns dann mal getroffen und uns über die Idee unterhalten. Er war fast schon schockiert darüber, wie viele Freiheiten ich ihm beim Ausbau seiner Gesangslinie gelassen habe. Aber das Ergebnis spricht auf jeden Fall für sich.

Es ist doch sicher sehr unterschiedlich, mit Leuten zu arbeiten, die sonst eher im Soundtrack-Bereich angesiedelt sind, oder mit einem Metalgitarristen wie Alex Scholpp (Tieflader/Farmer Boys). Was fällt dir leichter?

Das lässt sich so wirklich nicht sagen. Ich genieße beides sehr und lerne auch aus beiden Herangehensweisen immer noch sehr viel. Wichtig ist für mich in beiden Welten, dass die Leute, mit denen ich arbeite, mich wirklich verstehen und wissen, worauf ich hinaus will. Es muss auch menschlich stimmen, denn wenn das nicht der Fall ist, funktioniert es auf musikalischer Ebene auch nicht. Zumindest nicht bei mir. Mit Alex zu arbeiten, ist einfach immer wieder erfrischend und locker. Ich liebe seine Art und seinen Stil. Er ist wirklich ein großartiger Gitarrist. Er kann sich sehr gut auf mich und meinen Stil einstellen und wir arbeiten sehr gut zusammen.

"Ich liebe die Energie, die vom Publikum ausgeht"

Mit dem Background deiner klassischen Ausbildung, wie näherst du dich eigentlich einem Song, wenn du daran gehst, die Gesangslinie zu schreiben? Gehst du da nach musiktheoretischen Maßstäben vor oder spielen Feeling und Emotionen die größeren Rollen?

Sowohl als auch. Die Tonlage ist schon mal sehr wichtig, in welcher der Song geschrieben ist. Auf dem Album sind sehr unterschiedliche Tonlagen und ich neige dazu, mir immer wieder sehr komplizierte Gesangslinien auszudenken und zu verwenden. Wenn ich die dann ein paar Mal gesungen habe, frage ich mich immer, was zur Hölle ich mir dabei gedacht habe (lacht). Aber es hat auch keinen Sinn, wenn wir Songs schreiben, die nur in einem kleinen Spektrum ablaufen. Das kann ich zwar locker singen, aber es klingt auf Dauer zu eintönig. Meine Stimme ist nun mal sehr umfangreich, und entsprechend versuchen wir auch zu arbeiten. Ansonsten wäre es nur ein ganz normaler Rocksong und ich würde nur als ganz normale Rocksängerin arbeiten. Das bringt mir aber nicht sonderlich viel. Ich suche die Herausforderung und das geht den Leuten, mit denen ich arbeite, zum Glück genauso. Gerade die Komponisten aus dem Film- und Soundtrackbereich fanden es sehr interessant, mit mir zu arbeiten, weil die meisten davon etwas derartiges doch noch nicht gemacht hatten.

Du machst dieses Jahr auch wieder eine Weihnachtstour, die sich von der momentan laufenden so ziemlich zu 100% unterscheiden dürfte.

Auf jeden Fall. Da werde ich mit dem Organisten Kalevi Kiviniemi, dem Gitarristen Marzi Nyman und dem Percussionisten Merkku Krohn in ein paar Kirchen spielen. Das ist dann natürlich alles klassische Musik. Da freue ich mich schon sehr drauf.

Was macht mehr Spaß: Eine Tour wie diese hier mit Alice Cooper und Eisbrecher, oder diese klassischen Konzerte?

Oje, das kann so nicht sagen. Ich brauche beides um mich wirklich zu entfalten. Ich liebe es wirklich, auf der Bühne zu rocken und so richtig aus mir raus zu gehen. Da hat man dann einfach eine gute Zeit und genießt die Energie, die vom Publikum ausgeht. Bei den klassischen Konzerten ist das eine völlig andere Situation. Man muss sich auch viel mehr auf seine Leistung konzentrieren und akzentuierter singen und arbeiten. Das ist in etwa so wie Licht und Schatten. Ich brauche beides und ich achte darauf, dass beides sich in etwa die Waage hält.

Naja, aber ich denke mal, dass während der Klassiktour nicht unbedingt viele Aftershow Partys steigen werden, oder?

Nein, aber das ist hier ja auch nicht viel anders. Die Jungs, die mit mir unterwegs sind, sind alle relativ ruhig. Die machen auch nicht nach jeder Show groß Party.

Du hast ja tatsächlich neben Tarja und deinen Klassikkonzerten bereits schon wieder ein weiteres Projekt am laufen, über das du dich aber beharrlich ausschweigst. Hast du überhaupt noch so was wie Freizeit?

Momentan eigentlich nicht, aber auf Weihnachten hin zeichnet sich tatsächlich mal sowas wie Urlaub ab (lacht). Ich glaube fest daran und dann werde ich auf jeden Fall mit meinem Mann irgendwo hin fliegen, wo wir zusammen tauchen gehen können. Das ist meine große Leidenschaft neben der Musik. Die Unterwasserwelt ist so faszinierend und die Stille unter Wasser genieße ich sehr. Die Farbenwelt ist wundervoll und unglaublich inspirierend. Ich hab sogar schon Songs darüber geschrieben. Jetzt wo ich so darüber rede, kann ich's kaum erwarten, endlich wieder tauchen zu gehen.

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Tarja Turunen

Tarja Soile Susanna Turunen Cabuli dürfte weit über die Metal-Szene hinaus bekannt sein. Ihre größten Erfolge feiert die am 17. August 1977 im finnischen …

Noch keine Kommentare