17. Juli 2020

"Wenn deine Kunst dir keine Angst macht, machst du was falsch"

Interview geführt von

The Aces repräsentieren das, was die vier Bandmitglieder sich früher gewünscht hätten. Leidenschaftlich erklären sie im Interview, wie der Mangel an weiblichen Bands sie motiviert hat, wie Homophobie noch immer die Gesellschaft untergräbt und wie wichtig ihnen Unverblümtheit ist.

Als wir im Mai mit der amerikanischen Band The Aces sprechen, ahnen Cristal, Alisa, Katie und McKenna noch nicht, dass ihnen noch zwei Monate Promo für ihr neues Album "Under My Influence" bevorstehen würde - inmitten einer globalen Pandemie, welche die Amerikaner ganz besonders schwer trifft. Der spaßigen Teil der Album-Promo wie Reisen und Konzerte fällt flach. Vernunft-geleitete Menschen wie die vier Aces zwingt das dazu, nur dann raus zu gehen, wenn es einen guten Grund dafür gibt. Wie zum Beispiel die Teilnahme an den Black Lives Matter-Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt. Aus diesem Grund verschob sich auch die Veröffentlichung des neuen Albums um einen Monat, denn ursprünglich hätte "Under My Influence" schon im Juni erscheinen sollen. Noch nichts davon ahnend treffen wir die Schwestern Alisa und Cristal sowie Katie an verschiedenen Orten in den eigenen vier Wänden und McKenna im Auto via Zoom an.

Ihr habt die Frage bestimmt schon zu Genüge gehört, aber wie kommt ihr so mit dem Lockdown klar?

Cristal: Wir passen uns gerade an diese neue Normalität an - ich hasse mich dafür, dass ich schon wieder "neue Normalität" sage, weil ich das langsam nicht mehr hören kann (lacht). Das Leben sieht gerade unterschiedlich für uns aus, weil wir uns an verschiedenen Orten befinden - L.A. und Utah. Utah ist ja schon im Lockdown. Wir versuchen, inspiriert, positiv und motiviert zu bleiben. Das ist etwas schwierig, wenn quasi jeder Tag gleich aussieht, aber wir sind okay, so gut wie's eben geht. Wie geht's dir?

Gut, danke! Wie fühlt es sich an, ein Album inmitten einer globalen Pandemie zu veröffentlichen und zu promoten? Ihr habt ja den Vergleich zu eurem ersten Album - einem "normalen" Release.

Cristal: Es ist wirklich etwas ganz anderes. Normalerweise würden wir reisen, viele Konzerte geben und Interviews führen. Wir wären wahrscheinlich gerade sogar in Deutschland. Es ist anders. Alles findet von Zuhause statt, normalerweise würden wir jetzt quasi im Flugzeug und aus unseren Koffern leben.

Alisa: Es herrscht viel mehr Stillstand, als wir erwartet hätten.

McKenna: Andererseits ist es für uns momentan auch eine wirklich kreative Zeit. Wir haben ein Quarantäne-Video aufgenommen für unseren letzten Song. Wir haben uns einfach selbst gefilmt und dabei ist ein lustiges Video entstanden. Sowas macht natürlich Spaß und sorgt für Inspiration.

Cristal: Diese Zeit hat uns quasi dazu genötigt, mit dem zu arbeiten, was wir haben und kreativ zu sein, allen Widrigkeiten zum Trotz.

Aber man sollte sich auf der anderen Seite nicht dazu zwingen, auf Teufel komm' raus kreativ zu sein, oder?

Cristal: Ja, man muss schon noch auf seine mentale Gesundheit achten. Es ist ok, wenn man mal einen Tag hat, an dem man einfach chillt und nicht andauernd arbeitet. Wenn man das will, ist das cool, aber Ausruhen ist genauso wichtig. Für einen Künstler gibt es Zeit für Arbeit und Kreativität und Zeit für Ruhe, damit man danach wieder kreativ sein kann. Auch wenn wir grade ein Album veröffentlichen und jeden Tag arbeiten, versuchen wir, auf uns aufzupassen und genügend Ruhe zu finden.

Viele wissen bestimmt gar nicht, dass The Aces schon sehr lange existieren und ihr schon seit dem Kindesalter zusammen Musik macht. Gab es für euch irgendwann so einen Moment, an dem ihr gedacht habt: "Jetzt haben wir's geschafft, das ist jetzt kein Hobby mehr, sondern unser Job"?

Cristal: Ich weiß, gar nicht, ob ich sowas überhaupt schon mal gedacht hab.

Alisa: Es ist irgendwie ein andauernder, langsamer Realisierungsprozess. Ein riesiger Moment für uns war der, als wir unseren ersten Plattenvertrag unterzeichnet haben. Das war eine Art Meilenstein für uns, denn jeder Künstler träumt ja davon, so einen Deal zu bekommen. Es bedeutet schließlich, dass man aus seinem Hobby einen Beruf machen kann und eine echte Karriere startet. Wir als Smalltown-Girls, die nach Los Angeles gehen und die Aufmerksamkeit der Musikindustrie auf uns ziehen - das war ein riesiger Moment. Aber eigentlich war das ganze letzte Jahr eine Art Erwachen, dass wir das hier jetzt wirklich durchziehen. Ich muss mich schon manchmal kneifen, um zu realisieren: "Das ist wirklich meine Karriere, das ist jetzt mein Job". Ich darf das machen, was ich absolut liebe. Wofür ich früher bezahlen und Platz in meinem normalen Tagesablauf freischaufeln musste. Aus diesem spaßigen Hobby einen Beruf machen zu können, ist einfach ein Segen.

War es schon immer euer Traum, als Band erfolgreich zu werden?

Cristal: Ich denke schon, ja. Als Kinder und in der High School waren unsere Interessen schon noch etwas anders verteilt, aber nachdem wir die High School abgeschlossen hatten, war es klar, dass wir als Band durchstarten wollten. Seitdem war es quasi eine work in progress.

"Für unsere Generation gab es kaum weibliche Bands, zu denen man aufschauen konnte"

Was sind eure Haupt-Einflüsse? Hattet ihr früher auch Girlgroups, zu denen ihr aufgeschaut habt, wie eure Fans jetzt?

Alisa: Das war schwierig. Für unsere Generation gab es kaum weibliche Bands, zu denen man aufschauen konnte. Ein paar aus der Vergangenheit, aus den 70ern: The Runaways, The Bangles. Das war aber vor unserer Zeit, wir sind ja in den späten 90ern geboren. Mit Destiny's Child sind wir aufgewachsen und die lieben wir, aber viele der Bands, zu denen wir aufgeschaut haben, wurden uns von unseren älteren Brüdern gezeigt: Led Zeppelin oder die Beatles. Als wir ganz klein waren, wollten wir so sein wie die Jonas Brothers - also die Girl-Version der Jonas Brothers.

Cristal: Das war aber wirklich wie eine Antriebskraft für uns. Jetzt gibt es zwar fantastische all-female Bands wie Haim oder Loona, aber als wir klein waren und die Band gestartet hatten, kannten wir kaum welche. Das hat uns aber motiviert. Wir haben keine Repräsentation von uns gesehen.

Das führt direkt zur nächsten Frage: Wir fühlt es sich an, jetzt genau eine dieser Bands zu sein, zu denen junge Menschen hochschauen? Spürt ihr da auch eine gewisse Verantwortung?

Katie: Auf jeden Fall.

Cristal: Bis du das gesagt hast, dass Kids zu uns aufschauen, hätte ich jetzt gar nicht daran gedacht, dass sie das tun. Aber wir versuchen, für sie die beste Version von uns selbst zu sein.

Alisa: Und ein gutes Vorbild abzugeben. Es ist eine Ehre, von Kids nach Songwriting-Tipps gefragt zu werden und nach Ratschlägen, weil sie auch eine Band starten wollen. Das sind solche Fragen, auf die ich nicht gefasst bin. Ich erinnere mich dann an die Bands, die ich als Kind vergöttert hab. Zu sehen, dass eine andere Person so über uns denkt, das ist verrückt. Dafür sind wir auf jeden Fall sehr dankbar.

McKenna: Es ist wirklich eine verrückte Ansichtsweise: Wenn es unsere Band gegeben hätte, zu der wir damals hätten aufschauen können, als wir noch klein waren... das wäre riesig gewesen. Und das relativiert das alles irgendwie für mich.

Katie: Letztens habe ich eine Nachricht von einer jungen, weiblichen Band in unserer Heimatstadt bekommen: "Hey, wir würden uns gerne mal mit dir treffen und deinen Rat hören. Was du uns als nächsten Schritt empfiehlst und sowas." Ich hab mir gedacht: Ihr wollt mit mir reden? Ihr wollt meinen Rat? (lacht) Sich einfach mit denen hinzusetzen und zu unterhalten... das hätte ich auch toll gefunden, als ich in deren Alter war. Ich will nie vergessen, wie sich das anfühlt. Und es an jeden weitergeben, der fragt. Es ist eine Erfahrung, die einen demütig werden lässt.

McKenna: Ich habe quasi jeden Bassisten aus Utah vergöttert. Es wäre so toll gewesen, wenn darunter auch mal eine weibliche Person gewesen wär. Darüber hab' ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht.

Hängt euer Album-Cover damit eigentlich als eine Art Metapher zusammen? Es sieht aus, als würdet ihr etwas verbrennen und irgendwo reinschauen.

Alisa: Ja, die Idee war, all die Erwartungen und Ideologien loszuwerden, die als Person, Frau oder was auch immer auf einen einprasseln. Sich von all dem zu trennen und in die eigene Kraft und das authentische Selbst einzutreten. Dieses Plastikfolie zu nehmen, zu verbrennen und unsere Gesichter und Körper zu enthüllen. Das alles ist eine symbolische Interpretation von diesem Kapitel und von "Under My Influence".

Eure Songtexte sind dabei ja auch irgendwie authentischer geworden. Ihr benutzt jetzt zum ersten Mal Kosenamen wie "girl" anstatt "babe" und habt mit "Kelly" sogar einen Song geschrieben, der sich explizit an eine weibliche Partnerin richtet. Stimmt es, dass ihr früher aufgefordert wurdet, sowas zu unterlassen?

Alisa: Ich denke, dass es durch die Gesellschaft tief in uns verwurzelt ist. Es hängt einerseits mit Angst, aber auch mit Respekt gegenüber allen vieren von uns zusammen. Wir haben versucht, allgemeingültige und neutrale Musik zu machen. Aber bei diesem Album geht es darum, möglichst authentisch, mutig, einfach du selbst zu sein. Deshalb fühlt es sich in diesem Kapitel richtig, organisch und natürlich an, unverblümt zu sein.

Cristal: Ein Song wie "Bad Love" zum Beispiel: Darin geht es ziemlich eindeutig um geheime, verbotene Liebe. Das entwickelte sich schnell zu einer Hymne für unsere Queer-Fans. Ich kann mich darauf verlassen, dass mir jemand eine Pride-Flagge zuwirft, wenn wir diesen Song live spielen. Dass Alisa und ich Frauen daten und uns als queer identifizieren, haben wir schon immer angerissen und unsere Fans wissen das. Es hat uns jetzt niemand geradeheraus verboten. Es war eher so eine unausgesprochene Sache.

Alisa: Manche haben es aber definitiv angedeutet.

Cristal: Ja, es wurde angedeutet. So in der Art: "Macht das vielleicht lieber nicht".

Alisa: Oder "Betont eure Unterschiede vielleicht nicht so sehr" oder "Bedient lieber nicht solche Nischenthemen, weil die Leute sich damit nicht identifizieren können und euch dann nicht mehr hören wollen". Da wird eine Menge Angst und Unsicherheit auf einen projiziert. Queer zu sein wird immer noch nicht überall auf der Welt akzeptiert. In großen Städten vielleicht schon, an vielen anderen Orten aber nicht. Die Leute sprechen das an, wenn man im Studio sitzt und sagen dir: "Macht das vielleicht lieber nicht, weil es eine Gruppe von Menschen gibt, die die Musik dann nicht mehr mögen werden".

Cristal: Erfolg durch Selbstzufriedenheit und Bequemlichkeit wollen wir nicht. Das wollen wir einfach nicht. Wir wollen Erfolg durch Authentizität. Durch eine authentische Art, uns selbst auszudrücken.

Alisa: Das ist sogar unsere Pflicht als Künstler. Uns nicht zensieren zu lassen. Roh zu sein, was auch immer dabei herauskommt. Wenn deine Kunst dich oder andere Menschen nicht beängstigt, dann machst du was falsch.

"Es gibt nichts, was wir nicht machen wollen"

Ihr habt eben den Ort erwähnt, aus dem hier herkommt. Der wird ja auch auf "801" vom neuen Album erwähnt: "Growing up in the 801, there's only one club". Ist es dort wirklich so schlimm?

Cristal: (Lacht) Es gibt wirklich nur einen Club in Salt Like City, also einen Gay Club in der ganzen Stadt. Wir sind ganz schön religiös aufgewachsen. In dieser Kultur ist eine ganze Menge Schuld und Scham eingeträufelt. Dinge, über die nicht gesprochen wird. Wir wollten dieses Thema auf "801" anreißen. Viele unserer Freunde ziehen von dort weg, wollen sozusagen ausbrechen.

Alisa: Mit jeder Kultur kommt eine Gegenkultur. Leute, die in die bestehende Kultur nicht reinpassen. Es ist cool, ein Teil davon zu sein und diese enge Verbundenheit dieser Gegenkultur zu spüren, die durch Unterdrückung und Stigma entstanden ist.

Vielleicht mal wieder zu einem etwas unbeschwerteren Thema: In einem Interview wurdet ihr letztens unabhängig von einander gefragt, mit wem ihr gerne mal auf Tour gehen würdet und jede einzelne von euch hat The 1975 geantwortet. Wieso gerade die?

Alisa: (lacht) Wir haben einfach schon immer zu denen aufgeschaut und bewundert, was sie machen. Mit denen auf Tour zu gehen, wäre einfach ziemlich cool und aufregend.

Cristal: Let's go, 1975, gehen wir auf Tour - wenn die Quarantäne vorbei ist.

Gibt es irgendwelche Künstler, mit denen ihr besonders gerne arbeiten würdet?

Cristal: Klar, eine Menge. Wir haben zum Beispiel schon immer davon geträumt, einen Remix mit Kevin Parker von Tame Impala zu machen. Eine Kollaboration mit Hayley Williams von Paramore wäre der Wahnsinn. Ich würde liebend gerne Kehlanis Stimme auf einem Track von uns hören.

McKenna: Ich mag Benee wirklich sehr gerne, die ist glaub ich aus Neuseeland oder Australien. Aber auch alle anderen, die Cristal gerade erwähnt hat.

Cristal: Was ich auch verdammt irre fände, wäre eine Kollabo mit Megan Thee Stallion. Uns sind Genres echt ziemlich egal. Wir machen Musik mit allen möglichen Künstlern und allen möglichen musikalischen Hintergründen. Je unerwarteter eine Kollaboration ist, desto besser. Wir hören querbeet Musik, deswegen sind wir da für alles offen.

Dann meine Schlussfrage: Stellt euch vor, ihr lest in 50 Jahren folgende Überschrift: "The Aces gehen in Rente". Welche Meilensteine hättet ihr bis dahin gerne erreicht?

McKenna: Verrückte Frage.

Katie: Eine ganze Menge.

Cristal: Es gibt nichts, was wir nicht machen wollen. Egal, wie weit wir als Band kommen, ist es für uns das Wichtigste, Musik auf unsere Art zu machen. Als Künstler fühlt es sich schnell so an, als wäre das alles hier ein erbarmungsloser Wettkampf. Man will immer größer und besser und größer und besser werden. Während es einerseits wichtig ist, motiviert zu bleiben und Ziele zu stecken, erscheint es uns genauso wichtig, mal einen Schritt zurück zu treten und stolz auf die bisher erreichten Ziele zu sein.
Ich bin wirklich stolz, auf das, was wir bereits geschafft haben. Wir haben es geschafft, unsere Heimatstadt zu verlassen, Musik zu einem Vollzeitjob zu machen und eine Fanbase aufzubauen, die sich wirklich für uns interessiert, sich einsetzt und mitwirkt. Wir haben etwas so Besonderes erschaffen und ich bin wirklich gespannt, was die Zukunft noch bereit hält: Egal, ob es sich dabei um Preise oder glamouröse Dinge handelt - hoffentlich - oder auch nicht. Letztendlich bedeutet Erfolg für uns aber, dass wir uns treu bleiben und zu unseren Bedingungen die Musik machen, auf die wir stolz sind. Solange wir Fans haben, die sie genauso sehr liebt wie wir, ist alles gut.

McKenna: Seh' ich auch so. Solange wir das alles mit einem tieferen Sinn machen und jene repräsentieren, die von uns repräsentiert werden möchten, macht uns das stolz.

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