11. März 2005
"Bist du nicht der Typ, der 'Rock Me Amadeus' geschrieben hat?"
Interview geführt von Michael SchuhEs liegt Schnee in München und The Killers sind erkältet. Drummer Ronnie Vannucci erscheint zum Interview-Termin in der Muffathalle am späten Nachmittag im dicken Wintermantel mit hochgestelltem Kragen und einem Vitamindrink in der Hand. Er wirkt auf Anhieb sympathisch, vor allem weil er nicht so gestylt ist wie auf den Pressebildern. Neben ihm steht ein Kumpel aus Las Vegas, Typ Mars Volta-Afro, der zuhause offenbar wenig zu tun hat und deshalb ein bisschen Urlaub mit den Killers in Europa macht.
Unglaublich kalt sei es hier in Deutschland, bemerkt der hustende Ronnie immer wieder, nachdem er höflich gefragt hat, ob sein Freund beim Interview dabei sitzen darf. Weil Sänger Brandon bereits ziemliche Probleme mit der Stimme hat, sollte das Kölner Konzert drei Tage später ausfallen. Nach dem Gespräch im Muffatcafé gibt mir der Drummer zur Verabschiedung die linke Hand, denn "in die andere habe ich reingehustet."
Erste Frage: Schon das neue New Order-Album gehört?
Nein. Das ist in Amerika doch noch gar nicht draußen, oder?
Hier auch nicht. Aber es hätte ja sein können.
Ich glaube, ich habe die Single schonmal gehört, aber ich bin mir nicht sicher. Wie ist die Platte?
Sie ist gut, wenn auch nicht ganz so gut wie "Get Ready". Eine Spur elektronischer vielleicht.
Gut.
Fieberst du denn mit alten, noch aktiven Helden deiner Jugend mit, was neue Veröffentlichungen angeht?
New Order gehören definitiv zu unseren Idolen, auch wenn sie mal eine schlechtere Platte veröffentlichen. Musik ist nunmal sehr subjektiv. Wenn du eine super Platte machst, die von allen bejubelt wird, willst du dich danach als Künstler ja trotzdem weiter entwickeln. Was dann dabei heraus kommt, mögen die einen als totalen Scheiß ansehen, die anderen als Glanzleistung.
Ich sprach neulich mit New Order-Bassist Peter Hook, der auf meine Frage, was er von den jungen Bands halte, die New Order als große Inspiration für das eigene Schaffen ansehen, antwortete, er könne manchmal überhaupt nicht verstehen, was jene Bands denn mit New Order gemein hätten. Überrascht dich das?
Nein. Ich glaube auch nicht, dass Marks Bassspiel dem von Peter Hook ähnelt. New Order sind eine Band, mit der wir aufgewachsen sind, eine von vielen. Es gibt sicher einige Elemente in unserer Musik, die ihnen ähneln, aber mindestens so viele, die nach ganz anderen Bands klingen. Ich denke, es ist vor allem ein Spiel für die Medien, die manchmal nicht aufhören können, nach tieferen Erleuchtungen zu suchen, auch wenn es überhaupt keine gibt.
Mit der Wahl eures Bandnamens habt ihr euch aber selbst in die unmittelbare Nähe New Orders gerückt. (The Killers lautete der fiktive Name der Band, die im New Order-Video "Crystal" ihre Idole spielte, Anm. d. Red.)
Oh, das war reiner Zufall. Es war einfach nur ein New Order-Video, es hätte aber genauso gut ein M&M-Clip oder wasweißichwas sein können. Es ist einfach ein perfekter Bandname. The Killers.
Euer Erfolg kam ja quasi über Nacht, eine Single erschien, Amerika jubelte, dann jubelte der NME, dann Deutschland. Für euer Album habt ihr gerade drei Grammy-Nominierungen erhalten. Wie kann man da eigentlich am Boden bleiben?
Zuhause habe ich eine Frau, die auf mich aufpasst. Und natürlich sind Freunde wichtig wie er (zeigt auf Kollege Afro). Es gab da eine Situation, in der ich mich arrogant verhalten habe, worauf ich überhaupt nicht stolz bin. Ich mochte die Person nicht, die ich in dem Moment war. Ein Security hielt mich fest, wollte mir den Weg versperren und ... naja.
Und dir ist die Hand ausgerutscht?
Naja, so ähnlich. Es war im Club und die Frau hatte so ein gelbes Security-Shirt an, eines dieser supercoolen Security-Shirts. Ich berührte es und sie schrie mich sofort an, ich solle meine Finger weglassen, wer ich denn sei und überhaupt. Sie machte eine Riesen-Szene. Ich sagte ihr wer ich bin, wollte an ihr durchgehen, aber sie hielt mich fest und brüllte mich weiter an. Anschließend machte ich eben etwas, was ich normalerweise nicht mache. Naja.
Seither versuche ich so zu handeln, wie ich erzogen worden bin, und das ist nunmal, freundlich zu anderen Menschen zu sein. Schließlich konnte die Frau zunächst wirklich nicht wissen, wer ich bin, ich trage ja keine Shirts, auf denen mein Name steht. Doch um nochmal zu deiner Frage zurück zu kommen: Du spürst den Erfolg fast nicht, weil alles so schnell geht. Shows, Interviews, Busfahrten, da bleibt nicht viel Zeit.
Trösten Plattenverkäufe und Grammy-Nominierungen über Kritiken hinweg, die euch vorhalten, den Glamour eurer Heimat Las Vegas mit in eure Musik übertragen zu haben?
Nun, am Anfang wussten wir nicht, wie wir damit umgehen sollen. Wenn du in Vegas lebst, bist du an den ganzen Glanz und den Glamour gewöhnt. Eigentlich merkten wir erst auf unseren Reisen in fremde Städte, wie verschieden wir wirklich vom ganzen Rest sind, was die Stadt für einen Einfluss auf uns hatte. Der Showaspekt, die ganzen Lichter auf der Bühne, unsere Anzüge; das ist nicht mehr so weit weg von Auftritten, wie sie Sammy Davis Jr. gemacht hätte. Außer seinem Glasauge vielleicht ... Im Ernst: es gab doch noch nie eine Rock'n'Roll-Band, die aus Las Vegas stammt, und die die ganzen Merkmale der Stadt einem größeren Publikum da draußen vorstellt. In gewisser Hinsicht helfen wir da ein bisschen mit und das ist cool.
Findest du, euer Vegas-Input reduziert sich auf eure Bühnenkostüme?
Nein, dazu zählen auch die Texte und die Musik. Die ganze Art eben, wie wir sie präsentieren. Es ist nicht bloß eine bestimmte Ästhetik. Für uns ist es einfach stinknormal, aus Las Vegas zu kommen. Wir sind dort geboren, dort aufgewachsen, haben uns dort kennen gelernt. Alles ist offen, alles ist umsonst, welcome to Las Vegas.
Hast du eine Idee, wieso es noch keine Band aus Vegas geschafft hat, in Europa Fuß zu fassen oder zumindest eine Erinnerung zu hinterlassen?
Vegas ist eine Transitstadt. Aber ein paar Leute gibt es schon, zum Beispiel Crystal Method. Okay, zumindest leben sie dort, ich habe keine Ahnung, ob sie dort geboren sind. Und natürlich Mark Slaughter von der Band Slaughter. Kennst du, oder?
Nie gehört.
Mark Slaughter? singt: "Up all night, sleep all day" Nein? "Fly To The Angels"?
80er Jahre?
Oh ja, und wie. Egal, ein paar von denen kamen aus Vegas, sind dann aber nach L.A. gegangen. Ich glaube, wir sind die ersten, die Erfolg haben und dort wohnen bleiben. Es hat vielleicht auch damit zu tun, dass Vegas nie so etwas wie einen Rock'n'Roll-Ursprung hatte, eine Szene. Und kam doch mal eine, verschwand die schneller, als sie gekommen war. Ich war zwar letztes Jahr nicht oft zuhause, aber es gibt wohl trotzdem immer noch keinen Ort, an dem sich Bands oder eine Szene finden könnten. Natürlich gibt es dort auch Songwriter und gute Musiker, aber die meisten hauen eben schnell wieder ab. Ständig ziehen Leute weg und machen Platz für neue, so ist das eben.
Dafür kommen Elton John und Celine Dion zu euch in die Hotels und bleiben auch gleich eine ganze Weile.
Ja, und das ist auch toll. Wir haben Elton erst kürzlich gesehen, als wir wieder mal zuhause waren. Du sitzt da und siehst eine normale Elton John-Show, aber die findet nunmal im Caesars statt. Das macht er ein paar Mal im Jahr und hat seinen Spaß. Nichts gegen Tourneen, aber das wäre nun wirklich der Wahnsinn: verstellt die Stimme Ja, ich bin auf Tour. Ich verdiene mir meinen Lebensunterhalt mit 50 Auftritten im Jahr. Aber hey, ich mache sie bei mir zuhause! Fantastisch!
Ich glaube, die Band Alabama hat das so gemacht. Die haben irgendwann gesagt, nö, wir spielen nur noch zuhause. Sie müssen irgendwelche Investoren aufgetan haben, die ihnen zuhause ein riesiges Gebäude hingebaut haben, fast Stadiongröße, 9000 Leute oder so. Und dort spielten sie dann, in Alabama. Sie waren eine Band, nahmen Platten auf, gingen auf Tour, mussten dabei aber ihre Familie nicht verlassen. Das sollten wir auch machen.
Du musst Vegas ja sehr vermissen.
Oh ja, ich kann meine Tränen gerade nur mit Mühe zurück halten. (lacht) Ich würde das Touren als notwendiges Übel bezeichnen. Wir müssen das hier jetzt eben tun, und es macht natürlich auch großen Spaß. Dafür schläfst du wenig, isst sonderbare Sachen und sprichst mit seltsamen Deutschen, die Schnurrbärte tragen ... (lacht) Nein, natürlich ist es schön, nach Hause zu kommen, aber der Ausgleich ist, für Menschen spielen zu dürfen, die 6000 Meilen entfernt leben. Ohne jetzt klischeehaft klingen zu wollen, aber das ist wirklich der Ausgleich für uns alle.
Vor einigen Tagen starb Hunter S. Thompson ...
Pshhhh ... setzt seinen Zeigefinger an die Stirn
... dessen Sicht auf eure Heimat weltbekannt wurde, vor allem nach der erfolgreichen Verfilmung. Wie siehst du seine Beschreibungen, sind sie überzogen?
Naja, ich denke, alles kommt irgendwie übertrieben rüber, wenn du halluzinogene Drogen eingenommen hast. Egal welcher Art. Schon ein Augenaufschlag kann dann unglaublich überzogen wirken. Aber ich kann dir versichern, dass Las Vegas auch ohne Drogen ein sehr surrealer Ort ist. Es ist unwirklich, lebendig, es ist so ...
... voller Freaks?
Oh yeah. Wobei jede große Stadt eine Menge Freaks hat, bei uns sind sie nur mehr im Rampenlicht. Es ist aufregend. Aber Thompsons Sicht auf Vegas war nicht völlig verzerrt. Ich hatte auch einige Nächte, in denen es mir so ähnlich erging - und ich war nüchtern!
Stichwort: Aufregung. Vor etwa einem Jahr habt ihr mit den Dirtbombs zusammen gespielt und Renée Zellweger stand im Publikum. Erinnerst du dich an einen Auftritt, bei dem du richtig Schiss vor einem großen Namen hattest?
Also bei Renée waren wir nicht nervös. Lass mich überlegen. Ja, natürlich als Morrissey uns fragte, ob wir für ihn fünf Shows eröffnen könnten, von denen wir dann aber nur zwei machen konnten. Wir waren gerade beim Soundcheck, seine Band war zwar schon länger da, aber er nicht, und wer erwartet das schon. Plötzlich kommt er in die Halle, bleibt genau vor der Bühne stehen und schaut uns an. (verschränkt die Arme und schaut grimmig)
Ich meine, für die meisten von uns waren die Smiths der Einstieg in die Musik überhaupt, und da steht dieser Typ ... es war heftig! Seitdem wir immer populärer wurden und auch mit anderen Bands zusammen spielen, freundet man sich auch untereinander an. Da gehören dann auch mal eigene Idole dazu, zum Beispiel die Jungs von U2.
... für die ihr im Sommer ja vier Festival-Shows eröffnen dürft. Ich nehme an, ein Bandmitglied hat euch live gesehen.
Ja, so war es. Brandon und ich waren nach unserem Dublin-Konzert noch auf einer Aftershow-Party und plötzlich stand Bono vor uns. Adam Clayton, der Bassist, besuchte unsere letzte Show in London. Mit Noel, um ehrlich zu sein, von Oasis ... (lächelt etwas verschämt)
Ich stehe wirklich nicht auf Namedropping, aber es ist schon wahnsinnig aufregend, die Stars der eigenen Jugend zu treffen. Vor einem Jahr spielten wir noch mit den Dirtbombs aus Detroit. Bei uns weiß kein Mensch, wer die Dirtbombs sind.
Hier leider auch nicht, sie sind eine Underground-Band.
Yeah, und das ist sehr schade, denn sie sind großartig. Aber es ist schon verrückt, wenn man so drüber nachdenkt. Da kommen Leute, die du bewunderst, aufgrund von etwas, das du geschaffen hast. Was wiederum großartig ist.
Brandon meinte einmal in einem Interview, euer Ziel müsste sein, ein "Where The Streets Have No Name" hinzukriegen. Wo befindet ihr euch diesbezüglich momentan?
Oh, wir sind noch weit entfernt. Ich denke, er meinte damit, dass wir als Band gerne an den Punkt kämen, Songs geschrieben zu haben, an denen man die Rechte nicht mehr besitzt, verstehst du? "Roxanne" gehört heute der Allgemeinheit und nicht mehr The Police. Jeder kennt den Song und jeder liebt ihn. genau wie "Where The Streets Have No Name", "I Wanna Hold Your Hand" oder "Imagine". Das ist wahrer Erfolg, nicht die Schecks, die man einsteckt.
Mit der modernen Technologie kann heutzutage jeder ein Album aufnehmen, so bescheiden das Ergebnis auch klingt. Deshalb ist es wichtig, dass man etwas schafft, was die Leute bewegt, und an das sie sich später zurück erinnern. (verstellt die Stimme:) Hey, bist du nicht der Typ, der 'Rock Me Amadeus' geschrieben hat?! So muss es laufen! Armer Falco! Rest in peace. Wir haben gestern in Wien gespielt und er war bei mir.
Falco ist super. Habt ihr 'ne Coverversion gespielt?
(lacht) Das hätten wir machen können, unser Gitarrist ist ein großer Fan. Falco ist tight. Ich habe sogar schon darüber nachgdacht, mein erstes Kind Falco zu nennen. Falco Vannucci. Aber ich glaube, das hat noch eine Weile Zeit.
Letzte Frage: was hörst du momentan auf deinem iPod?
Tja, da ist so einiges drauf. Teegan & Sara, zwei Mädchen aus Kanada, mit denen wir bald touren werden. Sie klingen ein wenig nach Juliana Hatfield, oder nach der Richtung, die Juliana hätte einschlagen können. Aber nichts gegen Juliana, sie ist auch super, ich meinte nur ... Okay, dann höre ich gerade viel von Louis XIV aus San Diego, der mich an T-Rex erinnert und die neue Rufus Wainwright ist auch klasse.
Ach ja, und natürlich die neue Hives. Ich weiß, die ist schon eine Weile draußen, aber hey, "Two-Timing Touch And Broken Bones", gibt es bessere zwei Minuten Rock'n'Roll? Der Song trägt "Steppin' Stone" auf ein noch höreres Level, und sie kommen damit durch. Großartige Band. Die Liste ist endlos, Ambulance aus New York sind sehr gute Freunde von uns und ihre Fähigkeiten als Musiker sind allererste Klasse.
Und die neue Moneybrother?
Wer?
Moneybrother aus Schweden.
Äh, nein. Oh warte, doch doch, ich habe davon gehört.
Er grüßt euch auf seinem neuen Album.
Really? Moneybrother? Woher kenne ich das? In Schweden tourten wir jedenfalls mit Ambulance ... Wie ist die Platte?
Sie ist gut, aber anders als das Debüt. Statt The Smiths mit viel Soul steht er jetzt auf Streicher.
Moneybrother ... ein Wort, ja? Verflixt! Streicher sagst du? Also sowas wie Divine Comedy?
Nein, eher Streicher im Sinne von Adam Green. Seine Songs sind schon rockig.
Gut. Ich liebe Streicher. Also muss ich mir die Platte unbedingt besorgen. Er grüßt uns, cool!
Das Interview führte Michael Schuh.
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