laut.de-Kritik
Neben Kaiser und Franz klarer Sieger des Wochenendes: der Gummistiefel.
Review von Vicky ButscherEin Wunder, dass niemand ertrunken ist.
Na gut, das ist vielleicht ein wenig übertrieben. Aber so was kommt einem in den Sinn, nachdem man drei Tage im Dauerregen verbracht hat. Man fühlte sich während des ganzen Haldern-Wochenendes ein bisschen wie in einer ungerechten Verschwörung gefangen. Kaum kam die erste Band auf die Bühne, begann es in Strömen zu gießen. Schon am Freitag ahnten die meisten Besucher: Es ist kaum eine Besserung in Sicht. So avancierte das Wochenende eher zu einer Modenschau der wettertauglichsten Erfindungen, als zu einem Genuss des unglaublich starken Line-Ups.
Nachdem schon Donnerstag Nacht und Freitag Vormittag einige Bands im Spiegelzelt gespielt hatten, begann das Open Air-Spektakel mit Millionaire aus Belgien. Ihr Überhit "Champagne" stach glänzend aus dem Stoner Rock-infizierten Sound der Band heraus. Der Rest ging in Regenbächen baden.
Art Brut zeigten sich erwartet cool. Sänger Eddie Argos ehrt mit seinem Erscheinungsbild den Namen der Band - zumindest was den Art-Faktor angeht. Der Rest kommt als merkwürdig zusammen gepusselte Mischung aus Sum 41-Lookalike, Kunst-Professor und Pubertierender in ihren ersten Gruft-/Grunge-Anflügen daher. "Poular culture no longer applies to me"? Dabei ist doch art the new pop, oder?
Sicher ist spätestens bei den Kaiser Chiefs eins: Der Dresscode ist bei Bands wichtiger denn je. It's Anzug-Time. Präsentierte sich die beste Band des Festivals auf ihrer Tour im Mai noch in relativ legerer Kleidung, ging es nun in Schwarz-Weiß auf die Bühne. Ihre grandiose Show, die sich ruckartig auf die Stimmung des Publikums übertrug, stand auf der festen Basis eingängiger, poppiger und doch eigener Melodien und extremer Livetauglichkeit der Songs. "You can take my temperature" ... sicher nicht nur wegen der Regenpause herrschten hier die höhsten Temperaturen. Die Live- und auch-sonst-alles-Band des Jahres. Merken, anstreichen, ansehen: Super!
Gegen dieses agile Treiben der jungen Engländer wirkten Nada Surf etwas kraftlos. Solide präsentierten sie dem langsam trocknenden Publikum ihre Hymnen auf die Liebe. Schließlich kam der Auftritt, auf den so viele sehnlichst warteten: Franz Ferdinand. Schon die 20er-Jahre-/Kraftwerk-gestylten Bilder der Band als Bühnendeko ließen die Erwartungen kochen. Die Stücke ihres Debüts kündigten die Schotten nach ein paar Songs galant als Klassiker, Oldies, oder Schlager, die wir sicher von unseren Eltern kennen, an. Die neuen, noch unveröffentlichten Songs hörten auf das Motto: Schneller, härter. Sixties-Appeal blitzte an jeder Ecke durch, das Schlagzeug bildete - wie auf der letzten Platte - straight den Rahmen. Nicht mehr ganz so einfach zu konsumieren, aber wer weiß schon, wie das am Ende auf dem Album klingt. Trotz neuer Songs agierte die Band eindeutig zu routiniert. Die Wahnsinns-Stimmung, die sie sonst oft im Publikum verbreiten, kam hier leider nicht zustande. Der Funke sprang nicht über.
Zu später Stunde sollen British Sea Power noch Zwiebeln ins Publikum geschmissen und ihr Keyboard zertrümmert haben. Schade, dass das Spiegelzelt - in dem die Vormittags- und Abend-Veranstaltungen statt fanden - viel zu klein war. Gerade mal 600 Leute durften sich reinquetschen, in der Schlange davor standen mindestens doppelt so viele. Bitte im nächsten Jahr ändern!
Auch wenn beim Aufwachen noch alles besser schien, musste Saint Thomas nicht mal einen Song zu Ende spielen, um den Regen herauf zu beschwören. Es hat einfach nicht sein sollen. Fluchtartig suchten die, die sich schon um ein Uhr aufs Gelände getraut hatten, nach einem Unterstand. The Coral versuchten mit dem sonnigen Gemüt ihrer Seventies-Melodien die pudelnasse Menge aufzuheitern. Doch so richtig kann man sich im Regen nicht auf die Bands konzentrieren. Es sei denn, man gehört zu denjenigen, denen eh schon alles egal ist.
Dass Moneybrother mit seinem hymnenhaften Soul den Himmel zum Aufreißen brachte und ihm ein paar Sonnenstrahlen entlockte, mochte man kaum glauben. Trotz der eher langsamen Songs gab er den - leider sehr gekünstelt wirkenden - Rocker. Das klappt einfach nicht, wenn man sich eine Band aus Vollblut-Muckern zusammenstellt. Auch dieser Auftritt eher solide als ergreifend. Genau das könnte man auch von Phoenix behaupten, brächten die nicht eine ordentliche Portion Charme ein. Nein, das liegt sicher nicht daran, dass sie Franzosen sind. Ihre charmante Art ist viel mehr universell. Immer wieder schön zu sehen. Auch Tocotronic, Mando Diao und vor allem Emiliana Torrini begeisterten. Leider mussten die, die sich von Emiliana im Zelt verzaubern lassen wollten, den Polyphonic Spree-Gig gegen Schlangestehen eintauschen. Nicht schön. Nicht bei strömendem Regen, aber auch sonst nicht.
Ach ja, zum Abschluss noch die Top drei der wettertauglichsten Kleidungsstücke: Platz drei geht an fix gebastelte Röcke aus Mülltüten, der zweite Platz an Ganzkörper-Regenanzüge (vor allem bei Zuschauern unter fünf und über 30 Jahren trendy). Der klare Sieger des Wochenendes ist allerdings der Gummistiefel. Hip gepunktet und geringelt zum Röckchen - oder in Olive mit in die Stiefel gestopfter Hose, natürlich oben zugeschnürt - da ging einiges!
Fotogalerie:
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