21. Dezember 2009
E-Mail von Gottes Gnaden
Interview geführt von Yan VogelIm Interview mit laut.de präsentiert sich Neal Morse als sehr geduldiger, in sich gekehrter Gesprächspartner, mit dem man jedoch wunderbar und ausgiebig über seine Passion reden kann. Das ist neben dem christlichen Glauben selbstverständlich die Musik.Verschwitzte Neal Morse unsere erste Interview-Verabredung noch über seinen Thanksgiving-Truthahn im Kreise der Familie, klingelt er ein paar Tage später gut gelaunt und auskunftsfreudig durch. Seinen Frieden hat der Ex-Spocks Beard- und wieder Transatlantic-Mastermind schon seit einiger Zeit gefunden.
Nach der Genesung seiner Tochter, die mit einem Herzfehler zur Welt kam, verschrieb sich Neal vor acht Jahren komplett dem Willen und Wirken Gottes, der ihn - Gott sei dank - zumindest wieder in die Arme seiner drei Kumpels von Transatlantic geschickt hat. Das aktuelle Album strotzt vor Spielfreude und geizt nicht mit gleichzeitig herausfordernden und wohlgefälligen Songs, deren Vielschichtigkeit auch nach zig Durchläufen noch Neues offenbart.
Hi Neal, wie geht's dir?
Oh, ich fühle mich großartig. Wie sieht es mit dir aus?
Ich sitze in der Musikwissenschaftlichen Bibliothek an der Uni Mainz umgeben von Werken und Büchern großer Komponisten wie Mozart, Beethoven und vielleicht in einigen Jahren auch Neal Morse.
Was für eine Ehre (lacht). Ich mag Mainz sehr. Mein Bruder wohnt nicht weit von dieser Stadt entfernt, in einer kleinen Stadt zwischen irgendwo und nirgendwo.
Nach deiner Hinwendung zu Gott und dem christlichen Glauben hast du sowohl deine Hauptband Spocks Beard als auch das All-Star-Projekt Transatlantic aufgegeben. Hast du diese Entscheidung in den letzten acht Jahren kein einziges Mal bereut?
Nein, das habe ich niemals. Damals war ich mir sicher, das Richtige zu tun, und dazu stehe ich auch heute noch, denn Gottes Wille gab den Ausschlag. Deswegen hege ich keine Zweifel an dieser Entscheidung. Ich bin jeden Tag bestrebt, Gottes Weg zu folgen, und jeder Tag birgt neue Überraschungen, jeder Tag ist unterschiedlich und für jedes neue Jahr sieht Gottes Vorsehung für mich etwas anders vor. Alles ist im Wandel begriffen und weit davon entfernt langweilig zu werden. Deswegen fühle ich mich sehr wohl.
Erzähl uns, wie der erneute Kontakt mit Transatlantic zustande kam.
Mein vorherrschendes Gefühl seit einer geraumen Zeit war, dass es Gottes Wille war ein neues Transatlantic-Album aus der Taufe zu heben. Ich habe seit Juni 2008 an einem Stück gearbeitet, das unverkennbar diesen Sound erkennen ließ. Die Umsetzung schrie förmlich nach den drei anderen Mitgliedern. Dann begann ich darüber nachzudenken, ob es an der Zeit wäre ein neues Transatlantic-Album aufzunehmen, sprach über einen Zeitraum von mehreren Monaten darüber mit Gott und fing dann an, Emails zu schreiben.
Mike (Portnoy, Drums) kontaktierte ich zuerst, was eine recht spaßige Angelegenheit war. Es gab noch einige weitere Fragen, die mich zu der Email veranlassten, eine Menge uninteressanter Dinge, bspw. wo und wie er heute seinen Tag verbringen würde und ein wenig Small Talk über Musik. Frage Nummer zwei etwa hatte den Inhalt, ob wir eine gemeinsame Aufnahme für einen Release auf Inner Circle (Neals eigenem Vertrieb) verwenden sollten. Und dann kam an dritter Stelle: Hast du Lust auf ein weiteres Transatlantic-Album? Und er mailte mir umgehend zurück, ich hätte gerade die Eine-Million-Dollar-Frage gestellt. Wir sprachen lose darüber und zogen nun auch Roine (Stolt, Gitarre/Gesang) und Pete (Trewavas, Bass/Gesang) in die Überlegungen mit ein, bis wir schließlich im April diesen Jahres zusammenkamen und das Album letztendlich im Oktober heraus brachten.
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass Mike und Pete mit ihren jeweiligen Bands dieses Jahr jeweils ein Album veröffentlichten, war es sicherlich nicht einfach einen geeigneten Termin zu finden. Oder war jeder der drei gleich Feuer und Flamme und zögerte keinen Moment?
Gerade die Terminkalender von Pete und Mike machten es schwierig, einen passenden Zeitraum zu finden, denn beide sind sehr viel unterwegs, während Roine und ich dem Ganzen eher offen entgegen blickten. Am Anfang standen wir alle dem Projekt eher skeptisch gegenüber, denn gerade im Frühling überschlugen sich für die beiden die Ereignisse und es war nicht mal sicher, dass es ein neues Transatlantic-Album geben würde. Es gab gerade mal zwei Wochen Übereinstimmung in den Terminkalendern, aber es klappte und wir kamen zusammen. Meine Einstellung zu der Sache war die ganze Zeit über, dass wir uns keinen Druck machen sollten, sondern es einfach geschehen lassen müssten. Wenn etwas geschehen soll, dann wird es das, auch wenn es bei uns zwischenzeitlich sehr brenzlig aussah.
Was war für dich der spannendste Moment?
Das war sicherlich die Arbeit an der Bridge im Song "Rose Colored Glasses". Wir hatten keinen richtigen Ansatzpunkt und wussten nicht, wohin sich der Song entwickeln würde. Pete schlug eine Akkordfolge vor, Mike sagte, wir bräuchten eine mitreißende Bridge an dieser Stelle, ich improvisierte ein wenig mit meiner Stimme. Und wenn dieser Part in eines der Hauptthemen übergeht, das in d-Moll steht, und sich die Stimmung verdichtet, größer wird, dann spüre ich, dass dies ein Part ist auf den wir sehr stolz sein können und der spannend klingt. (Neal singt ein paar Zeilen, um dies zu verdeutlichen) … und dann setzten die Synthesizer ein und es klingt einfach fett. Ich liebe diesen Teil.
Du wirst es nicht glauben, aber mein favorisierter Teil ist genau die von dir beschriebene Stelle in "Rose Colored Glasses", diese emotionale Bridge. Du scheinst es darauf anzulegen, die Menschen mitzureißen ..
Manchmal schleicht sich so ein Gefühl ein, man lässt sich hinreißen und schwelgt in der Schönheit der eigenen Ideen. Nach dem Motto: Das muss ich schnell aufnehmen, bevor ich es vergesse.
Was schätzt du höher ein, die Intuition oder den Prozess der Produktion und des Arrangements?
Beide Aspekte sind sehr wichtig. Das Intuitive ist sicherlich der Schritt, den ich mehr genießen kann, also die kreative Arbeit macht einfach mehr Spaß. Der Aufnahmeprozess und genau darauf zu achten, dass sich alles zu einem Ganzen fügt und alles seine Richtigkeit hat, ist wesentlich schwieriger.
"Gott spricht durch die Musik zu mir"
Du hast bereits erwähnt, dass ein Teil des Konzepts von "The Whirlwind" bereits in deiner Schublade lag. Wieviel haben eigentlich die anderen Mitglieder zum Songwriting beigetragen?Es gab diese Demo, von der wir zwischen 15 und 20 Minuten verwendet haben. Der Rest des Materials setzte sich aus vorhandenen Ideen und Songs von Roine und Pete und der gemeinsamen Arbeit während der zwei Wochen spontan zusammen. "The Whirlwind" ist eine Kollaboration, die sich zu gleichen Teilen aus den Ideen und der Arbeit der einzelnen Mitglieder speist. Die Art und Weise, wie wir in meinem Studio die Musik erschufen, lässt meines Erachtens nicht den Schluss zu, dass es ausschließlich auf meiner Initiative beruht.
Mikes Engagement beruht auf wichtigen Entscheidungsprozessen, was wir verwenden wollen und was nicht und welche Wendung die Parts nehmen könnten. Roines Beitrag zum Songwriting ist immens, und gerade in Bezug auf Pete realisieren die Wenigsten, wie stark er in das Songwriting eingebunden ist.
Kannst du Beispiele nennen für Parts, die aus der Feder der anderen stammen?
Die allererste Melodie, nach Einsatz der gesamten Band, ist Petes Melodie. Die erste Gesangslinie übernimmt zwar Roine, aber tatsächlich geht sie auf Pete zurück.
Einige Unterschiede zu deinen Solo-Projekt wurden im Verlaufe des Gespräch bereits offenkundig. Kannst du weitere nennen?
Der größte Unterschied besteht in der Entscheidungsfreiheit. Auf meinen Solo-Alben kann ich tun und lassen was immer ich möchte und was ich fühle. Bei Transatlantic muss man sein Ego vor Eintritt in den Proberaum außen vor lassen und sich gänzlich in die Gruppe einfügen. Es gibt eine Menge Veränderungen auf die man sich einlassen muss.
Meiner Meinung nach besteht ein Unterschied bei den Texten, die im Falle von Transatlantic profaner scheinen als bei deinen Solo-Alben, wenn man sich bspw. das Konzept über Martin Luther oder "Testimony", ein Bekenntnis zu Gott, ansieht. "The Whirlwind" hingegen ist nicht so stark personalisiert und religiös konnotiert, man könnte den Titel als moderne Metapher für die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz lesen.
Ein wenig unterschiedlich ist es sicherlich. Da stimme ich dir zu. Ein Großteil der Lyrics für "The Whirlwind" stammt aus meiner Feder. Alle Texte legte ich den anderen Mitgliedern zur Ansicht und Einschätzung vor. Und auf die Frage, ob sie sie mögen, antwortete jeder mit Ja. Mike war gar nicht in die Lyrics involviert, und niemand fand einen Anlass meine Worte zu korrigieren und hatte ein Problem damit die Zeilen zu singen. Überwältigend war für mich das Gefühl von Freiheit, auch in Bezug auf Transatlantic zu sagen, was mich wirklich bewegt.
Ich denke nicht, dass sich die Texte von "The Whirlwind" profaner lesen als die meiner Solo-Alben. In vieler Hinsicht fallen die Texte sogar noch spiritueller aus. Dieses Gefühl beschleicht mich bei einem Großteil des Transatlantic-Materials, wenn man bspw. "Stranger In Your Soul" als Vergleich heranzieht, dann ist dies ebenso spirituell angehaucht.
Als Einleitung zum vorletzten Part "Is It Really Happening" vernimmt der Hörer eine Klangcollage bestehend aus Nachrichten- und Konversationsausschnitten im Stile eines Hörspiels, dessen Inhalt eine Katastrophe zu sein scheint. Spielt ihr damit auf eine reale Begebenheit an und wenn dem so ist, welche historische Begebenheit meint ihr damit?
So genau weiß ich das noch nicht einmal. Diese Arbeit geht auf Pete zurück. Es war Petes Idee und er platzierte es an dieser Stelle. Bis heute habe ich keinen Schimmer, wo er diese Nachrichten-Versatzstücke ausgeborgt hat. Ich weiß wirklich nichts darüber. Er schickte es zu Rich (Mouser, Mixer) und Rich fertigte den Mix in Kalifornien an. Ich hörte diesen Ausschnitt auf dem fertigen Album, nachdem er eingefügt worden war und ich liebe diesen Teil, er ist großartig und er passt zum Konzept, auf dem das Album basiert.
Die Musik bedient mal wieder eine sehr große Bandbreite. Da hätten wir zum einen die bekannte Mischung aus Melodien und poppigen Elementen, wie sie deine erklärten Faves, die Beatles, salonfähig gemacht haben, und auf der anderen Seite den 70er Prog im Stile und Sinne von Genesis und Yes, der vor allem an den herausfordernden rhythmischen und harmonischen Passagen festzumachen ist. Ist dies der Stil, der jedem von euch in der Band am meisten entgegenkommt?
Wir haben alle eine große Affinität zu den Bands der 70er Jahre. Alle Bands, die du bereits erwähnt hast, haben wir verinnerlicht. Wir sprechen nicht direkt darüber, diese Einflüsse treten halt hervor, indem wir das spielen, was uns vorschwebt. Aber definitiv sind wir alle in dieser Hinsicht gebrandmarkt.
Im Song "Lay Down All Your Life" gibt es einige Anklänge an Led Zeppelins "Kashmir". "Is It Really Happening" klingt gerade in den Solopassagen stark nach Pink Floyd. Einen Disco-Einschlag, wie er bspw. auf "Out Of The Night" zu hören ist, gab es in dieser Form auch noch nicht bei euch. War es euch eine Herzensangelegenheit dem traditionellen Transatlantic-Sound ein paar neue Elemente hinzuzufügen?
Auf jeden Fall. Eine Zeppelin-Sektion gehörte bislang nicht zu unserem Repertoire. Und natürlich fühlte es sich anders an, diesen Part umzusetzen (lacht). Aber wir spielen halt so, wie wir es gerne mögen und hoffen, dass es gut ankommt und möglichst innovativ klingt. Wir haben uns nicht bewusst vorgenommen, etwas zu verändern, sondern wollten etwas schreiben, was gut ist, mich zufriedenstellt und Substanz aufweist ... und mir das Gefühl gibt, dass Gott durch die Musik zu mir spricht. An anderen Dingen bin ich gar nicht so sehr interessiert.
"Jesus Christ, The Exorcist!"
Standesgemäß gibt es wieder viele solistische und jamlastige Parts. Der meiner Ansicht nach Eindrucksvollste beschließt "Is It Really Happening". Habt ihr diesen Part improvisiert oder hattet ihr einen festen Plan?Der Part besteht größtenteils aus Ideen von Pete. Dieser schnelle Fuddel-Teil, den du ansprichst, war ein Überbleibsel meiner originalen Whirlwind-Demo. Auf der einen Seite hatten wir nun Petes langsame, elegische Passage und wir wussten, dass wir irgendwie in meinen schnellen Teil übergehen mussten (lacht). Entsprechend zogen wir das Tempo nach und nach an und bastelten es irgendwie zurecht, dass es mit meinem Teil korrespondierte. So kam diese Tempoverschärfung zustande.
Dieser Teil klingt nach der perfekten musikalischen Umsetzung des Album-Titels.
Klar, das klingt plausibel. Wie ein Sturm, der anschwillt, umherwirbelt, seinen Höhepunkt erreicht und wieder abflaut.
Man hört auch ein paar düstere Momente, die mit entsprechenden Harmonien, Sounds und Double-Bass unterlegt sind. Geht dieser Einfluss auf Mike zurück? Auf der letzten Dream Theater-CD sind gerade im Opener ähnliche Versatzstücke integriert.
Welche Stelle meinst du genau?
Am deutlichsten nimmt man diesen Sound entweder in "Evermore" oder am Ende von "A Man Can Feel" wahr.
Mikes Einfluss ist natürlich unverkennbar, auch wenn mir jetzt die Stelle nicht genau präsent ist. Wenn es Elemente gibt, die nach ihm klingen, dann geht dies wohl auch auf ihn zurück, das ergibt auf jeden Fall Sinn.
Er versucht ja gerade mit seiner Hauptband immer up-to-date zu sein. Versuchte er entsprechend moderne Ansätze in den eher retro-lastigen Sound von Transatlantic einzubringen?
Ich weiß nicht genau, ob es seine konkrete Absicht war. Wir sind offen für alles. Wir kommen zusammen, um kreativ zu sein und ein Album zu schreiben, das wir alle genießen können. Kalkulation spielt somit keine große Rolle.
Nach der Transatlantic-Reunion nimmst du wohl deine Kollabo mit Spocks Beard wieder auf, oder nicht?
Ich weiß es nicht. Ich kann nur beten und Gottes Hilfe aufsuchen und mich danach richten.
Und wann sehen wir dich mit Transatlantic wieder auf der Bühne?
Das steht noch nicht fest, aber wir führen derzeit Gespräche und hoffen, dass es im Frühling klappt. Wir halten euch auf dem Laufenden.
Versucht man sich einen Überblick über deine bisherigen Releases zu verschaffen, könnte man den Eindruck haben, dass du niemals schläfst. Kannst du uns einige konkrete Pläne für deine Zukunft verraten?
Natürlich liegt die Entscheidung letztendlich in Gottes Händen. So genau weiß ich noch nicht, was als nächstes ansteht. Ich sichte und schreibe gerade an neuer Musik und bin mir noch nicht hundertprozentig sicher, was ich damit anstellen soll, es sind auch wieder einige kürzere Nummern dabei.
Zudem habe ich ein Musical konzipiert und geschrieben, im Stile einer Rock Oper. Der Inhalt dreht sich grob um die letzten Tage Jesu, seinen Einzug in Jerusalem, die Kreuzigung und Wiederauferstehung. Der Arbeitstitel lautet "Jesus Christ, the Exorcist". Ich bin noch mit der Ausarbeitung beschäftigt, denke aber dass das Musical nächstes Jahr auf die Bühne kommt. Aber ich bete darüber und was immer im Ermessen und in der Vorstellung Gottes liegt, wird gleichzeitig mein Ratgeber sein.
Du hast Gott aufgrund einer persönlichen Erfahrung gefunden. Auf der anderen Seite gibt es ebenso Leute, die aufgrund negativer Erlebnisse wie Krankheiten, Krieg und dem Verlust geliebter Menschen sich vom Glauben abwenden. Kannst du ihre Beweggründe verstehen?
Selbstverständlich kann ich das nachvollziehen. Wir bestärken uns gegenseitig und helfen einander wieder auf die Beine zu kommen Das ist ja auch ein Grund, warum wir zusammen in die Kirche kommen und einen Gottesdienst feiern. Wir sprechen uns gegenseitig Mut zu und leisten Hilfe, um auch gegen solche Dinge, die jedem von uns passieren können, gewappnet zu sein. Ich habe großes Mitgefühl gegenüber Menschen, die vom Lebensweg abgekommen sind und deren Lebensweg in Schieflage geraten ist.
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