24. September 2013

"DJs sind überschätzt!"

Interview geführt von

Auf dem Melt! spricht Anders Trentemøller mit uns über kranke Kollaborateure, überschätzte DJs und sein neues Album "Lost", das nicht mehr elektronisch sein will.

Es ist ein Bombenwetter auf dem Melt! Festival und Anders Trentemøller sitzt vor seinem Auftritt apfelschorletrinkend am Grabower See und bestaunt die Kohlebagger. Als ich mit einem Steakbrötchen in den Künstlerbereich am Ufer komme, werden mir aber erstmal unerlaubte Substanzen abgenommen - bei den Künstlern ist heute von seiten des Melt!-Catering "Meat Free Friday" und man möchte keine Begehrlichkeiten wecken. Vielleicht hatte der Typ am Einlass aber auch nur tierisch Hunger.

Du spielst ja heute mit komplettem Band-Setup Stücke von deinem neuen Album "Lost", wie hast du deine Tracks mit zig Spuren festivaltauglich gemacht?

Erstmal ist mir wichtig, dass die Stücke live ganz anders klingen als auf dem Album, sonst könnte man ja auch zuhause bleiben. Also haben wir die Vocals alle mit Mary Fitz nachgesungen und dann skelettierte Pianoversionen daraus gemacht, von dort aus dann die anderen Instrumente wie Theremin drumherum arrangiert. Es wird krautrockig daher kommen und vielleicht jammen wir auch.

"Lost" ist eigentlich nur noch am Rand ein elektronisches Album und ich bin ja auch ursprünglich ein Bandmensch. Elektronische Musik war immer nur eine der Sachen, die ich gemacht habe, und darauf festgenagelt zu werden, fühlt sich manchmal ziemlich klaustrophobisch an. Gerade hab ich gesehen: Der iTunes-Store sortiert meine Alben nicht mehr als Elektro ein, sondern als Alternative. Yes! Ein kleiner Sieg. Ich würde gern mal die Abteilung von Apple sehen, die die Kategorisierung für neu eingestellte Platten macht - Leute, die Musik professionell in Schubladen stecken.

Also, ich bin gerne einfach nur ein Künstler. Dass ich die meisten Instrumente selbst spielen kann, macht es natürlich etwas einfacher, sie umzusetzen. Und von der Band bekomme ich auch viel Feedback. Ich habe mich damals vom Proberaum verabschiedet, weil ich Dinge allein austüfteln wollte und in meinem eigenen Tempo vorankommen konnte, aber jetzt macht mir dieses Arrangement, aus elektronisch produzierten Tracks mit anderen Leuten Livestücke zu machen, wieder sehr viel Spaß.

Allerdings war diesmal die Live-Umsetzung echt hardcore. Wir wurden nämlich mittendrin von Depeche Mode gefragt, ob wir sie mal eben schnell bei ihrer Tour unterstützen wollen - ich hatte vorher schon mal einen Remix für sie produziert. Sechs Shows sollten wir spielen, in England, Deutschland und der Schweiz. Das hat uns gezwungen, die Band noch schneller zusammenzustellen und die Stücke in neuen Versionen vorführfertig zu machen, und das alles, bevor das Album überhaupt ganz fertig war.

Hab kaum geschlafen, das alles hat sich angefühlt wie vier Vollzeitjobs auf einmal. Aber es war herrlich und hat funktioniert. Ich liebe positiven Stress dieser Art, auch wenn wir normalerweise ein paar Monate länger Zeit und vor allen Dingen Pause haben.

Erzähl, wie ist das so mit Depeche Mode auf Tour?

Fantastisch, die waren eine meiner Lieblingsbands, als ich ein Teenager war. Die haben einige der besten Popsongs aller Zeiten geschrieben! Mann, und dann kommt Martin Gore reingeschlendert, nippt an seinem Bier und plaudert mit mir über mein vorletztes Album! Und sagt tatsächlich: "Ich bin ein Fan!" Das war ein großer Moment für mich. Überraschenderweise hängt die Band tatsächlich oft zusammen ab, auch mit ihrer Crew. Dabei geht die Tour über 18 Monate - mit lächerlichen drei Wochen Urlaub oder so. Eigentlich ist das Wahnsinn.

Jedenfalls wird man da sicher schnell einsam oder auch verrückt, wenn man kein funktionierendes Rückhalt-System hat.

Stimmt, das hab ich mir auch gedacht. Aber die Dimensionen der ganzen Depeche-Mode-Tourmaschinerie waren schon echt verrückt. Überall wo sie hinkamen, gab es eigene Zimmer für die Familien, sie hatten ihren eigenen Proberaum und eine eigene Wäscherei, vollkommen abgefahrenes Catering mit fünf Hauptgerichten zur Wahl pro Abend, die dann auch noch täglich wechselten! Da haben über 120 Leute für die Band gearbeitet. Es war wie ein kleines Dorf, das von Stadion zu Stadion zieht.

Hast du denn auch Rückmeldung von den Depeche-Mode-Fans bekommen? Bei solchen riesengroßen Stadienkonzerten stelle ich mir das ziemlich schwierig vor, einzelne Stimmen und Stimmungen nach dem Gig herauszufiltern. Wie hast du deine eigenen Auftritte wahrgenommen?

Vor dir liegt eine Masse und man muss versuchen, Augenkontakt mit jemandem aufzunehmen, um nicht total zu schwimmen. Das größte der Stadien war diese O2-Arena, in die 70.000 Leute passten. Naja, wir durften halt nicht ganz so laut spielen wie Depeche Mode, die Hauptband sollte schon noch lauter klingen. Und blöd war auch, dass wir oft noch im Tageslicht gespielt haben, daher ging ein Teil der Stimmung durch die Lichteffekte flöten. Aber ich war trotzdem überrascht und sehr erleichtert, dass die Fans uns so gut angenommen haben. Depeche Mode-Fans sind ja eigentlich, nun ja, etwas eigen. Doch selbst wenn nur die vorderen Reihen total mitgehen, sind das ja immer noch 15.000 Leute!

"Sune Wagner von den Raveonettes war fast ein bisschen beleidigt"

Deine Musik transportiert eine ganze Reihe an Gefühlen und ist nie ausschließlich für den Dancefloor geschrieben. Wie weißt du, wann ein Album rund und fertig ist?

Also, ich leg zunächst mal einfach los, es gibt keine Konzepte oder sowas. Ungefähr nach der Hälfte des Produktionsprozesses kristallisiert sich aber ein bestimmter Weg heraus und ich versuche dann, in diesem Geisteszustand oder in der Atmosphäre zu bleiben. Es ist manchmal nicht ganz einfach, als ob man eine Spur halten will, die man nicht sieht. Am Ende wird das Album dann zu lang, und ich werfe die Schwächsten raus. Das Schwierige ist eigentlich nicht die Produktion der einzelnen Tracks, sondern, sie zu einem Album zusammenzustellen.

Spielt der Titel "Lost" also auf die Umstände der Produktion an?

Haha! Nein, ich mag die Ambivalenz einfach. Etwas verlieren muss ja nicht nur negativ sein, man kann sich ja zum Beispiel auch in jemandem verlieren oder "lost in music" sein. Oder man verliert seine Selbstkontrolle, vergisst alles um sich herum und ist einfach nur im Hier und Jetzt. Sowas kann Musik schaffen.

Hast du ein Bild vor Augen, wenn du dir das Album anhörst?

Das fällt mir wahnsinnig schwer, das in Worte zu fassen. Ich bin generell nicht gut mit Worten, bin zum Beispiel auch ein furchtbarer Texter. Daher lasse ich auch die Gastsänger alles selber texten.
Ich würde eher sagen, es ist so etwas wie ein destillierter Zustand, den ich da höre. Ach, siehst du: Wie scheiße klingt das denn?

Würdest du dem Totschlagargument zustimmen, dass über Musik zu reden ähnlich ist, wie über Architektur zu tanzen?

Absolut nicht - kann doch beides toll sein! Man muss es nur können, und da mache ich gern für andere Platz. Bei mir sind gesungene Worte immer vom jeweiligen Sänger, weil ich glaube, dass das die ehrlichsten Songs sind. Ich respektiere ihre Arbeit und ich würde nie jemanden bitten, etwas zu singen, was sie nicht selbst geschrieben haben. Das Konzept finde ich komisch. Und wenn man das Ganze von der anderen Seite betrachtet: Sänger sind ja bekannt, weil sie eben ihren eigenen Ausdruck durch das finden, was sie selbst schreiben und singen.

Du hast wirklich viele Gastsänger auf deinem Album - aber eigentlich arbeitest du lieber allein, oder?

Der Herstellungsprozess ist immer noch sehr einsam. Also mach ich die Stücke fast komplett fertig und dann gebe ich die Instumentals dem Sänger. Ich bin da ein bisschen autistisch. Andere Künstler arbeiten gern früher zusammen, aber ich brauche immer erstmal meine Zeit, um eine gewisse Sicherheit zu haben. Erst dann traue ich mich, Stücke anderen zu zeigen.

Aber beim Track mit Low ging das alles so schnell, ich hab den mit ihrer Stimme im Kopf geschrieben und überhaupt nichts daran geändert, als Mimi Parker dann tatsächlich darauf gesungen hat. Das hat so perfekt gepasst, dass ich fast heulen musste, es fügte sich nahtlos ein wie ein Puzzle.

Waren Low bei dir in Kopenhagen?

Nee, das wäre zu teuer gewesen, Low aus den USA zu mir ins Studio zu holen. Aber ich sollte das eigentlich viel öfter machen, mich mit Leuten zum Arbeiten treffen. Ursprünglich hatte ich auch eine Verabredung mit Kazu Makino von Blonde Redhead, als ich in New York war. Aber dann ist sie leider krank geworden und das Treffen hat nicht geklappt. Also hat sie ihre Stimme in ihrem Badezimmer zuhause aufgenommen, weil die Akustik da so besonders war. Es klingt genial, total außergewöhnlich und gruselig. Dabei sollte das eigentlich eher eine grobe Skizze sein, daher ist sie dann etwas später in ein Profi-Studio gegangen und hat dort nochmal aufgenommen.

Aber wir mochten die neue Version beide nicht. Vielleicht lag die Magie gerade darin, dass sie so krank war und ihre Stimme völlig drucklos klingt. Man versucht ja manchmal, bestimmte Stimmungen zu schaffen, und wenn man sich das dann vornimmt, klappt es überhaupt nicht. Aber so ist eine Spontaneität dabei, die sehr schön ist. Die tollsten Songs sind keine Kopfgeburten, sondern First Takes.

Wenn du so alleine an einem Album feilst und so tief im Thema steckst - kennst du dann diesen Doktorarbeit-Effekt, wo du das Ding einfach nur noch loswerden willst, damit du es nicht mehr sehen musst?

Zum Glück nicht, aber jeder kreative Prozess ist echt sauschwer. Auf gute, produktive Tage folgen Scheißtage. Und manchmal ist es auch frustrierend, vielleicht schafft man mal viel, aber es klingt nicht wie du es gern hättest. Ich versuche ja, keine manifeste Vorstellung vom Sound eines neuen Albums im Kopf zu haben, aber manchmal weiß man dann eben: So soll es auf keinen Fall sein! Dann gehe ich nach dem negativen Ausschlussverfahren vor.

Es ist schwierig, seine Vorstellung auf Band zu kriegen, ohne eine zu formulieren, verstehst du was ich meine? Darüber nachzudenken, wie etwas klingen soll - oder, was das Ganze soll - ist ein ärgerlicher, schmerzhafter Teil des Prozesses, den ich aber in seiner Gänze echt mag. Es ist quasi die Transferleistung. Und wenn mich das nicht so fordern würde, würde das Endprodukt auch beliebiger werden.

Ich will mich einfach nur nicht wiederholen, auch stilistisch, sonst langweile ich mich selbst. Mittlerweile weiß ich, wann ich mich nicht mehr an etwas aufhalten mag. Wenn ich da ewig an einem Track herumfummele und es klappt nichts, dann fliegt der einfach raus. Kill your Darlings. Dann gab es einen Grund.

Hast du viel unveröffentlichtes Material rumliegen oder räumst du nach einem Album auf und formatierst quasi dein musikalisches Gedächtnis neu?

Manchmal mache ich das genauso - alles, was nicht aufs Album kommt, wandert erbarmungslos in die Tonne. Meine Freunde fragen öfter mal, ob ich sie noch alle hätte, aber ich hab es im Nachhinein nie bereut. Obwohl, stimmt nicht ganz: Auf meinem letzten Album sollte eigentlich ein Track sein, den ich mit den Raveonettes aufgenommen habe. Aber irgendwas stimmte damit nicht, der klang nämlich immer noch viel zu sehr nach Raveonettes-Surfrock. Also hab ich ihn weggelassen - Sune Wagner war fast ein bisschen beleidigt.

Als ich hier an einem der clubbigeren Stücke gearbeitet habe, passte seine Stimme aus dem alten Song plötzlich ziemlich gut. Ich habe noch ein bisschen Timestretching gemacht und ihn dann angerufen: "Hey Sune, du singst jetzt auf einem Clubtrack!" Er war echt glücklich damit, seine Stimme in so einem neuen Kontext zu hören. Manchmal lohnt es sich eben doch, alles aufzuheben.

"Ich finde Minimal zum Sterben langweilig"

Du hast mit Mary Fitz und Ghost Society einige Freunde aus Kopenhagen auf dem Album. Hast du jemals darüber nachgedacht, von dort wegzuziehen?

Nee, nie! Obwohl, vielleicht mal für ein Jahr nach New York als so eine Art Sabbatical, aber eigentlich mag ich das kleine, kuschelige Kopenhagen. Ich finde es super, dass die Wege so kurz sind und jeder jeden kennt. Es ist alles schön übersichtlich bei uns. Bei der letzten US-Tour habe ich eine Tourpause in New York gemacht, jeden Tag japanisch gegessen und die letzten 15 Gigs Revue passieren lassen. In New York passiert soviel von alleine, dass man nur mittendrin sitzen und beobachten muss.

Wenn du von New York sprichst, warst du vielleicht schon mal bei Tim Sweeney's Radioshow Beats in Space zu Gast?

Klar! Das war total lustig. Die Show ist ja ein New Yorker Klassiker, daher eine Riesensache für mich. Seit über 15 Jahren macht er das schon wöchentlich und hat schon so ziemlich jeden Helden im Bereich der Dance Music für einen Livemix eingeladen. Ich war also ziemlich aufgeregt und fand ihn irgendwo in einem dunklen Korridor in der New York University. Sein Studio ist ungefähr so groß wie eine Schachtel Kekse. Man kann in der Mitte sitzend alle vier Wände anfassen, aber sich zu zweit darin zu bewegen ist gar nicht so leicht. Und man schwitzt wie bescheuert, es wurde wahnsinnig heiß da drin.

Sympathisch, die Brooklyn House-Koryphäe arbeitet immer noch wie beim Schülerfunk. Und seine Ausrichtung müsste dir doch zusagen, oder? Ich frage, weil Sweeney ja seinen Gästen immer sagt: Bring bitte bloß kein Techno-Elektro-Standard-Set mit, dass du normalerweise im Club spielen würdest, sondern gerne auch Krautrock, Prince und Latin.

Auf jeden Fall, ich mag seinen Ansatz gegenüber organischer und obskurer Musik. Und wie er alte und neue Musik verbindet. Es ist total super, wie er die Techno-Leute herausfordert, sich auf Instrumente und Melodien einzulassen. Das fiel mir nicht schwer, ich finde diesen Minimal-Kram auch zum Sterben langweilig, genauso wie Perfektion beim Auflegen. Es ist doch immer schön, wenn jemand seine Komfortzone verlässt. Und mal ehrlich: DJs sind als Superstars sowieso ein bisschen überschätzt.

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