laut.de-Kritik
Wie ein Mittwochabend zur Saturday Night wird.
Review von Martin MengeleAls die ersten Takte von "Cowgirl" den Äther erfüllen, ist das Palladium schon bis zum Bersten gefüllt. Die Motoren des heutigen Abends sind schon vorgeglüht, die Nasen gepudert und die Beine gestrecht. Die beiden Protagonisten dieses Technotheaters verstecken sich noch scheu hinter dem meterlangen Pult, dessen Beleuchtung sich wie bizarre Insekten emporreckt. Es gibt kein Halten mehr, wenn Karl Hyde wie ein tibetanischer Bettelmönch sein hypnotisches "Everything, everything, everything ..." in den tobenden Saal betet.
Zu diesem Zeitpunkt stehe ich allerdings im düsteren Fotograben und versuche ein paar spannende Photonen auf meinen Compactflash zu bannen. Neben zwei anderen Kollegen steht dort auch ein Typ mit einem Scheinwerfer rum und brennt ihn Karl Hyde direkt auf den Pelz. Dieser windet sich singend und ringelnd wie ein Glühwürmchen um die einzige Lichtquelle im Raum vorwärts auf der Bühne. Mesmerisierend wiederholt er "I'm invisible, I'm invisible, I'm invisible ..." bis ich selbst daran glaube und einfach nur noch die Kamera draufhalte und den Auslöser betätige.
Hinter mir beginnt die Menge zu toben und ich bin mir im Klaren darüber, dass hier nicht einfach nur ein platter Rave vonstatten geht. Mir wird auch bewusst, dass ich jetzt nicht einfach nur biertrinkend in der Ecke stehen und das Treiben so teilnahmslos an mir vorbeiplätschern lassen kann. Irgendwann gibt es kein Zurück mehr und ich lasse mich in die grinsende und kauende Menge treiben und schwinge meinen Hintern entlang der bunten Beats, die um mich herumschwirren. Langsam gleite ich in diese kollektive Trance und entdecke im Wirrwarr von Tänzern und Beats alte Bekannte wie "Cups", "Rowla" oder "Push Upstairs" wieder.
Auch Hits wie "Born Slippy" dürfen in diesem Tanzgewitter nicht fehlen. Verschnaufpausen sind rar und erscheinen z.B. in Gestalt von "Jumbo", wo Hyde auch mal zur Klampfe greift. Irgendwann muss ich mich aber aus dieser höchst ansteckenden Gruppendynamik lösen und besinne mich wieder der Tatsachen. Nein, es ist nicht Samstag Abend und dies ist nicht meine kleine Stammdisse im Keller. Es ist halb zwölf an einem Mittwochabend und eigentlich viel zu früh, um Party zu machen. Schade ...
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