16. September 2003

"Es macht mir nichts aus, mich zu verletzen"

Interview geführt von

Einen etwas flauen Magen haben wir schon. Erwarten wir doch die schlimmste aller Interview-Situationen: nämlich die, mit einem abgewrackten und durchgeknallten Rockstar. Aber es kommt anders und wieder einmal bestätigt sich, dass man der englischen Musik-Boulevard-Presse nicht allzu viel Glauben schenken sollte. Zwar sagt Drummer Brian Chase nicht allzu viel und wenn, dann höchstens "You Know", dafür sprudelt Karen nur so vor freundlicher und überraschend netter Sprach-Energie.

Sieht man sie ein paar Stunden später auf der Bühne, ist das schon ein klein wenig schizophren: Die Yeah Yeah Yeahs-Sängerin legt eine Unterhosen-Show aller erster Sahne hin, die vor allem aus der nicht vorhandenen Länge ihres Rocks resultiert. Sie scheint sich wohl ein paar durchgedrehte Stellen ihres Gehirns jeden Abend für die Bühne aufzuheben.

Karen, du hast einmal gesagt, dass das Gefühl für den Song auf der Bühne ein komplett anderes ist, als das beim Schreiben. Inwieweit sind die Songs auf der Bühne eine bloße Performance?

Karen: Es ist eben ein anderer Prozess als einen Song zu schreiben. Auf der Bühne ist alles sehr improvisiert und organisch: whatever happens happens. Es ist nicht sehr kalkuliert oder vorherbestimmt.

Wie wichtig ist Entertaining denn für die Yeah Yeah Yeahs?

Karen: Es ist sehr wichtig. Eine gute Crowd gibt der Sache ein anderes Gesicht. Vor ein paar Tagen haben wir in Hamburg gespielt und draußen hatte es ungefähr 40 Grad. Es war unerträglich auf der Bühne, aber das Publikum war trotzdem so fantastisch that we kicked more ass als in Berlin einen Tag später. Ein Publikum kann uns durch alles hindurch bringen.

Brian: Der Grund warum wir auf der Bühne stehen ist, um die Leute zu unterhalten. Wir lieben es einfach den Leuten dabei zuzuschauen wie sie durchdrehen.

Karen, du bist eine sehr extrovertierte Sängerin. Fühlst du dich manchmal nackt auf der Bühne, wenn du deinen Geühlen dort freien Lauf lässt?

Karen: Manchmal fühlt man sich verletzbar. Aber dieses Risiko muss ein guter Performer für das Amüsement der anderen auf sich nehmen. Es hilft mir aber, mich mit den Dingen, die ich tue besser zu verbinden und es wird dadurch zu einer leidenschaftlicheren Sache. Es kann die ganze Show auf ein höheres Level bringen.

Gibt es irgendwelche Grenzen für dich?

Karen: Ja, schon. Ich denke, ich würde meine Boobs nicht zeigen. Das ist wohl die einzige Grenze, die ich mir setze. Aber sonst gibt es nicht wirklich viele Grenzen. Es macht mir nichts aus mich zu verletzen und ab der Hüfte alles zu zeigen. Aber wenn jetzt mein Top runterfallen würde, dann wäre ich schon ziemlich angepisst.

Ist das auch der Grund, warum du dem Playboy abgesagt hast?

Karen: Ich hatte ein Angebot von denen, aber der Playboy steht nicht gerade hoch oben auf meiner Prioritäten-Liste.

Eure Musik wird von vielen Leuten mit Sex verglichen. Was hälts du davon?

Karen: Es gibt sicher eine starke sexuelle Unterschwelligkeit bei mir (lacht hämisch). Aber that's Rock'n'Roll und das machte für mich Sinn, als ich angefangen habe Rock- und Punk-Songs zu schreiben. Das ist das, was dich am laufen hält, wenn die Leute schwitzen und rumspringen. Alles lässt sich mehr oder weniger zu Sex in Beziehung setzen. Bei uns funktioniert das auch ganz gut ...

Kleidung ist ein wichtiger Bestandteil der Band. Karen, du hast sogar eine eigene Designerin ...

Karen: Ja, sie ist sogar mit uns hier. Es gibt da zwischen uns eine kleine Beziehung: Ich ziehe nur ihr Zeug an und sie designt nur für mich. Wir haben die Yeah Yeah Yeahs praktisch mit ihr zusammen aufgebaut. Aber eigentlich geht es eher um mich, da ich die Eier habe, das unerhörte Zeug auch anzuziehen.

War es dann auch geplant, die Band mit diesem Image aufzuziehen?

Karen: Ich wollte eine Band gründen, die die Leute aufrührt, gute Musik spielt und eine gute Party gibt. Mit solchen Nebensachen wie Design kann man die eigentliche Band etwas aufregender gestalten. Ich bin eben völlig von diesem ganzen Personality-Ding fasziniert. Wenn ich hier die Front-Frau spielen soll, dann will ich es auch nach meiner Vorstellung tun. Und mein Weg ist der, alles zu individualisieren und mich von den konstruierten Ladys im Musikbusiness zu unterscheiden.

Hast du das Gefühl, dass du das kontrollieren kannst oder dass die Medien daraus selbst etwas kreiert haben, das so vielleicht gar nicht existiert?

Karen: Die Medien geben manchen Dingen sicher mehr Gewicht als ich das eigentlich vorhatte oder sehe, aber das passiert unausweichlich. Wenn man uns live sieht, klärt sich das ziemlich schnell auf. Wenn du alles, was du über uns weißt, nur der Presse entnimmst, denkt man wahrscheinlich, dass es bei uns mehr um Style als um Inhalt geht. Aber das ist alles völliger Quatsch, es ist einfach nur ein Teil von uns. Music first.

Wie fühlt es sich für dich an, wenn du die ganze Aufmerksamkeit bekommst? Viele Leute reduzieren die Yeah Yeah Yeahs ja praktisch auf dich.

Karen: Ich bin die Front-Frau und bekomme deshalb natürlich auch mehr Aufmerksamkeit als ein männlicher Lead-Sänger. Die Medien machen aus dieser Ungewöhnlichkeit einen wirklich großen Deal. Es ist im Endeffekt aber lustig, da wir diese Band komplett gleichberechtigt gestartet haben. Wir alle haben daran sehr hart gearbeitet und es nervt natürlich, dass sich praktisch alles nur noch um mich dreht. Das ist wohl einer der Nachteile, wenn man in solch einen Hype gerät wie wir.

Ich habe gelesen, dass du Angus von der New Yorker Band Liars (der im übrigen auch ihr Boyfriend ist, Anm. der Red.) als den provokativsten Musiker der Welt hältst. Wie wichtig ist es, als Rockstar provokativ zu sein?

Karen: (lacht) Es ist wirklich sehr wichtig. Grundsätzlich kann man sagen: Wer etwas Neues versuchen will, muss provokativ sein. Es gibt eine Menge Bands, die nur anderen Bands ihres Genres huldigen wollen und Musik machen, die bereits gespielt wurde. Das ist natürlich nicht so provokativ, wie etwas Neues und Unbequemes zu erschaffen oder etwas, das vielen Leuten vielleicht auch uncool vorkommt. Und darin ist Angus wirklich gut. Er ist der King of Uncool. Er ist ein großartiger Performer und Songwriter. Und alles was er macht, scheint brandneu zu sein.

Ich habe ihn in Berlin auf der Bühne gesehen und er hat mir wirklich Angst gemacht.

Karen. (Lacht) Er hat auf der Bühne die Fähigkeit, den Leuten ein Gefühl des Unbehagens zu vermitteln. Das ist großartig.

Gibt es einen Gott der Provokation für euch?

Brian: Ich denke, jeder Major-Trendsetter in der Geschichte war einer. Jeder der die Norm missachtet hat und Dinge veränderte. Ob das jetzt Dadaismus oder Noise ist.

Vor den Yeah Yeah Yeahs hatten Karen und Gitarrist Nick als Akkustik-Duo Unitard angefangen. Gab es da einen speziellen Punkt, an dem ihr beschlossen habt zu rocken?

Karen: Oh nein, es gibt Unitard immer noch und wir schreiben immer noch Songs. Das ist nach wie vor das Herz von allem. Mit dem Akkustik-Ding haben Nick und ich zu unserer großartigen Chemie gefunden. Wir haben uns durch das New Yorker Nightlife kennen gelernt, weil wir damals beide große Party-Tiere waren. Wir gingen zu Dance- und zu Rock-Shows und waren von dem, was damals in New York abging, nicht sonderlich beeindruckt. Die meisten unserer Freunde waren in Bands und wir dachten einfach: Warum sollen wir es nicht auch probieren und die Dinge aufrütteln?

Das Interview führten Philipp Schiedel und Vicky Butscher.

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