laut.de-Kritik
Rock'n'Roll und Bierfontänen im Klon-Labor von Karen O.
Review von Jasmin LützAlso, wenn Punkrock sich nur noch durch mächtiges Styling, Tätowierungen und Silbergedöhne in der Fresse definiert, dann möchte ich doch lieber wieder als Quark ins Schaufenster gelegt werden. Zunächst wusste ich nämlich nicht, wo ich an diesem Abend in der Kölner Südstadt gelandet war. Auf einer Tattoo-Convention? In einem Frisuren-Workshop? Oder einfach im Stylomat? Spätestens nach meiner ersten Sitzung auf der Toilette wusste ich, nein, ich bin im Klon-Labor von Karen O. gelandet, Frontfrau der Yeah Yeah Yeahs und die eigentliche Attraktion des Abends. Ein vorwiegend junges Publikum fand sich im Bürgerhaus Stollwerck ein.
Ja, ich spreche von wirklich sehr jungen Menschen, die sich die besten Plätze in der ersten Reihe durch johlende Laute und feuchte Bierfontänen erkämpften und zu Hause wohl offensichtlich eine ganze Weile vor dem Spiegel ihre Pickel ausgedrückt haben. Doch auf sexy Karen mussten sie noch etwas länger warten. Zunächst hieß es Bühne frei für einen Mann namens Entrance, dessen Musik ich nicht zu definieren weiß und nach dessen erstem Stück viele Besucher fluchtartig die Halle verließen. Mich eingeschlossen. Sehr viel unterhaltsamer und deutlich Rock'n'Roll-Potenzial aufzeigend dagegen The Locust, der zweite Support des Abends.
Optisch sieht diese Band aus wie in Klopapier mumifizierte Rieseninsekten. Musikalisch reißen sie dir deine Kopfdecke ab. Nicht für Tinnitus-Kranke zu empfehlen. Ein Blick auf die Setliste und man musste kurz Schlucken: 23 Songs zählte man bereits, dabei war es schon recht spät am Abend und man freute sich schließlich vorwiegend auf die Hauptband. Doch nach dem ersten Song war allet klar. Die hysterischen Männer von Locust spielten ihre Stücke in Sekunden herunter und der krachige Metallsound-Auftritt dauerte nicht länger als 'ne halbe Stunde. Super!
Fünf nicht zu identifizierende Typen "demolieren" ihre Instrumente und die Ohren der Zuhörer. Jeder darf mal in sein Mikro grölen. Texte, scheiß drauf, Hauptsache viel Lärm! Als es vorbei ist, schreit man seine Mitmenschen draußen auch erst mal laut an: "Geile Band, ne? Was hast du gesagt? Ja, wie damals Napalm Death! Und die Blood Brothers kommen auch bald wieder auf Tour! Wer ist tot?" Okay, nun noch mal eine längere Umbaupause und dann kommen endlich die New York City Art-Punks. Zunächst sorgen Schlagzeuger Brian Chaise und der smarte Gitarrist Nick Zinner für Aufsehen und verwandeln das Bürgerhaus zum öffentlichen Proberaum. Die Aufmerksamkeit bleibt ihnen nicht lange vergönnt. Frau O sprengt die Bühne und zieht sofort alle Blicke auf sich. Kreisch!
Im wahren Leben die sympathische, natürlich aussehende Karen und jetzt die sexy Provokation in Fleisch und Blut. Sie und ihre zwei musikalischen Reisebegleiter liefern über eineinhalb Stunden eine wahnsinnige Show ab. Unglaubliche Kondition und keine Angst vor der sabbernden ersten Reihe, die ihr die Netzstrumpfhose zur Sau machen und dem ekstatischen Energiebündel am liebsten alle Fetzen vom Leibe reißen würde. Alle Blicke und Hände greifen nur nach ihr. Die Frau, die keine Schmerzen kennt und die schizophrene Meisterin der improvisierten Bühnen-Performance. Selbst wenn eine Bierflasche auf die Bühne fällt suhlt sich Karen schmachtend in den Scherben. Die Jungs in der ersten Reihe flippen total aus und bekommen feuchte Höschen. Von oben betrachtet, möchte man nicht wirklich auf den guten Plätzen stehen. Bei jedem Refrain und der vollen Punkrock-Dröhnung rasten die Jugendlichen aus und Pogo wird wieder zum Modetanz.
Eine amüsante und fesselnde Show zwischen Trash, Punkrock und Indiepop. Mit leicht makabrem Augenschmaus, als sich ein männlicher Fan eine Glasscherbe in den Mund steckt und sich Frau O.s irr-süßen Blick genüsslich auf der Zunge zergehen lässt. Hmmm, "Smells like Selbstverstümmelung"?! Die Bude kocht und die Yeah Yeah Yeahs kennen keine Gnade. Zwischendurch mal ein paar ruhige Töne, um dann wieder lauthals drauf zu schlagen. Durchgeknallt und rotzig beherrscht Karen die Bühne. Da bleibt kein Hit aus, obwohl es schwer ist, die Plattenversionen wiederzuerkennen.
Die Zugabe wird zunächst einmal bebuht, da kein rasanter Tempowechsel statt findet und der Gast schließlich vorwiegend seinen Körper durch die Masse quetschen lassen will. Doch das Warten nach einer scheinbar endlosen Schrammel-Orgie lohnt sich: "Miles Away". Yeah! Die Jugendlichen werden am nächsten Morgen so einige Hämatome am elterlichen Frühstückstisch zum Vorschein bringen. Aber sie werden glücklich sein und nach Käsebrot und Kakao mit grünen Haaren, verschmiertem Kajal und Ganzkörper-Tattoo die Sparkasse betreten. Dort werden sie Geld abholen, um in der Boutique nebenan neue flippige Outfits zu kaufen. Aussehen wie Karen O. - Schizophrenie ist in. Punks haben Geld und die Revivals nehmen überhand ... Welcome To The Retro Future!
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