3. Februar 2020
"Unser Job: Proteste sexy machen"
Interview geführt von Dominik KalusAnti-Flag, Soundtrack meiner Dorfjugend. Ich habe die politisierenden Songtexte gar nicht richtig verstanden, aber Bush war scheiße, das sah man seinem Gesicht schon in der Tagesschau an.
Heute, zwölf Jahre und ein Politikstudium später, brennt die Welt und alles ist scheinbar viel schlimmer geworden. Wie wütend müssen da Anti-Flag mittlerweile sein? Ich erwarte also zwei erzürnte Krieger zu treffen – und werde überrascht: "Komm herein in mein Büro", winkt mich ein ansteckend gut gelaunter Justin Sane in den wohnzimmerartigen Interviewraum einer Berliner PR-Agentur. Ich versuche ihm ein zynisches konsumkritisches Statement zu entlocken und deute auf den festlich geschmückten Weihnachtsbaum in der Ecke. Verlogener Kitsch? Er winkt ab. "Weihnachten ist prima. Man beschenkt Leute, die man mag und sieht seine Familie, das ist doch toll." Also gut. Nun bin ich auch weniger kämpferisch gestimmt und stelle meine Fragen. Justin Sane antwortet ausufernd, bestens informiert und wirkt einfach grundsympathisch.
Justin, ihr wart immer eine politische Band, habt aber in euren Songs Politiker nie namentlich erwähnt. Nun prangt auf eurem Cover ein klar erkennbarer Donald Trump, seine Stimme ist sogar im Opener zu hören. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
George W. Bush war ein Kriegsverbrecher, dessen illegaler Angriff hunderttausende Iraker getötet hat. So schrecklich das ist, es war leider nichts Neues in der amerikanischen Kultur. Das haben wir alles schon mal gesehen. Aber dieses Aufflammen des Neofaschismus, das Trumps Präsidentschaft mit sich brachte, dieser falsche Populismus, dieses Ermuntern zur Gewalt gegen politische Gegner – das konnten wir nicht länger ignorieren. Trump weiß genau, was er tut und was seine Worte auslösen. Der Attentäter von Christ Church hat sich auf Donald Trump berufen.
Die US-amerikanische Gesellschaft ist tief gespalten. Könnt ihr mit euren Statements überhaupt etwas bewirken oder erreicht ihr nur diejenigen, die ohnehin so denken wie ihr?
Also zu allererst müssen wir optimistisch sein. Wir müssen daran glauben, dass unsere Versuche irgendetwas bewirken, sonst können wir es gleich sein lassen. Und ich glaube wirklich, dass es etwas bringt. Wenn sich einer denkt, hey, diese Typen glauben an das gleiche wie ich, erhebt er das nächste Mal vielleicht eher die Stimme, wenn er etwas Rassistisches oder Sexistisches hört. Wir müssen uns gegenseitig daran erinnern, dass wir nicht alleine sind. Unsere Songs gehen an die Unterdrückten in den USA, Minderheiten, deren Rechte eingeschränkt werden. Wir wollen ihnen zeigen, dass es da draußen Menschen gibt, die sie unterstützen; die sehen, was passiert. Menschen, die gar nicht unbedingt das gleiche durchmachen – ich meine wir sind vier weiße Typen. Wenn das nur einem einzigen Menschen hilft, dann war es das Ganze schon wert.
"Manchmal kann es gut sein, gegen Gesetze zu verstoßen"
Was passiert denn, wenn Trump verschwindet, wenn ihn meinetwegen Aliens entführen oder so? Einige Menschen sagen, dass Trump nur ein Symptom eines kranken Systems ist ...
Nun, wenn er ein Symptom ist, dann ist er auf jeden Fall eines, das viel Schaden anrichtet. Leider wären nach seinem Verschwinden sofort andere zur Stelle. Vizepräsident Mike Pence zum Beispiel. Der ist ein Christlicher Nationalist. Der Typ glaubt buchstäblich, dass weiße, christliche Männer höherwertiger sind als alle anderen. Mit dem könnte alles sogar noch schlechter werden. Das ist einfach unglaublich. Donald Trump ist also nicht das einzige Problem, aber im Moment ist er die Galionsfigur der voranschreitenden Spaltung.
Euer Album-Opener "Hate Conquers All" klingt mächtig wütend ...
(Lacht freudig) Oh ja.
... wohingegen andere Songs auf dem Album, so ernst die Texte auch sind, heitere Melodien und Gutelaune-Stimmung verbreiten. In Deutschland erinnern manche Demonstrationen äußerlich an Raves und Open-Air-Partys – darf Protest Spaß machen?
Ich glaube es ist unser Job, Proteste sexy zu machen. Wenn sie keinen Spaß machen, dann ziehen sie keine Leute an. Es ist wichtig für uns als Band, Optimismus zur Schau zu tragen und eine Vision zu haben. Wege aufzuzeigen ist genauso wichtig wie zu sagen, was schief läuft. Wir können uns gegenseitig hochziehen, es ist nicht alles hoffnungslos. Das wollen wir zeigen.
In den Essays im Album-Booklet stehen ein paar interessante Gedanken. Zum Beispiel äußert ihr euch zu dem bei Trump-Kritikern beliebten Slogan 'Love Trumps Hate'. Der sei nämlich unwahr: Liebe übertrumpft nicht automatisch den Hass, steht da.
Naja, also dieses Statement ist schon clever und durchaus wertvoll. Aber es ist genauso wichtig zu sagen: Das, was Donald Trump macht, ist nicht einfach Hass. Es ist Rassismus, es ist Sexismus, es ist Xenophobie. Wir wollten zeigen, dass er eine Ideologie mit sich bringt. Hass an sich ist nicht immer nur schlecht. Er kann auch eine Motivation sein, sich gegen seine Unterdrücker aufzulehnen. Manchmal kann das nötig sein. Ich würde mich zwar immer für den gewaltfreien Weg entscheiden, aber alle Formen des Widerstands haben ihre Daseinsberechtigung. Ich werde niemanden, der unterdrückt wird, für seinen Widerstand kritisieren.
An einer anderen Stelle heißt es, kein Wandel sei je ohne illegale Aktionen vollzogen worden ...
Ja, absolut. Ich meine, man muss immer darauf schauen, was moralisch ist. Es gibt Gesetze in den USA, die Homosexuellen verbieten zu heiraten. Wenn sie es trotzdem machen, brechen sie das Gesetz. In diesem Fall sollten sie das auch, weil dieses Gesetz unmoralisch ist. Oder die Leute, die Anne Frank geschützt haben: auch sie haben das Gesetz gebrochen. Aber sie haben das Richtige getan. Es kann also manchmal gut sein, gegen Gesetze zu verstoßen.
"Obamas Behörden haben schon vor Trump Menschenrechte verletzt"
Was glaubst du wird in Zukunft geschehen? Langsame Evolution zum Besseren oder doch der Knall?
Das ist wirklich schwer zu sagen. Ich glaube, das Wichtigste ist, Empathie zu zeigen. Die Welt wird nie perfekt sein, es wird immer Probleme geben. Aber gerade deswegen müssen wir aktiv bleiben und die Dinge in eine richtige Richtung bewegen. Die Geschichte der USA ist eine Geschichte der Unterdrückung: Amerika wurde gegründet von Leuten, die den Eingeborenen Land gestohlen haben, um sich selbst zu bereichern. Dann kam die Sklaverei, dann die Ausgrenzung der ehemaligen Sklaven – klar, dass wir aus so einem hässlichen System nicht über Nacht heraus kommen. Aber ich glaube wirklich, dass wir in die richtige Richtung gehen. Wenn wir aufgeben, dann gewinnen die Donald Trumps der Welt.
Trumps Vorgänger Obama war in Deutschland sehr beliebt. Aber auch in seiner Amtszeit habt ihr drei kritische Alben rausgebracht.
Obama war auch bei vielen Amerikanern sehr beliebt, aber leider ebenso eine große Enttäuschung für viele. Er hat niemanden der Schuldigen an der Finanzkrise zur Rechenschaft gezogen, hat zugelassen, dass diese Bänker die Existenzen von so vielen Menschen zerstört haben. Viele Leute haben darauf komplett das Vertrauen in den politischen Mainstream verloren. Außerdem hat Obama mehr als drei Millionen Menschen ohne Papiere deportieren lassen. Seine Behörden haben schon Menschenrechte verletzt, bevor das Trump jetzt auf ein neues Level bringt. Von den Drohnenangriffen im Nahen Osten ganz zu schweigen. Ich habe auch Obama gewählt und war total aufgeregt am Anfang, aber er hat sich dann doch als Politiker der Konzerne entpuppt.
Wenn der erste schwarze Präsident der USA also eine Enttäuschung war, was können wir dann von Bernie Sanders erwarten – einem alten weißen Mann, der von Sozialismus spricht? Kann so einer das Land einen?
Viele ältere Menschen in den USA haben Angst vor dem Wort Sozialismus, das stimmt. Aber es hat sich mehrfach gezeigt: Wenn Leute ihm einmal zuhören, auch Leute, die Fox gucken, mögen sie, was er sagt. Der große Unterschied zu anderen ist, dass Bernie Sanders nie das große Geld bekam. Obamas Wahlkampf wurde von der Finanzindustrie gesponsert, während Bernie Sanders Einzelspenden sammelte, und zwar Millionen davon. Dass er solange in Washington ist und sich nie ausverkauft hat, spricht wirklich für ihn. Aber auch wenn er tatsächlich Präsident werden würde, weiß ich, dass er mich in irgendeiner Art enttäuschen würde. Den perfekten Präsidenten gibt es einfach nicht.
Wo wir vom Alter sprechen. Ihr habt euch 1993 gegründet – da bin ich geboren worden. Fühlt ihr euch alt?
(Zögert) Ich fühle mich wie 25 (lacht). Ich meine, unsere Körper haben sich verändert. Aber wenn ich auf der Bühne bin und mit Menschen über die Musik interagiere, ist meine Leidenschaft noch die gleiche wie am Anfang. Von der Perspektive habe ich mich nicht verändert. So viel im Leben ist Einstellung, daran glaube ich wirklich. Also wenn du dich entscheidest, positiv und jung im Herzen zu sein, bleiben die guten Aspekte im Leben die gleichen. Das gute am Älterwerden ist aber, dass du weiser wirst, erfahrener. Das hilft dir, bessere Entscheidungen zu treffen.
Justin, vielen Dank für das Gespräch! Eure positive Art ist ermutigend.
Sehr gerne! Freut mich richtig, das zu hören.
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