31. Mai 2011
"Erfolg ist Fluch und Segen zugleich"
Interview geführt von Michael Edele"Khaos Legions" nennt sich das neue Arch Enemy-Album, das dieser Tage erschien. Bereits im März lud das Label zu einem besonderen Geheimgig der Band und zur Listening-Session in irgendein seltsames Kaff zwischen Köln und Dortmund am nächsten Morgen.Für "Khaos Legions" haben sich Arch Enemy und ihr Label etwas Besonderes einfallen lassen. Im Vorprogramm gab es für Presse und ein paar Die Hard-Fans ein nahezu privates Konzert im AJZ in Wermelskirchen. Wermelswiebitte? Wermelskirchen! Denn in diesem Club hatte die damals wohl noch als Teenager durch die Gegend hüpfende Angela Gossow ihren allerersten Gig überhaupt!
Mit 200 Leuten ist der Club mehr als gefüllt, entsprechend kuschelig geht es zu, als Angela und Arch Enemy die ebenfalls äußerst kleine Bühne betreten. Fotograben oder Security ist hier Fehlanzeige – alle müssen sich drauf verlassen, dass das Publikum mitspielt und nicht auf einmal 20 Leute neben den Musikern auf der Bühne stehen.
Das Experiment geht aber voll auf! Der Sound ist klasse, das Publikum frisst Angela, die ihre Ansagen meist - trotz sehr internationalem Publikum - auf Deutsch hält, aus der Hand und der Einzige, der sich später aus dem Publikum zu ihr auf die Bühne gesellt, ist ihr kleiner Bruder, der natürlich genau wie Mama Gossow vor Ort ist und sich im Moshpit wacker schlägt. Neben dem bekannten Material gibt es auch bereits zwei neue Songs zu hören, die bei den Fans umgehend auf Gegenliebe treffen. Scheinbar haben die Jungs und ihr Mädel wieder alles richtig gemacht.
Der Eindruck hält auch am nächsten Vormittag an, als wir zusammen mit dem Rest der Pressemeute erneut im AJZ sitzen und uns die ungemasterten Songs von "Khaos Legions" anhören dürfen. Musikalisch gibt es erwartungsgemäß keine große Veränderung, schließlich haben die Amott-Brüder ihren Stil über die Jahre perfektioniert.
Was Michael und Chris an Leads und Soli aus ihren dürren Ärmeln schütteln, bewegt sich einmal mehr im obersten Bereich, auch die Riffs lassen Großes erwarten. Drummer Daniel Erlandson hat ebenfalls ein paar starke Momente auf dem Album, weswegen wir ihn und Chris Amott wenig später zum Gespräch bitten.
Während Daniel interessiert und offenherzig erscheint, gibt sich Chris immer ein wenig zögerlich, leise und sehr zurückhaltend. Man ist sich nie ganz sicher, ob Interviews allgemein nicht so sein Ding sind, weil er sich unsicher fühlt, oder ob er schlicht und ergreifend keinen Bock drauf hat. Somit vergehen ein paar Minuten, ehe der Mann etwas auftaut.
"Ohne die aggresiven Vocals wärs ne Pop-Nummer"
Das war jetzt für euch auch mehr oder weniger das erste Mal, dass ihr den Mix in der Form hört, oder?Daniel: Ja, da liefen mal wieder ein paar Sachen schief und je näher wir der Deadline kamen, desto klarer wurde, dass das wohl nicht klappt (lacht). Wir haben also Andy Sneap, unseren Produzenten angerufen, und ihm gesagt, dass er ne Nachtschicht einlegen muss. Die Songs hat er nun heute Morgen durchgemailt, damit ihr sie euch heute überhaupt anhören könnt. Da ist im Endeffekt noch einiges dran zu arbeiten, aber das was ich bislang gehört habe, klang schon mal großartig.
Kann ich nur bestätigen. Wart ihr eigentlich nervös, wie die die Leute hier auf die Scheibe reagieren oder habt ihr mittlerweile so viel Routine, dass ihr auf eure Stärken vertraut?
Daniel: Nein, natürlich waren wir nervös und neugierig und sind es immer noch. Wir stecken ja jedes Mal verdammt viel Arbeit in ein Album und sind immer gespannt, wie es von Fans und Presse aufgenommen wird. Allerdings wollten wir auch nicht mit drin sitzen und versuchen, in den Gesichtern von jedem Einzelnen zu lesen, deswegen haben wir uns nach draußen in die Sonne verzogen.
Chris: Ich war dann doch neugierig und hab ein paar Mal reingeschaut, während die Scheibe lief. Für mich sah es aber so aus, als ob die meisten mit den Songs zufrieden waren. Aber genau weiß man das auch immer erst im Nachhinein.
Wenn ihr der Scheiben den Titel "Khaos Legions" gebt, was bedeutet Chaos für euch?
Chris: Hm, ich denke mal, so ziemlich das gleiche, wie für jeden anderen auch. Etwas, das nicht organisiert oder geordnet ist. Ich hab mir da aber auch noch nie so große Gedanken drüber gemacht. Texte sind ja weitgehend Angelas und vielleicht Michaels Gebiet. Uns darfst du eigentlich nur was zum Thema Musik fragen.
Angela ist ja eine politisch sehr interessierte und aktive Person. Seid ihr da ähnlich gepolt oder haltet ihr euch beim Thema Politik lieber zurück.
Daniel: Also mein Ding ist das nicht so sehr, aber ich würde uns als Band eher so einstufen, dass wir gegen bestimmte religiöse oder politische Ansichten sind. Angela ist da tatsächlich sehr engagiert und aktiv, aber der Rest von uns ist in der Beziehung etwas zurückhaltender.
Chris: Wir haben innerhalb der Band auch recht unterschiedliche Meinungen, auch wenn wir nach außen hin relativ geschlossen auftreten. So sind mittlerweile auch fast alle in der Band und der Crew Vegetarier, was aber ebenfalls nicht unbedingt auf Angelas Einfluss zurück zu führen ist. Das hat sich einfach nach und nach so ergeben, und ich bin auch kein echter Vegetarier, da ich auch immer wieder gern mal Fisch esse.
Wie entstehen die Songs denn bei euch? Trefft ihr euch tatsächlich im Proberaum, um sie dort gemeinsam auszuarbeiten?
Daniel: Das unterscheidet sich von Album zu Album. Dieses Mal haben wir tatsächlich sehr viel gemeinsam im Proberaum an den Songs gearbeitet. Die meisten Ideen bringt Michael, und wir arbeiten sie dann zusammen aus. Wir lassen bei den Proben aber auch immer die Mikrofone mitlaufen und jammen mehr oder weniger drauf los. Dann hören wir uns abends die Bänder an und sehen, ob etwas Brauchbares dabei ist.
Probierst du dann für dich auch erst mal bestimmte Drumpatterns aus, ob sich an einer bestimmten Stelle jetzt eher was Schnelles oder was Langsames anbietet?
Daniel: Klar, auf jeden Fall. Wenn Michael mit einem Song ankommt hat er dafür zwar auch meistens schon gewisse Idee und Vorgaben, bzw. etwas programmiert, aber das heißt ja nicht, dass das alles komplett so übernommen werden muss.
Chris: Wir sind uns in solchen Sachen aber auch alle meist sehr schnell einig. Jeder in der Band weiß, wie Arch Enemy zu klingen haben, und da gibt es dann auch keine großartigen Diskussionen. Von Streitereien kann man da gar nicht erst reden. Das läuft alles sehr harmonisch ab.
Auch bei einem Song wie "No Gods No Masters", der ja doch recht straight und simpel ausgefallen ist? Immerhin geht der für eure Verhältnisse doch fast schon in eine poppige Richtung.
Daniel: Da hast du recht, das ist wahrscheinlich der straighteste Song, den wir bis dato geschrieben haben. Aber das bringt auch eine gewisse Dynamik auf die Scheibe. Dass wir eine sehr genaue Vorstellung davon haben, wie wir als Band klingen wollen, heißt ja im Gegenzug nicht, dass wir uns deswegen limitieren würden. Wir haben ja auch Thrasher wie "Vengeance Is Mine", da kann man bei anderen Songs auch mal ein wenig vom Gas gehen.
Chris: Es war sehr interessant, "No Gods No Masters" gestern zum ersten Mal live zu spielen, denn der Song ist wirklich eine sehr relaxte Nummer für uns. Da kann man sich echt mal die Zeit nehmen, um das Publikum zu beobachten, weil man an den Instrumenten nicht so gefordert wird. Der Song ist schon relativ soft, funktioniert aber dank der aggressiven Vocals auch in unserem Kontext. Ansonsten wär das wohl echt ne Pop-Nummer.
Michael hat ja seine ganzen anderen Projekte, Chris und Sharlee ebenfalls. Was ist denn mit dir Daniel? Bist du abseits von Arch Enemy auch aktiv?
Daniel: Nein, mein ganzer kreativer Input fließt in Arch Enemy. Ich arbeite als Techniker im Studio und mache da auch bei uns im Proberaum mehr und mehr draus, um das dann auch bei den Aufnahmen zu verwenden. Aber musikalisch halte ich mich aus anderen Sachen raus.
"Wir haben viele Freunde in Japan"
Scheinbar nehmt ihr mehr und mehr in die eigene Hand und löst euch weitgehend von den üblichen Management-Strukturen.Chris: Ja, auf jeden Fall! Wir haben noch einen Kumpel als Tourmanager dabei, aber Angela nimmt in Sachen Management mittlerweile das meiste in die Hand. Das ist aber auch ok und sinnvoll, schließlich sind wir lange genug im Business und wissen, wie der Hase läuft. So haben wir die meisten Entscheidungen in der Hand und können auf Anfragen und alle weiteren Dinge direkt reagieren.
Wie reagiert ihr denn auf die Katastrophe in Japan, mit den ganzen Erdbeben und der Tsunamie? (Die Reaktor-Katastrophe war zum Zeitpunkt des Interviews noch nicht so weit fortgeschritten, d. Red.)
Chris: Tja, wir hätten nächste Woche eigentlich nach Japan fliegen sollen, um dort ebenfalls Interviews zu geben, haben das jetzt aber erst einmal abgesagt. Wir haben enorm viele Fans und auch Freunde in Japan, mit denen wir uns erst einmal in Verbindung gesetzt haben. Das ist echt furchtbar, was da gerade passiert. Ich hoffe, den Menschen wird schnell geholfen. Wenn alles klappt, holen wir den Trip aber in einem Monat etwa nach.
Daniel: Auch wenn die Situation in Japan sicher wäre, hätte es kaum Sinn, jetzt zur Promotion da rüber zu fliegen. Mal im Ernst: im Licht der schrecklichen Geschehnisse ist eine Albumveröffentlichung nun wirklich das Letzte, auf das sich die Leute kümmern wollen und sollen. Da stehen ganz andere Probleme an.
Zurück zum Album. Chris, wenn du live deine Soli zockst, wie viel ist dabei dann Improvisation und wie viel ist Festgelegtes?
Chris: Wie gesagt, wir nehmen die Proben immer auf und oftmals landen die Soli, die ich währenden Proben improvisiere, dann auch auf der Scheibe. In den Grundzügen spiele ich die dann auch live, aber das ist in der Regel eher fifty/fifty. Bei anderen muss ich mich aber auch richtig hinsetzen und sie ausarbeiten, weil ich mit den ersten Ideen nicht wirklich zufrieden bin. Das ist dann richtig Arbeit, aber wenn das getan ist, dann bleiben die auch weitgehend in der Form. Auch live, da bin ich dann sehr kritisch, denn ich will mich auch so wenig wie möglich wiederholen. Allerdings höre ich mir die alten Scheiben und Soli von uns so gut wie nie an, weswegen ich kaum sagen kann, ob ich da irgendwas wiederhole oder nicht (lacht). Ich denke mal, gerade in den Songs, die schon einige Jahre auf dem Buckel haben, haben sich die Soli am meisten verändert.
Daniel, bei "Under Black Flag We March" hast du ein paar sehr coole Drumpatterns eingespielt. Was macht dir mehr Spaß? Straight Sachen oder doch solche Nummer, wo du auch ein bisschen Abwechslung und eine Herausforderung hast?
Daniel: Auch wenn ich das jetzt wahrscheinlich nicht sagen dürfte, aber eigentlich die straighten Sachen. Ich wird ja auch alt (lacht). Mit der Zeit wird man bei so was ein bisschen fauler, und hab ich bei all den technischen Sachen dann auch nichts gegen ein paar simple, straighte Nummern. Vor allem, weil die Fans in solchen Parts auch natürlich deutlich besser mitgehen und mitbangen können. Aber auch da gibt es auf der neuen Scheibe sehr unterschiedliche Sachen. Bei ein paar Songs muss ich mich richtig anstrengen und für ein paar Parts musste ich sogar eine neue Technik in Sachen Double-Kick ausprobieren, weil ich das sonst in der Geschwindigkeit nicht hätte spielen können. Dabei sind das nicht mal die Blastbeats, wo ich mit dieser Technik arbeiten muss. Naja, jedenfalls versuche ich sowohl mit den Fußballen, als auch mit den Fersen zu spielen, was nicht ganz einfach ist. Von daher denke ich, dass es vollkommen ok ist, wenn man bei neuen Songs experimentiert und andere Sachen ausprobiert. Man muss aber immer im Auge behalten, dass man die Sachen auch live spielen muss, und da wird es dann manchmal ganz schön haarig.
Wenn Daniel sagt, dass er ein paar neue Tricks in Sachen Drumming gefunden und ausprobiert hat. Wie sieht das für dich an der Gitarre aus, Chris?
Chris: Puh, ich glaube nicht, dass es da in spieltechnischer Hinsicht noch viel Neues zu entdecken oder auszuprobieren gibt. Das ist dann eher eine Sache des Aufnehmens, Arrangierens und Ausarbeitens. Michael und ich nehmen uns meist gegenseitig auf, dass ich seine Sachen überwache und ausproduziere und er meine. Es sind also dann eher die Studiomöglichkeiten, die wir dann neu ausloten, als die spieltechnischen.
Daniel: Das ist dann aber auch die Gefahr im Studio, dass man sich zu sehr auf Kleinigkeiten fokussiert und daran immer und immer wieder herum bastelt. Ich hab zum Beispiel ewig an einem Snare-Sound rumgebastelt, den Andy Sneap unbedingt haben wollte. Dazu musste ich die Snare in einem bestimmten Winkel mit einer bestimmten Stärke treffen und das hat und hat einfach nicht geklappt. Andy hat diesen Sound durch Zufall einmal gehört und wollte ihn dann immer (lacht). Das musste ich dann immer und immer wieder versuchen, bis er zufrieden war.
Kein Wunder, dass ihr mit der Scheibe nicht rechtzeitig fertig wurdet, wenn ihr euch mit so was aufhaltet.
Daniel: Naja, das Ding ist halt, dass wir es uns mittlerweile auch leisten können, so lange im Studio zu bleiben. Das ist sowohl Fluch, als auch Segen. Früher hätten wir nicht mal ansatzweise das Geld dafür gehabt, uns mit solchen Kleinigkeiten zu beschäftigen. Da mussten Aufnahme, Mix und Mastering quasi in einer Woche abgeschlossen sein, weil die Kohle einfach nicht da war.
Wie viele Lieder hattet ihr denn zur Auswahl für die Scheibe?
Chris: Eigentlich gab es nur einen weiteren Song, der es nicht auf das Album geschafft hat, aber der wird wohl auf einer EP landen. Dann gibt es natürlich noch den üblichen Bonustrack für Japan, wobei es sich wohl um ein Mike Oldfield-Cover handeln wird. Aber eigentlich ist alles, was wir aufgenommen haben, nun auch auf "Khaos Legions" zu hören. Das heißt aber nicht, dass wir knapp mit Songs gewesen wären. Ganz im Gegenteil, denn dieses Mal haben sich echt wieder alle am Songwriting beteiligt. Auch Sharlee hat mal wieder ein paar Sachen beigesteuert.
Ihr habt ja auch schon wieder einen proppevollen Tourkalender. Mir wurde gesagt, dass ihr von März bis Dezember unterwegs seid.
Daniel: Naja, nicht komplett durchgehen, aber im Groben stimmt das schon. Und das ist ja nur 2011. Für 2012 stehen auch schon die ersten Dates (lacht). Aber so lange es Spaß macht, kann man ja nicht wirklich von harter Arbeit sprechen.
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