7. April 2008
"Die Brasilianer mögen Udo Jürgens"
Interview geführt von Kai Kopp2006 zieht die Deutsch-Brasilianerin Bê für fünf Monate nach Salvador da Bahia ins Haus des Grammy-Gewinners Luzi Brasil. "Diese schöne, verrückte und afrikanischste Stadt Brasiliens ist ein ideales Setting, um eine CD aufzunehmen", sagt sie, "jeden Tag begannen wir mit unserer Tagesbesprechung im türkisfarbenen, 26 Grad warmen Wasser."Bossa Nova, Samba, Pop, Funk, Soul ... es brodelt im Schmelztiegel der Música Popular Brasileira. Bê spielt ihr Debütalbum mit dem brasilianischen Grammy-Gewinner und Gitarrist Luiz Brasil (Gilberto Gil, Caetano Veloso) ein, mit dem sie fast ein halbes Jahr in Salvador da Bahia zusammen wohnt, um aus Ideen Songs werden zu lassen, aus türkisfarbenen Wasser ein Lagerfeuer und aus harter Arbeit ein bemerkenswertes Debütalbum. Bê über die "feine Mischung", unglaubliche Zufälle, "Ich war noch niemals in New York" von Udo Jürgens, Biergärten, Weihnachtsbäume, Willenlosigkeit, die Liebe zu Brasilien und über Musik, die, ähnlich einem Buch, bei dem es auf die Qualität des Inhalts und nicht auf das Papier ankommt, nicht aus der CD besteht, sondern aus den transportierten Gefühlen.
Bê, kannst du uns an deinen Abenteuern mit Luiz Brasil teilhaben lassen?
Mit einem so erfahrenen Musiker zu arbeiten, verlangte von mir höchste Konzentration und ging auch mal an meine Belastungsgrenze. Manchmal, wenn mir bewusst wurde, dass ich mit dem Gitarristen meine Debüt-CD mache, den ich schon als Kind auf den Covern der Platten meines Vaters bewunderte, und dass an diesem Mikrophon zuletzt Gal Costa und Daniela Mercury standen, bekam ich echt weiche Knie. Andererseits war ich auch unglaublich stolz. Wahrscheinlich gibt es keinen besseren Ort als Salvador da Bahia, um eine CD aufzunehmen. Es spielt sich ja nicht alles im Studio ab. Es muss überlegt und geplant werden, die Stücke werden komponiert, aus Ideen werden Songs, Texte werden geschrieben, verworfen, wieder aus dem Papierkorb geholt, dann wird verfeinert und verändert, da und dort noch eine Strophe hinzugefügt und der Refrain verkürzt, erst dann kommt der Teil im Studio. Wir drei, Luiz, Markus und ich, waren wirklich ein super Team. Jeden Tag begannen wir mit unserer Tagesbesprechung im türkisfarbenen, 26 Grad warmen Wasser. Das Haus von Luiz befindet sich nur eine Minute vom Meer entfernt ... Die Abende und Nächte waren dann auch meist wieder entspannt, bei Lagerfeuer und Musik am Strand oder bei Konzerten in der Stadt. Dazwischen lag harte, echte Arbeit.
Du sprichst von DEM Gitarristen. Brasil teilte im Laufe seiner über dreißigjährigen Karriere die Bühnen u.a. mit Gilberto Gil und Caetano Veloso. 2002 gewinnt er den Grammy Latino. Für seine Produktion "MTV Acoustico - Cassia Eller", die sich fast 1,5 Millionen Mal verkauft, erntet er den Premio Multishow-Award. Brasil ist eine richtig große Hausnummer. Wo und wie lernt man Grammy-Gewinner kennen und wie überredet man sie zu einer Kooperation?
So was läuft natürlich über unglaubliche Zufälle. Die Geschichte beginnt anno 1992 in Marseille: Dort spielte Markus in einer brasilianischen Band, deren Sänger auch mit Gilberto Gil gespielt hat, und ihm Luiz, der mit Caetano Veloso auf Welttournee war, vorgestellt hat ...
Äh, was?
... (lacht) Egal, Luiz Brasil hat sich damals in Marseille ...
Ah, ich erinnere mich, Marseille 1992 ...
Genau, dort sich Luiz in Markus Schwester verliebt. Die beiden hätten Jahre danach auch fast geheiratet. In den nächsten Jahren wuchs die Freundschaft zwischen Markus und Luiz, sie trafen sich regelmäßig in Brasilien und Deutschland.
Entschuldige, ich höre dauernd Markus. Wer ist Markus?
Markus ist für mich genauso wichtig wie Luiz. Ohne die beiden wäre das Projekt Bê ja gar nicht wahr geworden. Markus Schmidt lernte ich während des Studiums kennen und wir fuhren zusammen zum Jazzfestival Montreux, wo er mir Luiz vorstellte. Außerdem traf ich backstage Joao Gilberto und Jaques Morelenbaum, der gerade vom einem Konzert mit Sting erzählte. Das alles war schon unglaublich. Wir drei hatten sofort eine gute Zeit, verstanden uns prima. Bereits am ersten Abend sprachen Markus und Luiz davon, eine deutsch-brasilianische CD aufzunehmen, Luiz Brasilianer, Markus Deutscher und ich beides ... ich hielt das noch ein Jahr lang für einen Witz.
Dieser Witz liegt jetzt als CD vor. Erzählst du uns die Pointe?
Natürlich nicht (lacht). Die CD ist, passend zu unseren persönlichen Hintergründen, eine "feine Mischung" geworden, eine "Mistura Fina". Wir haben nie überlegt, in welche Richtung das eigentlich gehen sollte. Man könnte sich ja über die Konzeption schon im Vorneherein Gedanken machen, welche Art von Musik man eigentlich machen will, aber dazu kam es nie. Wir saßen in Salvador und haben die Songs ausprobiert. Und wenn uns etwas gefallen hat, haben wir gesagt: "ok, lass uns das aufnehmen".
Luiz hat für ein paar Stücke noch Arrangements für Streichorchester oder Bläser geschrieben. Dann haben wir noch überlegt, ob wir ein paar bekannte Songs aus Brasilien UND Deutschland covern. Das haben wir dann auch getan: Luiz und die Musiker in Brasilien mochten "Ich war noch niemals in New York" von Udo Jürgens sehr (lacht). Das haben wir dann auch aufgenommen, es ist aber nicht auf der CD gelandet. Live spielen wir es aber und es macht großen Spaß. Vielleicht hört es der Udo ja mal ...
Ich habe ja schon erzählt wie die Songs entstanden sind. Demnach sind die Lieder alle sehr persönlich und der Stil ist nicht eindeutig definierbar. Ich singe eben von den Dingen, die mich bewegen, die mir gerade einfallen oder die Stimmungen beschreiben, die ich erlebt habe. Ob es nun Pop, Bossa Nova, Jazz oder Loungemusik ist, soll jeder selbst entscheiden - es ist von allem Fall etwas dabei.
"Musik ist für mich nicht greifbar."
Du hast einige Vertragsangebote abgelehnt, weil du dich nicht von den Labels auf Loungemusik reduzieren lassen wolltest …Natürlich! Musik ist ja kein Produkt. Musik in Stilrichtungen einzuteilen, finde ich unwichtig. Die Musikindustrie ist da vielleicht anderer Meinung, weil sie wohl denkt, dann ließe sich ein "Produkt" besser vermarkten und die "Zielgruppe eingrenzen".
Wenn Musik kein Produkt ist, was ist sie dann?
Ich behaupte jetzt mal ganz frech: das Gegenteil von einem Produkt. Musik ist nicht greifbar. Es gibt sie nur in dem Moment, in dem sie gespielt oder gehört wird, sie ist ein "flüchtiges" Element. Man kann sie nicht anfassen oder sehen. Und wie bei einem Buch, bei dem es auf den Inhalt und nicht auf das Papier ankommt, besteht die Musik nicht aus der CD, auf die sie gebrannt wurde, sondern aus dem Inhalt. Den Gefühlen, Stimmungen und Bildern, die sie in jedem einzelnen auslöst. Musik ist mitunter am schönsten, wenn sie absichtslos entsteht. Schon mal ein absichtsloses Produkt gesehen?
Wer stellt hier die Fragen, hä?
(lacht)
Das "flüchtige" Moment könnte eine Erklärung dafür sein, warum Live-Musik von den Konsumenten wieder zunehmend angenommen wird. Andere Erklärungen sind in den Auswirkungen des Internets zu suchen. Wie wirkt sich die veränderte Musiklandschaft auf die Promo von "Mistura Fina" aus?
Das Internet und die Live-Auftritte gewinnen definitiv an Bedeutung. Qualitativ wird es mit weniger Einfluss der Plattenindustrie wohl eher besser, vielleicht gibt es irgendwann gar nichts mehr, was man als "Mainstream" bezeichnet, und schon klingt im Radio nicht alles gleich.
Das ist ein hartes Urteil über Mainstream-Musik. Was hast du gegen Mainstream?
Ich habe im Grunde gar nichts gegen die Musik, die man dem Mainstream zuordnet. Schlecht ist nur, dass so wenig anderes verbreitet wird. Wenn nach Meinung der Medienmacher etwas nicht die Aussicht hat, möglichst vielen Leuten zu gefallen, oder nicht ganz bestimmte Klangspezifikationen erfüllt oder etwa der Refrain nicht nach soundsoviel Sekunden beginnt, dann ist das nicht mediengerecht und läuft höchstens in Spartenprogrammen. Das führt dazu, dass in den großen Sendern eben nie etwas kommt, was aus dem Rahmen fällt und die Hörer an andere Klänge gewöhnen würde. Andersherum läuft in den Spartenprogrammen eben nur Ungewöhnliches, was dann auch wirklich nur wenige Leute anspricht.
Wie unterscheidet sich Bê vom Mainstream?
Ich bin ja in der glücklichen Situation, das nicht beurteilen zu müssen. Im Moment gehören wir aber auf jeden Fall nicht dazu. Wir haben schon so viele unterschiedliche Urteile und Kommentare gehört, von unverkäuflich bis zu Top-Schlager, da gebe ich inzwischen nichts mehr drauf. Letzte Woche wurde im Radio ein einstündiger Konzertmitschnitt mit Interviews und Berichten über uns gesendet. Auf SWR2, da läuft kein Mainstream, oder?
Was weiß denn ich, ich höre wenig Musik ;-). Aber ich vermute, dass die Musik dir eine Herzensangelegenheit ist, die in Kategorien wie "Produkt" und "Mainstream" nicht fassbar ist. Liege ich damit in ungefähr richtig?
Damit liegst du absolut richtig! So würde ich das stehen lassen. Wenn wir weniger in Kategorien denken geht vielleicht auch ein großer Wunsch von mir in Erfüllung: Ich wünsche mir, dass die ganze Welt, wie unsere Musik, eine "Mistura Fina" werden soll, bei der es kein Schema gibt, in das etwas passen muss.
"Ich wünsche mir, dass die ganze Welt eine 'Mistura Fina' werden soll."
Das ist ein hoher Anspruch! Bist du der Meinung, Musik kann ihren Teil dazu beitragen, der Welt eine Art sozialer "Mistura Fina" zu schenken?Da hätte ich vor ein paar Jahren einfach uneingeschränkt ja gesagt. Es heißt:"Musik ist die Sprache, die alle Menschen verstehen", "Musik schlägt Brücken" ... das tut sie ja auch. Aber man sollte nicht darunter verstehen, dass man ein paar Mega-Acts und deren Songs auf der ganzen Welt kennt, Teenager in Shanghai und Kapstadt eventuell die gleichen Poster an der Wand haben oder französische Schüler plötzlich eifrig deutsche Vokabeln lernen. Das wäre zu einfach und bringt nicht wirklich viel.
Außerdem wird Musik, oder besser, eine bestimmte Richtung oder ein bestimmter Musikstil ja oft genug dazu benutzt, ein bestimmtes Image aufzubauen, mit dem sich die Hörer dann identifizieren und sich damit gerade von anderen abgrenzen können oder sogar wollen. Das habe ich in Brasilien in der Favela am eigenen Leib erfahren. Dort gab es viele verfeindete Cliquen. Die Rapper, die "Goticos", die auf dem Friedhof Gothic gehört haben, die "Sertanejos", die fanden brasilianische Schlagerduos toll, die "Pagodeiros" haben nur Pagode gehört und so weiter. Mir hat je nach Stimmung von allem etwas gefallen und ich hatte Freunde aus allen Cliquen, aber richtig dazugehört habe ich gerade deswegen auch bei keiner. Noch ein krasseres und aktuelleres Beispiel, wo Musik zur Abgrenzung benutzt wird, ist die Musik der Neonazis.
Durch die Globalisierung findet ja gleichzeitig zur Vereinheitlichung auch eine Gegenbewegung statt, hin zu einer riesigen Vielfalt. Es gab wohl noch nie so viel verschiedene Musik, so weltweit verfügbar wie heute. Und noch nie soviel Bands mit Mitgliedern der verschiedensten Nationen. Außerdem hören sehr viele Menschen Musik aus anderen Ländern und Erdteilen, kommen so mit anderen Kulturen in Kontakt und das öffnet vielleicht irgendwelche Türen. Darin sehe ich eine große Chance. Während der WM waren wir mit der Band in München und man konnte von Trinidad nach Italien und weiter nach Mexiko reisen, indem man von einem Biergarten zum anderen gelaufen ist. Da haben wir das famose "WM Gefühl" selbst gespürt.
Ich fände es wunderbar, wenn man einfach auf Klassifizierung und Stileinteilung verzichten würde. Dann nennt man das alles einfach "Musik". Das kann man dann so belassen: einem fremd oder vertraut, es mögen oder nicht, oder miteinander vermischen, Neues entstehen lassen. Und bei einer Art sozialen "Mistura Fina", wie du es in deiner Frage nennst, würde man einfach "Mensch" sagen.
Du sprichst von Abgrenzung und Vermischung, von Vereinheitlichung und Diversifizierung, von Globalisierung und Lokalisierung. Alles Polaritäten, die gleichzeitig existieren und in der Natur der Dinge zu liegen scheinen. Welche Gegensätze vereinst du in dir? Von welchen Polaritäten wird dein persönliches und musikalisches Sein beherrscht?
Meine Mutter ist eine blonde Deutsche, mein Vater ein schwarzer Brasilianer. Dadurch bin ich schon in Brasilien mit den Traditionen aus beiden Ländern aufgewachsen, ich habe da etwa unterm Weihnachtsbaum (dem einzigen in unserer Straße) bei 30 Grad im Schatten mit der Blockflöte "Kommet ihr Hirten" gespielt. Ich konnte täglich an meinen Eltern sehen, was die Vor-und Nachteile typisch deutscher oder brasilianischer Eigenheiten sind. Und davon ist vieles in mir, was aber nicht miteinander kämpft, sondern sich eher friedlich und regelmäßig abwechselt. Das ist nicht immer so lustig für meine Umgebung. Ich kann dann eine gewisse Zeit völlig zielstrebig, ordentlich, beflissen und schon fast ehrgeizig auf ein Ziel hinarbeiten. Dann aber, nach 2 Stunden oder 3 Monaten, von einer Minute auf die andere ist das völlig vergessen und kann mich willenlos in die nächste Hängematte fallen lassen, vor mich hin träumen und das Leben schön finden.
Ich fühle mich auch nirgends fremd, liebe die Kälte in schneebedeckten Gebirgen und die Hitze am Strand, ich gehe so gerne surfen in Brasilien und Skifahren in den Alpen. Ich liebe die Ruhe, das organisierte, geordnete und sichere Leben in Deutschland. Ich liebe den 24-stündigen Lärm und das Chaos, das Ungewisse, das Stimmengewirr, die Unpünktlichkeit und die daraus folgende Kreativität in Brasilien.
Da ist es ganz normal, dass meine Lieder und mein Musikgeschmack viele verschiedene Einflüsse haben, dass ich auf portugiesisch UND deutsch singe ... viele Dinge kann man mit der einen oder anderen Sprache auch gar nicht ausdrücken. Eine weitere Folge ist auch die Tatsache, dass wir Musik zum Relaxen machen, eben für die besagte Hängematte, aber genauso auch zum Tanzen und Feiern. Wir hatten einige Anfragen von Plattenfirmen, eine CD ausschließlich mit Loungemusik zu machen, das wollte ich auf keinen Fall - was wäre da bei den Live-Konzerten los? Am liebsten mag ich es bei unseren Konzerten, wenn die Leute erst entspannt zuhören, um dann irgendwann die Stühle wegzuräumen und eine richtige Party zu feiern. Nur das Eine ohne das Andere wäre nicht mal halb so gut. Außerdem bin ich auch auf der Bühne ziemlich stimmungsabhängig, mal rede ich mehr, mal weniger. Manchmal verdrehen Markus und Luiz dann etwas die Augen ...
Mal plauderst du viel, mal weniger ...
(lacht)
Bê, herzlichen Dank für das Gespräch
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