Details

Mit:
Datum: 13. Juli 2002
Location: Burg
HohentwielSingen
Alle Termine ohne Gewähr

Review

laut.de-Kritik

Jazz auf dem Vulkan!

Review von Kai Kopp

Das Castle Hohentwiel - wie es auf Cassandra Wilsons Tour-T-Shirt bezeichnet wird - gehört ganz sicher zu den ausgewähltesten Locations in ganz Deutschland. Immerhin reichen sich auf der baden-württembergischen Festungsanlage aus dem 14. Jahrhundert international renommierte Stars das Mikrofon weiter. Sogar die Legende Miles Davis war auf dem "nur" 4000 Zuschauer fassenden Vulkanberg schon zu Gast.

Zum diesjährigen Festivalauftakt gaben BAP eines ihrer mehrstündigen Konzerte. Von der bap-schen Live-Performance-Dauer könnte sich auch Cassandra Wilson inspirieren lassen. Bei einer Gesamtdauer von 75 Minuten (ohne Zugaben) bezahlt der Jazzliebhaber immerhin fast 50 Cent pro Minute ... und jeder Groschen lohnt.

Nach der trotz widriger Umstände unbeschwerlichen Anreise, es regnete Bindfäden und Burgen liegen immer auf Bergen - beeindruckte zuerst die umwerfende Optik des Veranstaltungsortes. Nachdem ich meine erste Begeisterung über Castle Hohentwiel und den nachlassenden Regen überwunden hatte, begann die Show fast überpünktlich drei Minuten nach dem angekündigten Beginn.

Keine weiteren drei Minuten brauchte die Diva, um das 600-köpfige Publikum in ihren Bann der ruhigen Töne zu ziehen. Schweigsame Aufmerksamkeit breitete sich wie aufsteigender Nebel aus. Die vier Musiker auf der Bühne erzeugten mit ihrem gefühlvollem Spiel eine Atmosphäre, in der man keinen Ton verpassen, keinen noch so leisen Effekt überhören will.

Ich lehnte mich zusammen mit all den anderen eingemummelten Gestalten und regenbeschirmten Kapuzenmännchen zurück und genoss. Ließ mich verwöhnen von Jeffrey Haynes Percussion Grooves, die dem zwischen Blues und Jazz angesiedeltem Repertoire rhythmische Stabilität verleihen. Mark Petersons Basslines entpuppen sich als originell-verspielte Beiträge zum harmonischen Fundament, auf dem Akustik-Gitarrist Marvin Sewell sein "offenes" Spiel entfalten kann. Akkordisch und solistisch bewegt er sich auf unausgetrampelten Pfaden, ein wichtiges Kriterium für die Eigenständigkeit von Cassandra Wilsons Liedgut.

Auf diesem kreativ-solidem Fundament platzierte die Diva ihren Gesang zielbewusst, gefühlvoll und mit genügend Raum für die Töne zwischen den Tönen. Ihre sympathische und lockere Art der Präsentation zeugen von reichlicher Bühnenerfahrung und erfreulich unüberheblicher Professionalität im Bewusstsein, ganz oben in der Hall of Fame des Jazz mitzuschweben. Auf die Zuschauer springt der Funke beseelter Musik gerne über.

Cassandra Wilson präsentierte ein Repertoire, das die Eindrücke ihres neuen Albums "Belly Of The Sun" widerspiegelt. Relaxte Kompositionen und Interpretationen zwischen Mississippi-Blues und akustischem Club-Jazz entließen mich nach besagten 75 Minuten in ein Gefühl aus Euphorie und Enttäuschung. Tatsächlich geht dieses Konzert nach "gefühlten" 30 Minuten zu Ende.

Zum Glück sind die anderen 599 Besucher ebenso begeistert wie ich. Zusammen fordern wir zwei Zugabenblöcke mit je drei Titeln ein. Das intensive Hochgefühl verlängert sich dadurch leider nur geringfügig, da die Kluft zwischen tatsächlicher und gefühlter Zeitwahrnehmung während dieses Abends unüberwindbar scheint. Verklärt benebelt und seltsam glücklich trotte ich den Berg hinab, das hat sicher Stunden gedauert.

Artistinfo

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