laut.de-Kritik
Frischer Sound: Der Ex-Audioslave-Sänger in Berlin.
Review von Christoph DornerFast scheint es, als würde der ewige Kulturkampf zwischen Mainstream und Subkultur in diesem Jahr über die Deutung von Chris Cornells jetzt schon polarisierenden Album "Scream" ausgetragen. Die Platte erscheint hierzulande am 6. März.
Denn wer wunderte sich zunächst nicht, als der Ex-Audioslave/Ex-Soundgarden-Frontmann mit "Part Of Me" als neuestes Testimonial für den Timbaland-Sound um die Ecke kam, plötzlich mehr rappte als sang und im dazugehörigen Video auch noch Wladimir Klitschko auftauchte? Bezeichnenderweise gab es dafür in einem großen Internetversandhaus eine zutiefst gespaltene User-Meinung: Außer der Höchst- und der Tiefstwertung wurde nichts geklickt.
Ob da die Gleichung Chris Cornell ist gleich Soundgarden überhaupt noch zutrifft, davon wollten sich auch die Zuhörer im Berliner Columbia Club überzeugen. Wobei sich auch im Publikum bereits ein disparates Bild ergibt: Unter die alten Recken im "Jesus ChristPose"-Shirt oder zumindest mit Pearl-Jam-Textil mischte sich die optisch funkelnde Berliner Model- und Schauspiel-Schickeria.
Von besagtem Klitschko ("Er macht eine super Musik") angekündigt, kommt Cornell auf die Bühne und lässt nicht den Hauch einer Sekunde den Eindruck zu, dass "Part Of Me" ein Ausrutscher gewesen sein könnte. "That Bitch Ain't A Part Of Me", singt Cornell und wirbelt den Mikrofonständer durch die Luft. Ob er damit Audioslave meint? Mit deren Sound hat der aktuelle Cornell nicht mehr viel zu tun. Und auch als Grunge oder dessen Übersetzung ins neue Jahrtausend gehen die folgenden Songs nicht mehr durch.
Vielmehr ist es die Reinkarnation von modernem, üppig produziertem Alternativerock der Marke USA, die Cornell mit klassischer Rockband im Hintergrund hinlegt. Zwei Dinge, das macht dieser Abend deutlich, muss man Cornell lassen. Erstens: Er ist noch immer ein brillanter wie charismatischer Rocksänger - zweifelsohne eine der größten Stimmen der Neunziger Jahre. Und zweitens: Er sieht immer noch gut aus, weil er sich in Flattershirt, Jeans und langen Haaren optisch wieder der Grunge-Ära nähert.
Dennoch hat die Performance so ihre Haken. Nach dynamischem Kaltstart rostet Cornell im Verlauf des Sets etwas ein. Klar, er ist schon vor hundertmal mehr Zuschauern aufgetreten. So etwas wie Nervosität dürfte er in dem Punkt kaum kennen. Und doch scheint er sich bei einigen neuen Songs unwohl, zumindest noch unsicher zu fühlen: Er legt dann die Arme nahe an den Körper und macht kurze Wege auf der Bühne.
Auch das Publikum muss sich daran gewöhnen, dass plötzlich Frauenstimmen, Synthesizer-Beats oder Glockenspiel vom Band kommen. Auch, dass die "whole hour of my new music" (Cornell) ohne Kunst- oder Stimmpausen auskommt, wirkt irgendwie befremdlich, erinnert das Konzert so doch stark an ein Fernsehshow-Medley.
Natürlich haben neue Songs wie "Time", "Climbing Up The Walls" oder die Ballade "Long Gone" ein gewisses Hitpotenzial. Nur klingen sie live zumeist nach simplem, künstlich aufgeblähtem Playmate-Rock. Was Produzent Timbaland aus den Songs auf dem Album gemacht hat, ist wieder eine andere Sache.
So wirkt Cornell beinahe gelöst, als er das reguläre Set überstanden hat und Zugabenwünsche aus dem Zuschauerraum einholt: Mit "Black Hole Sun" und "Jesus Christ Pose" kommen so noch zwei der bekanntesten Soundgarden-Songs zu ihrer Würdigung. Beide sind mittlerweile mehr als 15 Jahre alt. Cornell hat sich seitdem weiterentwickelt. Ob zum Guten, muss jeder selbst entscheiden.