10. Oktober 2024

"Es geht mir nicht darum, Leute zu bekehren"

Interview geführt von

Sechseinhalb Jahre kein Album. "Macht nix, ich hab' ein gutes Leben" lässt Michael Kurth seine Zuhörer dahingehend auf einem seiner neuen Songs wissen.

Curse ist mit seinem neuen Album "Unzerstörbarer Sommer" zurück, als Rapper in der ersten Reihe. Als Buchautor, Podcaster, Systemischer Coach oder Meditationsexperte war er in diesem Zeitraum nie weg. Nun aber liegt der Fokus erstmal wieder auf der Musik. Das ist beim Gespräch mit ihm in einem Berliner Eck-Café im hippen Prenzlauer Berg deutlich zu spüren. Der Rapper sprüht vor Freude, endlich wieder über seine Musik reden zu können. Bei einer Bowl mit Avocado wird über Beats, Worte und Styles gefachsimpelt. Und natürlich über das Leben.

Wir haben 2021 gleich zwei Interviews geführt, eines davon direkt am Anfang des Jahres. Da hast du bei der Frage nach einem neuen Album gesagt: "Durch das letzte verrückte Jahr habe ich da komplett den Druck rausgenommen. Aber ich habe bereits ein paar Songs fertig. 2021 sieht gut aus." Ende 2021 hast du dir im Interview bei laut.de selbst die Frage gestellt: "Wann schaffe ich es, mein nächstes Album fertig zu machen?" Und schon sind wir im Herbst 2024 angekommen.

Die Antwort auf die Frage ist jetzt eingetreten (lacht). Ich habe keinen Druck, ein Album zu machen. Es ist fertig, wenn es fertig ist. Ich habe diesmal weit über 50 Tracks gemacht und daraus nun die Platte zusammengestellt. Es hat gedauert, bis ich mir so viel Freiraum schaffen konnte, um das Album fertigzumachen, Videos drehen zu können, Pressetermine wahrzunehmen und so weiter. Der richtige Zeitpunkt dafür kam erst in diesem Jahr.

An welcher Stelle war für dich klar, dass das Album den Titel "Unzerstörbarer Sommer" tragen soll?

Ich weiß nicht mehr, was der genaue Moment war. Inspiriert hat mich aber folgender Satz des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus: "Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt". Das drückt auf sehr poetische Weise aus, was der Kern meiner Mucke und meiner anderen Sachen ist.

Nämlich?

Nicht die Probleme der Welt zu leugnen und nicht die eigenen Herausforderungen zu leugnen, sondern, uns bewusst zu machen, dass wir, solange wir leben, immer Herausforderungen haben werden – sei es global oder persönlich. Das Glück finden wir nicht, wenn wir alle Probleme gelöst haben, darum kann es nicht gehen. Glück ist das, was wir realistisch im Leben erfahren können. Der innere Sommer steckt immer in uns, auch wenn draußen mal Wolken zu sehen sind oder es Regen gibt. Das zu erkennen ist viel geiler als zu sagen, dass wenn du alle Probleme gelöst hast oder schlauer bist als der und der, irgendwann dieses oder jenes erreichen wirst. Das ist ein sehr kapitalistischer Ansatz. Trotz aller Umstände ist das Inhärente in uns unzerstörbar. Das drückt sich eben manchmal über die Musik aus.

Womit wir wieder beim Album wären. Was die Technik, Styles, das Artwork und die Aufmachung angehen, erinnert einiges an deine ersten beiden Alben "Feuerwasser" und vor allem "Von Innen Nach Außen". Teilweise finden sich auch textliche Reminiszenzen auf der neuen Platte. War das bewusst so gedacht?

Manchmal ja, manchmal nein. Als ich den Beat von "Sonne" das erste Mal gehört habe, wusste ich, dass es natürlich andere Musik ist, es mich aber an den Vibe meiner Songs "Soulmusic" und "Denk an mich" erinnert. Dann habe ich zum Spaß den Text von "Denk an mich" darüber gerappt und alle im Studio waren komplett geflasht. Dann stand für mich fest, dass ich mit der ersten Zeile von "Denk an mich" auf "Sonne" einsteigen will. Ein paar dieser Easter Eggs sind auf dem Album versteckt, das war aber nicht wirklich geplant.

Ich hatte das Gefühl, dass man das Album in zwei Reisen teilen kann. Die erste Reise führt zurück in deine Jugendzeit und die andere Reise beschreibt deine, unser aller Entwicklung als Menschen. Sollte das das Grundgerüst des Albums bilden?

Nicht unbedingt. Die Beats sagen mir mittlerweile so gut wie immer, wo die Texte hinführen. Als ich den Beat zu "1994" beispielsweise das erste Mal mit meiner Frau im Auto gehört habe, haben wir beide gesagt, dass das ein bisschen wie "To live and die in L.A." von Tupac klingt. Meine Frau konnte sich dann auch gut an ihre Jugendzeit mit Freundinnen erinnern und dann war für mich klar, dass ich darüber über diesen Beat rappen muss. Wir wollten keine Nostalgie produzieren, mehr das typische Curse-Feeling. Aber das ist für viele Leute natürlich einfach nostalgisch.

Für das Video zu "1994" habt ihr Bild- und Videomaterial aus deiner Jugend und den Anfangszeiten deiner Rap-Karriere verwendet. Wie war das für dich, diese Bilder jetzt nochmal zu sehen?

Meine Mum hatte schon ein Jahr zuvor alte Dias hervorgekramt, abfotografiert und mir geschickt. Auf YouTube haben wir zusätzlich nach früheren Auftritten von mir gestöbert. Durch die Bilder habe ich mich nochmal an die Situationen und mein damaliges Ich erinnert. Wie habe ich damals gedacht? Mit welchen Problemen habe ich mich auseinandergesetzt? Worüber habe ich mich gefreut? Ich bin ehrlicherweise ganz froh, dass ich heute älter bin und mich mit ganz anderen Dingen beschäftige. Man neigt ja häufig dazu, die Vergangenheit zu verklären. Je älter ich aber werde, desto positiver Blicke ich in meine Vergangenheit.

"Wenn einer einen blöden Spruch macht, dann kriegt er einen blöden Spruch zurück - das ist die Attitude"

Bei "Die Farbe von Wasser" ging es viel um den Entwicklungsprozess des Einzelnen. Das geht es auf "Unzerstörbarer Sommer" definitiv auch, aber ich finde, dass du versucht hast, diesen Prozess wieder mehr auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene zu heben – beispielsweise bei "Annunaki Fow" & "Überdosis Tee", wo du über Herausforderungen in der Gesellschaft rappst. Stimmt der Eindruck?

Das ist auch eher durch die Beats entstanden. Es ist nicht mein Anspruch, ein politischer Rapper zu sein. Das macht Disarstar beispielsweise tausendmal besser als ich das jemals machen könnte. Es geht mir nicht darum, Leute zu bekehren. Wenn aber einer einen blöden Spruch macht, kriegt er einen blöden Spruch zurück – das ist die Attitude. Ich mache mir bei den Texten im Vorfeld viel weniger Gedanken als Menschen denken. Die Texte entstehen bei mir erst so richtig, wenn ich schreibe. Manchmal merke ich auch erst, worum es in einem Song geht, wenn ich bereits acht Zeilen geschrieben habe.

In "Feeling" rappst du beispielsweise die Zeilen: "Alle tragen Seele auf der Zunge / Ich trag die Zunge geladen wie ne Wumme und ziel auf deine Seele" oder "Bauchschmerzen für ne Single, die irgendwer gut findet / Ich helf' lieber irgendwem, sich gut zu finden". Was kann das Wort eines einzelnen Menschen in einem anderen Menschen auslösen?

Alles. Es gibt Dinge, die mir manche Menschen beiläufig gesagt haben, an die sie sich überhaupt nicht mehr erinnern können, die aber mein ganzes Leben umgekrempelt haben. Oft wissen wir gar nicht, was positiv oder negativ bei jemandem hängenbleibt. Deswegen versuche ich, so oft es geht, in meinen Texten, positive Dinge unterzubringen. Es war auch verrückt bei meinem Sohn zu sehen, als ich ihm irgendwann einmal gesagt habe, dass er etwas Bestimmtes nicht so machen soll, davon aber nichts bei ihm hängengeblieben ist, dass er einige Jahre später mit einem Satz um die Ecke kam, den ich ihm damals in dem Zusammenhang als Nebensatz gesagt hatte. Da dachte ich nur: Krass, das war nie meine eigentliche Intention. Ich finde das wahnsinnig spannend.

Ist dein Sohn auch die Motivation, alte Muster von dir loszuwerden und neue Entwicklungen anzustoßen?

Ich habe gemerkt, dass ich selten glücklicher bin, als wenn ich morgens leicht verschlafen in der Jogginghose meinem Sohn ein Schulbrot schmiere. Deswegen sage ich auch im Song "Avocado Toast": "Früher wollte ich da sein, wo ich heute bin". Ich merke immer mehr, dass ich simpler gestrickt bin, als ich immer gedacht habe. Man denkt ja immer, man kommt irgendwo an, wenn man dieses oder jenes macht. Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass ich nirgendwo ankomme, aber ich bin seit ein paar Jahren fein damit. Ich finde es sogar ziemlich gut, das Leben bleibt spannend.

Interessiert sich dein Sohn eigentlich für Rap?

Er ist voll der Rap-Dude, die ganzen New-School-Sachen kennt er 200 Mal besser als ich, aber er kennt beispielsweise auch das Mobb Deep-Album "The Infamous". Ganz oft höre ich aus seinem Zimmer Mucke, wo ich mir denke: Dicker Beat, wer ist das denn? Die Listening-Session zu meinem Album, vor der ich am meisten Schiss hatte, war die, bei der ich es meinem Sohn zum ersten Mal vorgespielt habe.

Was hat er denn gesagt?

Im Laufe des Albumprozesses hat er immer mal wieder reingehört. Er sagt dann beispielsweise sowas wie: Guck mal, wie ihr hier das Piano eingesetzt habt, das erinnert mich an einen Song auf dem zweiten Macklemore-Album. Man kann abnerden mit ihm, er hat viele Querverweise. Bei "1994" hat er mir was Cooles gesagt: "Ich weiß zwar nicht, wer Heather B. ist, aber vom Feeling her könnte der Song auch zu meiner Clique passen, auch wenn wir andere Dinge erlebt haben."

"Moses Pelham ist für mich mit nichts zu vergleichen"

In "Erinnern wer ich bin" rappst du darüber, was bereits der Titel aussagt. Wie schwer fällt es dir, bei dir selbst zu sein?

Es ist ein ständiger Prozess und abhängig von Phasen. Ich bringe ja gewisse Charaktereigenschaften oder auch Marotten mit. Ich befinde mich beispielsweise oft in Situationen, in denen ich mich auf einmal um alles kümmern muss, auch wenn ich mal krank bin oder so. Viele haben immer das Gefühl: Der Mike, der regelt das. Das bringt mich dann in Situationen, in denen ich mich erinnern muss, wer ich bin, was ich brauche und dass ich das auf eine vernünftige Art kommunizieren muss. Ich sage am Ende aber auch, dass ich andere Menschen bestimmt auch in solche Situationen bringe. Von daher muss ich anderen Leuten auch ihren Raum geben, um ihre Grenzen ziehen und Nein sagen zu können.

Eine Kollabo auf dem Album, über die ich gerne mit dir sprechen möchte, ist die auf dem Song "Firmament". Darauf rappst du gemeinsam mit Moses Pelham. Das ist eure erste Zusammenarbeit. War das für dich ein Traum, den du dir noch erfüllen wolltest, bevor er, wie angekündigt, Ende des Jahres in Rap-Rente gehen wird?

Ich kenne Moses seit mehr als 25 Jahren. Ich habe ihn als Rapper, aber auch als Hip-Hop-Head mit all dem, was er aufgebaut hat, immer sehr respektiert. Ich dachte immer schon, dass es krass wäre, etwas mit Moses zu machen. In den letzten fünf, sechs Jahren haben wir uns noch besser kennengelernt und als ich den Beat zu "Firmament" gehört habe, dachte ich direkt, dass Moses mit seiner Gravitas dort richtig gut draufpassen würde. Moses Pelham ist für mich mit nichts zu vergleichen im deutschen Hip-Hop. Er steht komplett für sich und schafft es, durch seine Emotionalität zu berühren. Das ist einzigartig und muss man erstmal schaffen.

Es ist jetzt gut zehn Jahre her, dass du mit dem Album "Uns" dein musikalisches Comeback gefeiert hast. Was hat sich im Vergleich zu deinem ersten Karriereabschnitt verändert?

Es sind eher persönliche Dinge. Klar, die wirken sich auch darauf aus, wie ich Musik mache. Viel entspannter, nicht mit weniger Biss, aber ich denke mir mittlerweile, dass ich meine Mucke für mich und meine Leute mache und wir einfach eine gute Zeit haben. Es wird Menschen geben, die das checken, cool finden und dann zum nächsten Konzert kommen. Ich muss aber nichts mehr erreichen oder zwangsläufig auf das nächste Level kommen. Ich habe meiner Musik immer so ein bisschen die Verantwortung dafür gegeben, dass ich zufrieden in meinem Leben bin. Klar, ich mache weiterhin Musik, aber das hat nichts damit zu tun, dass ich hier entspannt mit dir sitze.

Bei der Ankündigung von "Unzerstörbarer Sommer" hast du gesagt, dass es 2024 nicht nur ein Curse-Album geben wird. Der Großteil des Jahres liegt schon hinter uns. Was kommt noch?

Mir ist nochmal wichtig zu betonen, dass "Unzerstörbarer Sommer" ein Album mit vielen verschiedenen Stimmungen ist. Eigentlich könnte ich chillen, aber es wird dieses Jahr noch was kommen. Nicht nur eine Sache, sondern gleich mehrere Sachen. Ich glaube, das wird einige Leute sehr glücklich machen. Außerdem gibt es bereits einen Ordner mit dem Namen "Unzerstörbarer Sommer 2", in dem sich rund 20 Songs befinden. Das nächste Curse-Album sollte also keine sechseinhalb Jahre auf sich warten lassen.

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1 Kommentar mit 2 Antworten

  • Vor einem Monat

    Da muss er echt schon in der Antwort auf die zweite Frage direkt mal mit einem Camus-Zitat kommen, ey :D

    Immer noch nicht ganz gekillt, das Ego, der Herr Kurth. Aber ich mag ihn trotzdem nach wie vor, bzw. jetzt, in diesem allgemein dann doch deutlich gelasseneren husband-and-father-mode, sogar nochmal deutlich lieber.

    Interview solide und interessant, aber mir ein bisschen zu sehr "Fragenkatalog abarbeiten". Hier und da mal per Rückfrage abzuschweifen wäre ggf. deutlich spannender gewesen, als bloß alle Standardfragen unterzubringen. Heißt doch auch immer über ihn, dass man mit ihm Tage und Nächte durch quatschen könne, ohne zu merken, wie die Zeit verfliegt :)