26. Mai 2008
"Eigentlich bin ich Rapper"
Interview geführt von LAUT-RedaktionDer 36-Jährige wirkt routiniert und auf alle Fragen vorbereitet. Dennoch scheint seine Nervosität in Bezug auf die Location durch: Er ist nicht zufrieden mit der hallenden Klangqualität der Kirche. "Ich setze mich nie mit diesem handwerklichen, digitalen Kram auseinander. Aber der Soundcheck ist nicht so gut gelaufen", schwant ihm Böses. Wer dEUS für die Kulturkirche gebucht hat, weiß er nicht.
Der Sänger und Gitarrist kratzt sich am Kopf: "Man sagte uns, die Editors hätten hier gut geklungen ..." Ein klassischer Auftrittsort wie das Kölner E-Werk wäre ihm in diesem Augenblick sicher lieber. Mit fragenden Augen quetscht er mich aus, ob ich ihm Sound-Eindrücke von vergangenen Gigs hier vor Ort liefern kann. Wer seinerzeit Interpol beiwohnte, ahnt, wie sehr ich mich um eine nette Antwort bemühen muss.
Die beiden Singles "Slow" und "The Architect" hinterlassen einen ungewohnt metaphysischen Nachgeschmack. Zeilen wie "The reverb of time is our vantage point" rücken persönliche Bezüge eindeutig in den Hintergrund. "Nick Cave hat vor nicht allzu langer Zeit im Interview erklärt, dass das Schreiben über sich selbst irgendwann langweilig wird. Danach verspürte auch ich eine Lust, mal etwas anderes auszuprobieren." Es habe großen Spaß gemacht, genannte Stücke zu verfassen. "Sie sind eher beobachtend als autobiografisch. Irgendwann denkt man sich: 'Wen interessiert es eigentlich wirklich, wenn ich über mich selbst schreibe?' Letztlich ist eine Abstraktion nur gesund für das eigene Ego."
Die Abkehr vom persönlichen Moment hin zu perspektivischen Experimenten als Trend in Antwerpen. Der Fan von The Knife und den Gutter Twins geht ins Detail. Das hymnenhafte "Slow" handele davon, "den Moment in eine Million Stücke zu teilen und damit die maximale Slowmotion zu erhalten". Auch wenn solche sprachlichen und wahrnehmungstechnischen Versuchsanordnungen heuer präsenter denn je sind, formen pragmatische Faktoren ebenso den Schaffensprozess.
"Man schreibt Songs auch mit dem Hintergedanken, wie sie nachher auf der Bühne klingen werden. Wie viel Spaß kann ich mit ihnen live haben? Deswegen probieren wir sehr gern aus. Wir greifen für akustische Effekte auf technische Tricks zurück, verknüpfen persönliche Erzählebenen mit mystischen Elementen... so entdeckt man selbst nach Jahren interessante Details in den Songs..." Diese Variablen bedienten dEUS im Laufe der Jahre auch mit ihren Platten. Da wären das bruchstückhaft-chaotische "My Sister = My Clock", das eher narrativ orientierte "In A Bar, Under The Sea" und das massentaugliche "Ideal Crash". Die Belgier haben sich ein breites musikalisches Spektrum erschaffen, für das keine Schublade groß genug ist.
Immerhin: Ein Duett mit Beyoncé steht dann doch nicht in allzu naher Zukunft an. "Ich mag Songs, die mindestens drei großartige Parts haben. Daher finde ich R'n'B nicht so toll. Dort gibt es meist nur einen guten Songteil. Von einem wirklich gelungenem Track erwarte ich mir einen großartigen Anfang, griffige Bridges, einen schönen Mittelteil und einen fantastischen Refrain." Wer tut das nicht, könnte man entgegnen. Doch ein beeindruckender Songschreiber wie Barman darf sich solche Allgemeinplätze erlauben.
Im Regelfall hat er dabei immer schon das komplette Stück im Kopf. "Ich mache mir keine Notizen, sondern setze mich hin und schreibe den Song komplett hin - was allerdings schwierig ist, wenn ich auf eine Lasagne aufpassen muss oder sich Kinder um mich herum befinden. Die Umgebung muss stimmen." Beim Stichwort Lasagne fällt ihm auf, dass er Hunger hat. Er verabschiedet sich.
Später am Abend hält der lokale Pastor eine Ansprache, so dass die Gottesdienst-Assoziation auch während des Konzerts lebendig bleibt. Der Auftritt selbst verläuft trotz leichter soundtechnischer Schwierigkeiten besser als erwartet. Neben Highlights wie "Instant Street" oder "For The Roses" performen dEUS natürlich viele neue Songs. Die Mischung macht's, diese Band hat das begriffen. Weshalb dieser Kirchenabend bleibenden Eindruck hinterlässt und Appetit auf mehr macht. Im Sommer kommen sie wieder.
Mit Tom Barman sprach Swetlana Soschnikow.
Noch keine Kommentare