laut.de-Kritik
Immer unter Strom: Sven Regener beim letzten Konzert 2006 in Zürich.
Review von Michael SchuhDas kann doch kein Zufall sein. Noch vor Überquerung der Limmatbrücke fährt ein Auto mit Berliner Kennzeichen vor mir her. Und dann sind die Insassen auch noch verschiedenen Geschlechts. Nach einer heiteren Verfolgungsjagd fern jeglichen Nötigungsverdachts biegt der Wagen zwar kurz vor dem Volkshaus in eine Seitenstraße ab, was meiner Theorie dennoch nicht zuwiderläuft, schließlich findet in Zürich kein Mensch einen Parkplatz direkt vor dem Konzerthaus.
Schöner als mit dieser Anekdote lässt sich auch kaum illustrieren, wie sehr Sven Regeners Band nach dem letztjährigen Erfolgsalbum "Mittelpunkt Der Welt" wieder im Mittelpunkt der Fanbegierde angekommen ist. Außenstehende dürften sich freilich gewundert haben, wieso die Berliner einen einzigen Auftrittstermin in der Schweiz angesetzt haben.
Ganz einfach: Pünktlich zum Salzburg-Tourstart im März verfiel EOC-Gitarrist Jakob unfreiwillig antibiotischen Substanzen und begutachtete daher in vier weiteren Städten nur die Hotelbetten, darunter Zürich. Die zum Trio geschrumpften Elements trugen es mit Fassung und stellten ihr Publikum in den betroffenen Hallen vor die Wahl, entweder einer Art Unplugged-Show beizuwohnen oder das Eintrittsgeld an der Kasse zurück zu fordern.
Fakten, die in Zürich natürlich bekannt sind, so dass Regener munter drauf los scherzen kann: "Wir sind heute zu viert hier, wem das nicht passt, der kann sein Geld am Eingang abholen." Ist das Volkshaus ausstattungstechnisch auch nicht ganz so nah an der Musik von Element Of Crime wie im Frühjahr das opulente Kaufleuten, das Wetter war perfekt. Kühle Temperaturen und Niederschläge in hoher Fallgeschwindigkeit erzeugen eben immer noch genau die richtige Atmosphäre für die melancholischen Innenansichten des Sven Regener.
Wenn der dann noch genau die richtigen Texte gleich zu Beginn anstimmt, wie jenen von "Und Du Wartest", kann eigentlich nichts mehr schief gehen. Wie schon auf der Album-Tournee belegt auch das Konzert in Zürich einmal mehr, wie groß das musikalische Oeuvre der Kreuzberger mittlerweile ist, was natürlich auch nicht am Alter ihrer Bewunderer vorbei gegangen ist.
Liebestolle Pärchen wiegen sich introvertiert zum Soundtrack der inständig vorgebrachten Gefühle, Verlassene und Standhafte auf der Suche nach dem guten alten Schwung, der Straßenbahn des Todes am Stauffacherquai entstiegen, fusselbärtig an des Wortakrobatens Lippen hängend, das Kraut mit dem sonderbaren Duft genießend, kein Gramm Fett zuviel am Körper tragend oder doch die in Krankenhausmengen verbrauchte Schokolade. Alles da also, was sich in irgendeiner Weise der vertonten Poesie nahe fühlt, die wiederum Regener in einer ihm vorbehaltenen Einzigartigkeit kantig, nuschelig, bisweilen vehement zu intonieren weiß.
Seine Band spielt sich dabei routiniert durchs Programm und lässt keinerlei Rückschlüsse auf fehlende Probeaktivitäten vermuten. Nun ist die Reaktion eines Zürcher Publikums für die Band generell weniger als Barometer einer gelungenen Live-Darbietung tauglich. Der Applaus der zu drei Vierteln gefüllten Halle ist dennoch stets anhaltend genug, dass Element Of Crime ganze vier Mal zu den Zugaben erscheinen und den Abend mit dem obligatorischen "Across The Universe" nach stolzen zwei Stunden und 15 Minuten beenden.
Dazwischen lag eine Setlist mit zahlreichen Höhepunkten, die im schnelleren Bereich in "Bring Den Vorschlaghammer Mit" und natürlich in "Immer Unter Strom" mit textlichem Zürich-Bezug kulminierten. "Weißes Papier" und "Draußen Hinterm Fenster" stehen seit jeher über den Dingen und die schrillen Schreie nach den Eröffnungsakkorden von "Delmenhorst" zeugen nachhaltig von den Begleiterscheinungen eines Single-Hits. Apropos, der übliche "ROMANTIK!"-Schrei des Sängers blieb gänzlich aus. Vielleicht ist Regener derzeit einfach aus der Übung.