23. April 2025

"Es könnte eine Zukunft geben"

Interview geführt von

Der Kinofilm "Rite Here, Rite Now" ließ bereits die Gerüchteküche brodeln. Jetzt ist es offiziell: Papa V Perpetua betritt die Bühne. In Berlin haben wir Ghost-Mastermind Tobias Forge zum Release des neuen Albums Skeletá getroffen und über dunkle Visionen, neue Kapitel und bedrohliche Machtverhältnisse gesprochen.

Mit seinen langen Haaren, dem scruffy Bart und Totenkopfring lässt Tobias Forge keinen Zweifel daran, welcher Zunft er angehört: Ein Rockstar wie er im Buche steht. In der Mitte des Hotel-Konferenzraums steht eine lange Tafel, daneben ein üppig gedeckter Catering-Tisch. Tobias begrüßt mich höflich, wir nehmen uns ein Glas Wasser und nehmen am einen Ende des Tisches Platz.

Wir sitzen uns gegenüber. Während ich ihm in die Augen blicke, frage ich mich, wie viel Zeit es wohl vor jedem Auftritt braucht, um aus Tobias Forge einen der finsteren Ghost-Charaktere zu formen. Schließlich hat er schon viele Gestalten angenommen: die schauderhaften Päpste Papa Emeritus I bis III oder den quirligen Entertainer Cardinal Copia, später bekannt als Papa Emeritus IV. Nun erwartet der geisterhafte Klerus mit bangem Hoffen seinen düsteren Nachfolger: Papa V Perpetua.

Er kündigte sich bereits im Konzertfilm "Rite Here, Rite Now" (2024) an und sorgt seither für reichlich Spekulationen.

"Das Ende einer Sache ist der Anfang einer Neuen", schrieb Copias Mutter in ihrem Abschiedsbrief. Und es scheint, als sei Papa IVs Zeit als Frontmann nun zu Ende. Jetzt ist er Frater Imperator, er tritt also im Grunde einen Schritt zurück. Welcher Neuanfang steht dem Klerus bevor?

Wenn ich das nur wüsste! Ich weiß es nicht.

Hast du denn eine Vermutung?

Ich denke, jede Organisation hat die inhärente Mission, sich selbst zu erhalten. Und hier ist es genauso.

Das ist verständlich. Allerdings ist alles auch sehr mysteriös. Aber ich denke, das ist auch der Cliffhanger, den uns das Ende von "Rite Here, Rite Now" im Grunde gegeben hat. Wir sind alle neugierig, wie die Geschichte mit "Papa V Perpetua" weitergeht, der sich bereits angekündigt hat. Mein Latein ist sehr dürftig, aber bedeutet "perpetua", dass dies der letzte Papst sein wird?

Weißt du, in bestimmten Teilen der Welt gibt es gesellschaftliche Anführer und Politiker, die sich als "der Ewige" bezeichnen lassen. Das ist immer ein bisschen ironisch, einfach weil sie das, zumindest in der Welt der Sterblichen, einfach nicht sind. Daher ist es irgendwie komisch, dass es beispielsweise diesen ewigen Führer Chinas gab, der dann vom nächsten "ewigen" Führer Chinas ersetzt wurde. Das finde ich verblüffend und interessant. Wie die meisten progressiven Organisationen verkörpern auch wir ein wenig davon.

Also seid ihr eine kleine Diktatur à la Nordkorea?

Ja, genau.

Ich verstehe.

So effektiv!

Und du hast wirklich noch keine Gerüchte über den kommenden Papst gehört?

Noch nicht.

Aber du bist doch so nah an der Quelle!

Ja, das könnte man meinen.

Was spekuliert der Klerus denn?

Die sind auch alle am Rätseln, weil sie keine Hellseher sind. Auch ich stehe an einem Scheideweg, der sich wie ein katastrophales Ereignis anfühlt. Denn es wird entweder Option A oder Option B eintreten. Wenn Option A eintritt, wird alles gut; wenn Option B eintritt, wird alles den Bach runtergehen. Doch egal, was passiert - alles bleibt die ganze Zeit irgendwie im Fluss und in Bewegung. Und nicht immer fühlt man intuitiv, wie etwas ausgehen wird. Das habe ich in den letzten Monaten gelernt. Manchmal dachte ich "Oh Scheiße, das hat sich als Nummer B herausgestellt". Und das fühlte sich schrecklich an. Aber bisher ist die Welt nicht in Flammen aufgegangen. Da es in der Geschichte der Welt schon viele Male zum Weltuntergang gekommen ist, könnte es also eine Zukunft für uns geben.

"Ich hatte schon immer eine große Verbundenheit zu Amerika"

In eurem dystopischen Song "Twenties" hast du fast prophetisch darüber gesungen, wie die Zwanziger dieses Jahrhunderts sein würden. Als dieser Track herauskam, standen wir noch am Anfang der Zwanziger. Jetzt leben wir mittendrin. Und so ziemlich alles, worüber du in dem Song gesungen hast, ist wahr geworden. Wie schaust du dem Rest dieser Dekade entgegen? Du erwähntest "Option A" und "Option B" und dass sich die Welt in jedem Fall weiterdreht. Im Moment fühlt es sich manchmal so an, als stünde sie kurz vor dem Ende.

Eigentlich bin ich ziemlich optimistisch, aber aus kulinarischer Sicht. Wir befinden uns gerade im kollektiven Prozess der Omelettzubereitung, und wenn man Omeletts machen will, muss man auch einige Eier zerschlagen. Und ich glaube nicht, dass sich die Welt einfach ohne Opfer und Zerbruch auf wundersame Weise in ein utopisches Paradies verwandeln kann. Es werden einige Eier zu Bruch gehen.

Aber ich glaube, mit einem gewissen Maß an Zynismus, dass wir uns als Bürger der westlichen Welt darauf verlassen können, dass in unserer Gesellschaft immer noch das Geld regiert. Und die meisten Menschen mit einem funktionierenden Gehirn, insbesondere solche mit monetären Anreizen, sind auf eine Welt angewiesen, in der ein gewisses Maß an Gleichgewicht herrscht.

Es gibt definitiv noch genügend Menschen, die in der Lage sind, Geld in die Maschinerie einzuzahlen, von der sie leben. Solange es noch Menschen mit wirtschaftlichen Interessen gibt, werden sie versuchen, die Zerstörung der Welt zu verhindern. Wenn es wirklich jemanden gäbe, der mit einem Knopfdruck all dem ein Ende setzen wollte, würden die Menschen einen Weg finden, den Kurs zu ändern. Und selbst wenn du ein absolut verrückter Idiot bist, kannst du nicht in jedes Wespennest auf diesem Planeten treten. Irgendwann wirst du gestochen. Das passiert, wenn man ein verrückter Idiot ist, der so einen Scheiß macht. Es ist nur eine Frage der Zeit. Und darauf können wir uns verlassen. Niemand glaubt so sehr an die Demokratie, dass er jemandem alles überlassen würde, nach dem Motto: "Ja, hier ist es, zerstör es." Die Menschen sind viel zu sehr darauf erpicht, weiterzuleben und Geld zu verdienen. Und das ist in diesem Fall eine gute Sache. Das ist meine Überzeugung.

Das ist ja eigentlich eine hoffnungsvolle Einstellung. Euer letztes Konzert war in Los Angeles. Dieses Jahr steht Madison Square Garden an. Wie ist dein persönliches Verhältnis zu den USA?

Ich hatte schon immer eine große Verbundenheit zu Amerika als Land und als Idee. Ich glaube, das kann ich darauf zurückführen, dass ich in den 80er Jahren in Schweden aufgewachsen bin. Ob wir nun Teil der NATO waren oder nicht, es ist kein Geheimnis, wir waren definitiv im Einflussbereich Amerikas. Und unser Staat hat sich bewusst dafür entschieden, ein sehr amerikanisiertes Land zu werden. Allein die Tatsache, dass wir Filme nicht wirklich synchronisiert haben, mit Ausnahme von Disney-Kinderfilmen. In den 50er Jahren hatten wir überall Jukeboxen und amerikanische Autos. Ich weiß nicht, wie viel Prozent, aber es gibt viele, vor allem Männer, die in den 50er Jahren geboren wurden und Jimmy oder Benny heißen. Es war sehr amerikanisiert. Und in meiner Jugend liefen im schwedischen Fernsehen solche Shows wie die Huxtables und Dallas. Damit bin ich groß geworden. In meinem Leben gab es einen großen Zustrom von Americana. Ich habe mich Amerika als Nation und als Idee immer verbunden gefühlt. Da ich in diesem Land arbeite, habe ich mich wirklich wie zu meiner zweiten Heimat gefühlt.

Ich wäre wahrscheinlich dorthin gezogen, wenn meine Familie nicht in Schweden wäre. Egal, wie die Dinge im Moment sind, ich fühle das immer noch. Ich trauere derzeit um den Zustand Amerikas, aber ich habe nicht das Gefühl, dass es ein Nullsummenspiel ist, bei dem es jetzt einfach vorbei ist. Nein, was gerade passiert, ist nur ein kleiner Schluckauf. Wir befinden uns derzeit in einer weltweit turbulenten Zeit. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.

In eurem Promo-Sheet für das neue Album heißt es, dass du während der Produktion weniger Medien konsumiert hattest. Wie war das, und solltest du das öfter tun?

Ich verfolge seit, ich weiß nicht, zehn Jahren wie besessen die amerikanischen Nachrichten. Ich konnte mich schon immer sehr dafür begeistern. Ich bin nicht einfach eines Morgens aufgewacht und habe mich plötzlich für Politik interessiert. Schon in meiner Jugend faszinierten mich Filme, die sich mit US-Präsidenten befassten - JFK und Tom Clancy-Filme und solche Sachen.

Ich interessiere mich geradezu obsessiv für die Gesetzgebung und den politischen Körper Amerikas. Am Morgen des 6. November hatte ich aber das Gefühl, ich muss das einfach abschalten. Wie gesagt, manchmal vergesse ich auch, dass wir uns gerade an einem kleinen Punkt auf dem immer währenden Zeitstrahl der Geschichte befinden. Wir sind nicht am Ende der Geschichte. Wir befinden uns in einem amöbenartigen Zustand der Zeit, die sich ständig vorwärts bewegt. Also musste ich für mich dasselbe tun. Aus diesem festgefahrenen Zustand herauskommen. Stopp. Ich ging einfach mal auf die altmodische Art vor, wo man sich einmal am Tag fragt: Was ist der Kern dessen, was heute passiert ist? Ich möchte im Großen und Ganzen wissen, was los ist. Aber ich möchte nicht hören, wie jemand eine Nachricht interpretiert und welche Prognosen daraus abgeleitet werden. Das war mein Fehler, dass ich mich lange zu sehr dafür interessiert habe, was die Leute erwarteten, was passieren würde. Sich auf die tödlichen Launen der Zeit einzulassen, ist nicht gut für die Seele. Den Nachrichtenkonsum zu reduzieren, macht die Entscheidungen, die auf parlamentarischer Ebene getroffen werden, nicht weniger schrecklich. Es bedeutet nur, dass nicht jeder das alles rund um die Uhr verdauen kann.

Auf dem Album habe ich mich dazu entschieden, nicht zu viele zeitgenössische Kommentare zu schreiben, wie ich es irgendwie versehentlich auf den beiden vorherigen Platten getan habe, wo es offensichtlich entmutigend war. Auf "Skeletá" sollte es mehr eine Reflexion oder wie nennt man es, ein Selbst sein ... Was ist das Wort, nach dem ich suche?

Selbstreflexion?

Ja, Selbstreflexion und Introspektion. Nur wegen der hellseherischen Natur der beiden vorherigen Platten, von denen die eine von Seuchen handelte und die zweite von politischen Unruhen, wollte ich nicht, dass diese neue Platte auch so ist. Ich wollte, dass sie, wenn man so will, zeitloser ist. Auch wenn ich die Dinge, die ich auf den vorherigen Platten angesprochen habe, für zeitlos halte. Denn das, was wir durchmachen - vor fünf Jahren mit der Pandemie und auch jetzt - ist nicht einzigartig. Es gibt nichts Einzigartiges. Und wer sich mit Geschichte auskennt, weiß, was mit Leuten passiert, die so einen Scheiß machen. Irgendwann werden sie mit einem verdammten Metallrohr anal missbraucht. Oder in einem Bunker bombardiert. Es wird also alles gut.

"Zu 50 % Freddie Mercury, zu 50 % Jacques Clouseau"

In eure aufwändigen Bühnenshows baut ihr auch immer viel Humor ein. Hilft dir das, den Wahnsinn der Welt zu ertragen? Ich meine, man könnte behaupten, dass die Zeiten immer irgendwie verrückt sind. Aber gerade jetzt verschärfen sie sich besonders. Ist Humor deine Art, damit umzugehen?

Für mich persönlich, ja. Ich meine, das ist es, was ich letztlich auch sagen will. Ich bin kein Politiker. Ich bin kein politischer Kommentator. Ich bin eigentlich ein Neuling, wenn es um alles geht, was über den Bereich der Unterhaltung hinausgeht. Das ist nur mein persönliches Interesse. Aber letzten Endes bin ich bestenfalls ein Entertainer. Das ist, was ich tue. Und was ist Unterhaltung? Sie sorgt dafür, dass man das Glück erkennt, das es in der Welt noch gibt – ein Laserfokus auf das Gute. Und das Großartige an Unterhaltung ist: Sie rettet Leben. Sie hält einen geistig gesund. Die meisten Situationen haben einen lustigen Aspekt. Und ich denke, das zu erkennen ist - zumindest für mich - entscheidend, um funktionieren zu können.

Gibt es jemanden, der dich zu diesem Ansatz inspiriert hat? Manchmal kommen mir die Papas fast ein bisschen clownesk vor. Wie der Weißclown oder Pierrot. Gibt es irgendeine Figur oder einen Entertainer, der dich in dieser Hinsicht inspiriert hat?

Mehrere. Als ich aufwuchs, sah ich ständig Fernsehen und Filme. Und wer waren damals die großen Namen der 80er? Natürlich gab es da Eddie Murphy und Richard Pryor. Aber auch Monty Python und Peter Sellers. Ich habe immer gesagt, dass Papa zu 50 % Freddie Mercury und zu 50 % Jacques Clouseau ist. Und das trifft es ziemlich genau in dem Sinne, wie ich ihn haben möchte und wie ich ihn finde. Ich denke, Freddie Mercury ist so ziemlich der Inbegriff eines Entertainers, wenn es um Sänger geht. Und insgesamt einfach verdammt cool. Aber der ultimative Witzbold, der mich zum Lachen bringt, ist Jacques Clouseau. Aber das sind nur einige Beispiele. Ich war schon immer von Komödien beeinflusst. Und ich habe viel davon konsumiert. Und ich denke, es ist unvermeidlich, dass es durch das sickert, was ich jetzt mache. Ich fühle in dieser Hinsicht eine Verbindung zu Komikern. Das kann manchmal ermüdend sein. Weil man ständig versucht, die Dinge humorvoll zu sehen und möchte, dass die Dinge lustig sind. Selbst in Zeiten der Trauer oder Hoffnungslosigkeit. Ich habe das Gefühl, dass es am Ende zumindest mit einem Lacher enden soll.

Apropos: Wird Papa Nihil dieses Mal wieder auf Tour sein?

Früher oder später.

Er ist also nicht ganz von uns gegangen?

Die gehen nie von uns. Das ist das Hotel California. Man kann nie wirklich von dannen gehen.

So ähnlich wie die Perpetua-Idee?

Ganz genau.

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