26. Juli 2007
"Borat ist der neue Chaplin"
Interview geführt von Alexander CordasEinen Tag nach seinem grandiosen Auftritt beim traditionell verregneten Zeltfestival zu Konstanz hielt Goran Bregovic im ersten Hotel am Platze Hof.Ob er sich am Abend zuvor etwas zu heftig einen hinter die Binde gegossen hat? Das überdimensionierte Pimp My Nasenfahrrad mit dunklen Gläsern ließ es zumindest vermuten. laut.de ließ es sich nicht nehmen, dem Brass-Superstar einmal das Mikro unter die sonnenbebrillte Nase zu halten.
Dobar dan! (Guten Tag)
Ach, du sprichst meine Sprache?
Samo malo (Ein wenig). Wie läuft die Tour momentan? Du spielst ja eigentlich ständig irgendwo.
Ich habe ja eine neue Platte, die gerade rausgekommen ist. Eine Oper, "Karmen (With A Happy End)". Jetzt bin ich gerade dabei, die Scheibe zu promoten, deshalb spielen wir auch einige Songs live. Ich glaube, in Deutschland habe ich die Oper noch gar nicht aufgeführt, aber so genau weiß ich das gar nicht, denn bevor die Scheibe erschien, habe ich sie schon über 130 mal aufgeführt. Von Argentinien bis Korea, von St. Petersburg bis Tel Aviv, überall auf der Welt.
Ist die Oper eigentlich an Bizets "Carmen" angelehnt?
Nein nein. Die hat eigentlich nichts mit Bizets "Carmen" zu tun. Die Idee dahinter ist das komplette Gegenteil einer richtigen Oper. Oper ist eher etwas Teures für die Reichen. Meine Oper ist kleinen Orchestern gewidmet, eine Oper für die Armen, die zum Beispiel auf Hochzeitsfeiern oder allgemein an Orten aufgeführt werden kann, wo kleine Orchester spielen.
Für Künstler, die keine Unterstützung erfahren oder keinen Zugang zur Hochkultur haben. Das ist so etwas wie eine gegen- oder subkulturelle Oper. Ich hoffe für die Zukunft, dass sie sich im Repertoire von kleinen Orchestern wieder findet. Auf meiner Webseite wird man sich die Noten und Partituren in den verschiedensten Sprachen frei herunterladen können.
Also hältst du nicht den dicken Copyright-Daumen drauf?
Nein, ach was. Übrigens habe ich das Szenario eigentlich für einen Film geschrieben. Auf die Idee bin ich aufgrund einer schlechten Angewohnheit gekommen. Wenn ich in Belgrad Lust habe, zu trinken, nehme ich mir eine Flasche Wein und setze mich in eine Loge in der Oper. Während einer Carmen-Aufführung dachte ich daran, wie es wäre, einen meiner Gypsys aus der Band mitzunehmen. Ich würde gerne sein Urteil hören.
Nach meiner trunkenen Hypothese nach, würde er sagen: 'die einzige in dem Stück, die wirklich abgefuckt ist, ist Carmen, eine Zigeunerin. Wenn es nur eine Oper mit einer Zigeuner-Hauptrolle gibt, dann hätte doch wenigstens die ein Happy End haben können.' Also habe ich angefangen, die Story für einen Film zu schreiben. Dann habe ich mich daran erinnert, dass sich Mérimée beim Schreiben der Novelle "Carmen" an eine wahre Geschichte gehalten hat. Das wollte ich auch machen.
Man kennt ja die Berichte von Mädchen aus dem Osten, die mit falschen Versprechen in den Westen gelockt werden und dann als Prostituierte enden. Das sind Storys, die man eben so hört, wenn man auf die Straße geht. Leider interessiert es kaum jemanden mehr, was aus diesen Mädchen wird. Der Plot ist schon mit Bizets "Carmen" verbunden, denn der große Star der Gypsy-Musik verliebt sich in eine Prostituierte. Vielleicht mache ich nächstes oder übernächstes Jahr einen Film darüber - ich brauche noch ein paar Monate, um das zuende zu schreiben.
Bei dir heißt es ja explizit "With A Happy End". Magst du Happy Ends?
Jeder mag Happy Ends. Speziell Zigeuner. Da gibt es diesen uralten Witz, in dem ein Junge ins Wohnzimmer kommt und seine besoffene Großmutter sieht, die sich einen Porno anguckt. Er fragt sie 'Oma, was machst du denn da?' und sie meint 'ich warte darauf, ob sie am Ende doch noch heiraten'. Wenn ich eine Oper ohne Happy End geschrieben hätte, würde sich das niemand anschauen. Wer würde schon gerne ein tragisches Ende auf einer Hochzeit spielen? Die Vision und Anspruch dieser Oper ist, dass sie für ein Trinkgeld aufgeführt wird.
Dann wäre das Zirkuszelt, in dem ihr gestern gespielt habt, ja fast der perfekte Ort für eine Aufführung
Wir haben fünf, sechs Songs daraus gespielt, aber ja, stimmt. In Paris haben wir sie in einem ähnlichen Venue einen Monat lang aufgeführt.
Wie kam das beim Publikum an?
Gut. Ich spiele ja überall auf der Welt und da ist es oft so, dass das Publikum neugierig auf fremde Komponisten ist.
Wie kann man sich das dann vorstellen, wenn du zum Beispiel in Korea spielst. Ich kann es mir kaum ausmalen, wie Koreaner auf osteuropäische Gypsy-Musik reagieren.
Von der wissenschaftlichen Seite her betrachtet, ist Musik ja die erste menschliche Sprache. Bevor Menschen überhaupt sprechen lernten, bevor wir Religion und Politik hatten, war Musik die erste Form der Kommunikation. Deshalb ist es so einfach, mittels Musik zu kommunizieren. Wenn du gute deutsche Musik in der Mongolei spielst, wird sie dort genauso akzeptiert werden wie hier, denn Musik ist eine Sprache und wenn du diese Sprache gut sprichst, ist es einfach, zu kommunizieren. Auf dem Gebiet der Musik ist - im Gegensatz zum wirklichen Leben - alles möglich. Wenn du also gut sprichst, und ich fühle mich gut, wenn ich spiele, dann geht das schon.
Wenn man ein bisschen von der Welt sieht, merkt man recht schnell, dass Stereotypen, die man im Kopf hat, nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, das ist doch alles Bullshit. Ich bin ja auch mit Vorstellungen über den typischen Deutschen aufgewachsen. Als ich noch Rockmusiker war, waren die Steuern so hoch, dass ich sehr wenig gearbeitet habe und stattdessen lieber durch die Welt gereist bin.
Auf einer Insel in Indonesien habe ich diesen Typen kennen gelernt, mit dem ich jeden Abend Billard gespielt habe, ansonsten gab es da nicht viel zu tun. Das war der freakigste Typ, dem ich je begegnet bin. Ich habe bislang keinen Deutschen getroffen, der dem Klischee entsprach. Du wirst auch keinem Russen begegnen, der in das Bild passt, dass du von Russen hast.
Außer vielleicht die Geschichte mit dem Wodkatrinken?
(lacht) Gesoffen wird doch aber überall.
"Gypsy-Musik ist noch jungfräulich"
Wenn du schon Vorurteile und stereotype Sichtweisen erwähnst. Du hast Sasha Baron Cohen für seinen Filmsoundtrack von "Borat" ein paar deiner Songs geliehen. Hast du den Film schon gesehen? Er spielt ja extrem mit der Sichtweise, die der Westen von osteuropäischen Völkern hat.Um ehrlich zu sein: ich denke, dass dieser Film nach Charlie Chaplins "Der Große Diktator" die wichtigste Komödie der Filmgeschichte ist. Man kann ihn natürlich auch einfach nur als witzigen Film betrachten, aber hinter diesem Witz steckt sehr viel ernstes Zeug über Vorurteile und wie Amerikaner uns wahrnehmen.
Man muss das ja aber nicht unbedingt auf die amerikanische Weltsicht beschränken.
Ja ok, dann eben, wie die westliche Welt den Rest wahrnimmt. Offensichtlich sind wir in einer neuen Zeit angekommen. Nimm Geschichte. Was ist eigentlich Geschichte. Geschichte ist doch nur die Nacherzählung, auf welche unterschiedliche Art und Weise man sich gegenseitig tötet. So hat man Probleme in der Vergangenheit gelöst.
Da ist jemand, der anders ist als du: töte ihn! Da gibt es Völker, die sich von deinem unterscheiden: bring sie um! Im 21. Jahrhundert ist das nicht mehr so einfach möglich, also müssen wir sehen, wie wir mit Unterschiedlichkeiten leben, und genau deshalb ist dieser Film auch so wichtig.
Du lebst in Paris, arbeitest aber in Belgrad. Herrscht da eine spezielle Atmosphäre, dass du nur dort arbeiten kannst?
Da gibt's nichts Spezielles. Ich bin ein lokaler Komponist, ich kann nicht mit Franzosen arbeiten. Ich habe versucht, in Paris zu arbeiten, aber das ist unmöglich. Während des Krieges war es unmöglich, in Sarajevo zu komponieren, deshalb bin ich während des Drehs von "Underground" nach Belgrad gegangen. Die Musiker, die mich interessieren, wohnen einem Umkreis von hundert Kilometern, also ist es ganz normal, dass ich dort arbeite.
In den letzten Jahren rückt der Brass-Sound der Gypsys immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit und auch hier in Deutschland feiern einige Bands große Erfolge. Hast du eine Erklärung für die steigende Popularität?
Ach, die Welt ist einfach merkwürdig. Die Gypsy-Musik ist noch jungfräulich und vielleicht das eines der letzten unentdeckten Dinge in Europa. Ich finde es auch gut, dass sich moderne Künstler davon inspirieren lassen und umgekehrt, so sollte es auch sein.
"Politiker sind wie Groupies"
Du hast einmal in einem Interview verlauten lassen, dass du keine politische Person bist, aber ist es nicht schwierig mit deinem Background, unpolitisch zu sein?Zu Zeiten des Kommunismus war ich ja ein Rockstar und hatte schon damals keine Verbindung zur Kultur, so wie heute auch. Ich war schon immer Teil der Sub- oder Gegenkultur. Kultur, wie sie heute definiert wird, ist ja immer ein Wertesystem der Politik und wenn du aus einem kommunistischen Staat kommst, willst du damit nichts zu tun haben. Deshalb habe ich auch keine Verbindungen zu dieser Art von Kultur.
Wenn du Kultur als Wertesystem der Politik verstehst, die auch von der Politik benutzt wird, möchtest du nichts damit zu tun haben. Ich kann Leute aus dem Westen verstehen, die das anders sehen, weil sie andere Erfahrungen wie ich gemacht haben. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, dass ein Kulturminister mir bei irgendetwas behilflich sein könnte. Was ich habe, sind Engagements.
Wenn du die Geschichte der Kunst betrachtest, ist 90% davon Auftragsarbeit. Wir hätten nie etwas von Michelangelo, Leonardo Da Vinci, Shakespeare oder Mozart gehört, das war alles Auftragsarbeit.
Ich nehme einmal im Jahr ein Engagement an. Dieses Jahr ist das eines von der Vereinigung der zehn wichtigsten Konzerthallen in Europa, für die ich "Three Letters From Three Prophets" geschrieben habe. Das ist mein Berührungspunkt mit Politik und Kultur, aber doch eher von einem entfernten Standpunkt aus.
Gibt es nicht auch Versuche, von Politikern, dich für ihre Zwecke einzuspannen?
Ach klar. Politiker sind wie Groupies, sie halten sich gerne im Dunstkreis von Prominenten auf, weil sie sich dann wichtig vorkommen. Ich hatte ein paar Freunde in der Politik, aber ich bemitleidete sie immer sehr, denn ich wünsche keinem meiner Freunde so einen Job.
Wenn du auf der Bühne stehst, dann bist du ja so etwas wie der Dirigent deines Orchesters. Ab und an kommst du so rüber, als ob du auch streng mit ihnen bist.
Du kannst mit diesen Leuten nicht streng sein, die sind das gar nicht gewohnt. Aber es ist schwer richtige Disziplin in eine Brassband reinzubringen. Natürlich brauchst du etwas davon, aber die sind alle zu talentiert, um wirklich diszipliniert zu werden. Deshalb spiele ich auch so gerne mit ihnen.
Mein Vater war Oberst, vielleicht habe ich von ihm den Hang, Verantwortung übernehmen zu wollen. Der war auch Alkoholiker, und deshalb trinke ich eigentlich fast nur auf der Bühne. In meinen Verträgen lasse ich mir auch immer Jack Daniels garantieren.
Wieso ausgerechnet Jack Daniels, es gibt doch weit bessere Whiskys.
Keine Ahnung, ist halt anständiger Alkohol, irgendwas zwischen Whisky und Schnaps, das man auch ohne Eis trinken kann.
Demnächst findet ja wieder einmal das Trompeten-Festival in Guča statt, wo du auch spielst (2002: 300.000 Besucher, Anm. d. Autors). Ich war selbst noch nie dort, habe aber schon die dollsten Sachen gehört. Wie muss man sich das vorstellen?
Das muss man mindestens einmal im Leben erlebt haben. Das ist ein Wahnsinn, den man sich in Europa nur schwer vorstellen kann. Ein kollektiver Wahnsinn, der sich aber komplett von irgendeinem anderen Wahnsinn unterscheidet. Ein Wahnsinn von Armen, die sich eine Woche wie Millionäre verhalten, völlig irrational.
Aber es ist schön zu sehen, das dort Gypsys in einer Woche einen Haufen Geld verdienen können. Auf der anderen Seite ist das auch eine Art Flucht, einmal im Jahr ist das wie eine Erholung für den Geist. Das findet im August statt, während der größten Hitze. Dann stellen die Sauerkraut in riesigen Töpfen her und trinken starken Schnaps, Wahnsinn!
Dann findet auch noch ein Wettbewerb der Brass-Bands statt. Die spielen in Zelten in denen zehn Tische stehen. Dann spielen dort zehn verschiedene Bands zehn verschiedene Melodien, denn jeder dort spielt fürs Trinkgeld, da musst du einfach besoffen sein; einmal im Leben musst du das erlebt haben. Wahnsinn!
Danke für das Interview.
So, jetzt muss ich erst einmal einkaufen gehen und mir was Warmes zum Anziehen besorgen. Ich komme ja gerade aus Griechenland und hatte nicht mit dem kalten Wetter gerechnet.
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