laut.de-Kritik
Review von Michael SchuhMüde Live-Performances sind nicht sein Ding. Wann immer Henrys Weg in dunkle Clubs führt, und das ist nun schon seit 19 Jahren der Fall, scharren sämtliche Rock-Gäule mit den Hufen und gehen mit ihm durch.
Einzigartig ist dabei nach wie vor sein Auftreten: Es ist ein offenes Geheimnis, dass er während seiner Vorstellung zur Freude des Publikums auf störende Bekleidung verzichtet, um Seele und Tattoos freizulegen.
Nach dem wahren Killeralbum "Get Some Go Again", eingespielt mit den Jungspunden von Mother Superior, lud der Meister am 16. März in Zürich zum Livetest mit der neuen Rollins Band. Wurde die Vorband Rude, unaufregendes Deftones-Plagiat aus Lausanne, gegen Ende des Sets doch munter beklatscht, wusste der Star des Abends die Meute vor der Bühne von Beginn an in Stimmung zu bringen.
Im Standard-Outfit, seitlich eingerissene Sportshorts über schwarzer Radlerhose, preschte Rollins sogleich barfuss auf sein Bühnenzentrum, die Trimmmatte, um zu den Klängen von "Illumination" seinen Gleichgewichtssinn auf eine erneute Probe zu stellen. Die nun folgende, 90-minütige Nummer des hart arbeitenden Künstlers kann man nur als eindrucks- und künstlerisch wertvoll bezeichnen. Seine grimmige Mr. Evil-Mimik, die weder beim Moshen noch beim Mineralwasser trinken sein Gesicht zu verlassen schien, musste einem bei aller Ernsthaftigkeit der Lage doch ein gelegentliches Grinsen entlocken.
Natürlich passt sein beeindruckend bedruckter Körper herrlich ins Gesamtbild der Raw Power-Dynamik, die von Heinrichs neuen Freunden absolut profihaft umgesetzt wurde. Kaum zu glauben, dass diese Jungs ihre Instrumente erst erlernten, als Rollins schon bei Black Flag den Wüsten spielte. Nie klangen Henrys Brüllorgien fetter!
Überhaupt fiel auf, dass an diesem Abend die auf Konzerten häufig gehegte Vorliebe für ältere Stücke beim Publikum entweder nicht vorhanden war, oder durch das exzellente, neue Material bzw. die furchteinflößende Bühnenpräsenz des Vorturners gar nicht erst aufkam. Andererseits machte einem healthy Henrys Lehrstunde drahtigster Körperakrobatik gewohnt unverblümt die Vorzüge des abstinenten Lebenswandels deutlich.
Lustig ging's zu, als ein Fan eine gelbe (!) Base-Cap mit der Aufschrift Henry Rollins gen Bühne streckte, worauf der Meister nur trocken bemerkte, dass diese Farbe nicht gerade seinen Seelenzustand wiederspiegle. Yeah! Rock'n'Roll!
Nach zwei epischen Zugaben in Sabbath-Manier und artiger Bedankung war Schluss mit bösem Getue. Zurück ins richtige Leben, zurück zu Mr. Intelligent Rollins. Diese Ambivalenz besingt er neuerdings auch: "I'm a monster - no need to fear me" (aus "Monster"). Trotzdem: Nach der Show ist vor der Show. Zum Glück noch immer.