31. Oktober 2013
"Ich bin kein Wegwerfprodukt"
Interview geführt von Ulf KubankeEin knapp viertelstündiges Telefonat mit James Blunt. Dabei gibt es eigentlich so viel mehr zu besprechen. Das neue Album "Moon Landing" ist frisch im Regal und die erste deutsche Nummer eins mit der Single "Bonfire Heart" eingesackt.
Im Gespräch präsentiert der Engländer eine sehr eigenwillige Sichtweise seiner Musik. Daneben spricht er ungewöhnlich offen über seine militärische Vergangenheit, das spezielle Verhältnis zu Deutschland und warum ihm Hater buchstäblich am Arsch vorbei gehen.
"Bonfire Heart" ist deine erste Numer eins in Deutschland. Ein im besten Sinne typischer Blunt-Song. Ist er aus deiner Sicht ebenso typisch für den Rest des neuen Albums?
James Blunt: Ich denke, es ist vor allem der Sound, der sehr typisch ist. Sehr organisch, sehr von Menschen gemacht und basierend auf Gitarre und Piano in Kombination mit meiner Stimme. Aus diesem Grund klingt er in den Ohren der Hörer natürlich besonders typisch nach mir.
Ich bin jedoch ganz allgemein der festen Überzeugung, dass niemandes Song klingt wie ein anderes Lied derselben Person. Natürlich ist "Moon Landing" keine Sammlung vieler weiterer "Bonfire"-Aufgüsse. Das wäre ja furchtbar langweilig. Und ich möchte nicht langweilen.
Von der Klapsmühle ("Back To Bedlam") bis auf den Mond ("Moon Landing") hat es insgesamt vier Alben gebraucht. Wenn du nunmehr die aktuellen Lieder mit den früheren Songs vergleichst, wo siehst du die künstlerische Entwicklung?
Das erste Album entstand, ohne ein Publikum im Auge zu haben, ein wenig unschuldig und naiv. Für das zweite Album habe ich meine Tour-Band eingebracht, die mir erlaubte, mich ein wenig hinter ihrer fantastischen Musikalität zu verstecken. Mit dem dritten Album arbeiteten wir in einem fantastischen Studio unter großartigen Produktionsbedingungen, hinter denen ich mich auch verstecken konnte. Mit der neuen Platte "Moon Landing" geht es nun zurück zur Naivität der Ursprünge. Fort von den Erwartungen des Publikums.
Deshalb auch der bezeichnende Titel "Moon Landing"? Die Landung als eine Art musikalische Ankunft oder Anker?
Ja, sehr sogar. Genau darum geht es. Es war eine lange Reise vom Indie-Künstler, der durch "You're Beautiful" seiner Indie-Roots entkleidet und in einen Topf geworfen wurde, den man Mainstream nennt. Mit dieser Platte kehre ich zurück, nicht den Popstar zu finden, sondern jenen ursprünglichen Musiker in mir, mit dem alles anfing. Das Ergebnis ist dieses wirklich tiefe und persönliche Album.
Das klingt so überzeugend, wenn du es sagst. Dennoch ist mein Eindruck nach intensivem Hören etwas anders. In unseren beiden Sprachen gibt es das Sprichwort "Zu viele Köche verderben den Brei". Und trotz dieser Rückkehr zu deinem musikalischen Selbst fährst du ganze Armeen von Co-Songwritern und Produzenten auf. Liegt nicht eine große Gefahr in dieser Methode, dass man durch die vielen anderen am Ende doch nicht mehr bei sich sondern im künstlerischen Niemandsland landet?
Naja, du siehst natürlich die vielen aufgelisteten Namen, aber das sagt dir ja nicht, wie die Platte im Detail gemacht wurde. Der Grund warum ich mit diesen Leuten zusammen arbeite ist ja gerade, dass sie mir erlauben, mein eigenes musikalisches Ding durch zu ziehen. Wenn mir jemand also mittels ein paar Akkorden oder ähnlichem eine Inspiration verschafft, nehme ich diese an und entwickle es zu meiner eigenen Idee weiter, die all meinen Charakter transportiert und verkörpert.
Da steckt dann ja wirklich meine ganze Erfahrung und mein ganzes Leben drin. Genau da liegt der Hund begraben. Die Massen an Co-Writern und Produzenten sind insofern unerheblich, weil sie mich nicht vom Weg abbringen. Und ein Mann wie Tom Rothrock (Hauptproduzent des Albums; Anm. d. Red.) macht doch nun wirklich niemals eine Platte, die nach Rothrock klingt. Er geht immer auf die Künstler ein.
Hör dir doch nur mal seine anderen Sachen an, die er etwa für Elliott Smith oder Beck gemacht hat. Sie klingen alle nicht nach Tom. Deshalb arbeite ich so gern mit ihm. Es bleiben immer meine Worte, meine Melodien und ich an den Instrumenten. Aber mal ehrlich: Hättest du das nicht recherchiert, wäre dir die Frage - allein vom Höreindruck - doch gar nicht in den Sinn gekommen, oder?
Guter Punkt. Aber mit Tom Rothrock hast du die Pandorabox ja nun selbst geöffnet. Der hat neben den von dir genannten Musikern ja auch mit R.L. Burnside oder den Foo Fighters zusammen gearbeitet, vom "Good Will Hunting"-Soundtrack gar nicht zu sprechen. Doch verglichen mit genau diesen maßgeschneiderten Arbeiten klingt deine Produktion etwas gesichtsloser, mainstreamiger und gerade dadurch eben nicht so individuell, wie es deine Lieder verdienen und du mir erzählst. Die Verpackung in Sound und Arrangement ist eher typisch für konzeptionelle Pop-Industrie-Scheiben. Würdest du denn nicht gern genau so individuell klingen wie die genannten Kollegen?
Das tue ich doch. Die Antwort liegt im Grunde bereits in deiner Frage. Du als Kritiker hörst doch täglich diese ganzen typischen Wegwerfprodukte der Popindustrie. Und wie klingen die? Sie klingen nahezu allesamt computergeneriert und sehr synthetisch. Alles von Maschinen gemacht. Und die Person, die es singt, ist wahrscheinlich kein eigenständiger Künstler sondern ein von den Labels kreiertes Produkt.
Bei mir hörst du genau das Gegenteil. Songs, die auf realen Erlebnissen und Erfahrungen basieren. Und ich komponiere alles selbst und spiele die Instrumente so gut ich eben kann. Das ist doch nun wirklich - ich betone das noch einmal - das Gegenteil eines seelenlosen Produkts. Bei mir hörst du den natürlichen Flow und die ganzen Risse darin. Vor allem, wenn du "Moon Landing" mit meinem zweiten oder dritten Album vergleichst. Die waren etwas polierter. Das gebe ich zu. Aber das hier ist nun wirklich hundert Prozent echt und ehrlich. Und jetzt zeige ich dir noch, worin der Beweis in diesem Pudding liegt. Das sind all die Hörer, die als Zeugen sagen: Wow, wir hören wirklich, dass es echt und ehrlich ist.
"Das Showbiz ist hohl"
Wenn du sagst, alles ist pur James, warum dann nicht noch einen puristischen Schritt weiter gehen? Deine Lieder sind ja schön und brauchen im Grunde doch nicht mehr als ein paar akustische Instrumente der Marke früher Leonard Cohen oder Elliott Smith. Wäre das für die Zukunft nicht eine lohnenswerte Alternative, um den Spirit der Lieder zu unterstreichen?
Na, dann nimm doch nur mal sowas puristisches wie "Sad On Sunday" vom Album. Das bin ja nun wirklich nur noch ich und mein Piano. Mehr kannst du nun echt nicht erwarten. Mehr stripped down geht gar nicht. Klar, ich nutze auf Songs wie "Miss America" auch Bässe und Drums. Das aber ganz bewusst. Ich mag es, wenn die Produktion einer Platte den Hörer stimmungstechnisch mitnimmt, rauf und runter, wie in der Achterbahn. Aber das variierende Level der Instrumentierung ändert eines nicht: Du kannst auf diesem Album besser als auf den früheren Liedern hören, worauf sie eigentlich basieren: Auf Text, Melodie und meiner Stimme.
Du bringst selbst "Miss America" ins Spiel: Den Song hast du Whitney Houston als eine Art Nachruf gewidmet. Welchen speziellen Grund hat das und kanntet ihr einander pesönlich?
Nein, leider kannte ich sie nicht persönlich. Ich war jedoch sehr berührt von ihrer tragischen Geschichte. Es ist die Geschichte eines echten Menschen in diesem ganzen hohlen Business, dem Showbiz und Medienbiz. Stellvertretend für all diese Schicksale wie etwa auch Amy Winehouse oder Prinzessin Diana. Wir schauen auf diese Leute meist nur als sensationsgierige Zuschauer, weil wir Teil ihres Lebens sein wollen.
Und mit jedem billigen Artikel in jedem Yellow Press Magazin denken wir: Ich kenne diese Person. Doch das stimmt nicht. Und die Sucht wird immer größer. Wir klicken immer noch einen Artikel und kaufen noch mehr bunte Blätter am Kiosk. Also sind wir, die Zuschauer, auch alle mitverantwortlich für ihren Fall und die Tragik.
Nun tauchen bereits erste Stimmen auf, die dir vorwerfen, solch ein Lied sei weniger Ermahnung und vorgehaltener Spiegel, sondern Trittbrettfahrerei einer tödlichen Tragödie, mit der man den Verkauf der eigenen Platte hervorragend ankurbeln kann. Wie stehst du zu derlei Vorwürfen?
(mit Eastwoodscher Coolness) Das geht mir echt am Arsch vorbei. Mit solchen Leuten würde ich gar nicht erst sprechen.
"Als Mensch fand ich es richtig, im Kosovo zu helfen"
Ich respektiere dein Vorleben als Elitesoldat. Dennoch: Es fällt auf, dass du die Vorgeschichte des harten Knochens immer dann besonders betonst, wenn irgend ein Trottel von deiner emotionalen Musik auf den Menschen projiziert und dich als Weichei verunglimpft. Warum bleibst du nicht einfach so cool wie Buddha oder bei der obigen Antwort, sondern trägst es mitunter wie einen Bauchladen vor dir her?
Ich glaube, dein Eindruck täuscht ein wenig. Ich versuche nun wirklich nicht, irgend etwas zu beweisen. Das Motiv ist ein ganz und gar anderes: Ich setze das, was ich getan habe, ins Verhältnis zu dem, was ich nun mache und reflektiere es stetig. Mein Job hat sich ja wirklich recht deutlich geändert. Auch die Bedingungen betreffend. Meine Befehlshaber damals saßen mit dem Hintern in ihren bequemen Stühlen als sie mich da hinaus gesendet haben, das Gelände und den Feind zu erkunden.
Bei meiner Rückkehr habe ich den Commandern dann Bericht erstattet, was für Gefahren vor ihnen liegen. Ehrlich und wahrheitsgemäß. Und genau das mache ich auch als Musiker. Das darf man gern sensibel nennen. Da würde ich zustimmen. Ich bin sehr sensitiv und empathisch. Zu meiner Umgebung, zur Umwelt und zu den Menschen, die mich umgeben. Ich glaube auch, dass wir als Menschheit eine große Verantwortung haben. Nun stehe ich also auf der Bühne mit dem Scheinwerfer im Gesicht und spreche mit derselben Ehrlichkeit und Sensitivität zum Publikum als wenn diese Leute meine Commander wären. Es ist natürlich leicht, das lächerlich zu machen, wenn man als Spötter im Schatten und im bequemen Stuhl sitzt. Aber genau diese Typen, die hier immer laut spotten haben doch gar nicht jenes Selbstbewusstsein, mal selbst auf die Bühne zu steigen und vor Menschen zu performen.
Man ist ja völlig nackt und muss die Seele nicht nur entblößen, sondern auch die dunkeste Seite des Ichs mitunter offenbaren. All die Ängste und Zerbrechlichkeiten der eigenen Persönlichkeit. Und genau so muss ein echter Singer/Songwriter sein. Es ist wie das Bild an der Wand. Es muss voller Emotion sein. Ohne dieses transportierte Gefühl wäre das Bild doch nur Tapete.
Aus heutiger Sicht wissen wir ja beide, dass die britische Armee und die NATO auch keine Engel sind. Wenn du also stetig den Mann von heute mit dem Mann von damals vergleichst: Bereust du deinen Mlitäreinsatz oder könntest du noch einmal die Gitarre gegen das Gewehr tauschen?
Gute Frage. Ich hatte ja etwas mehr Glück als andere. Ich war damals im Kosovo, einem Ort, wo Albaner und Serben einander gegenseitig ermordeten. Als Mensch fand ich es damals richtig, an dieser Stelle mit zu helfen, dass das gegenseitige Abschlachten gestoppt wird. Aber das Prinzip ist natürlich von der Konstruktion ganz allgemein schon interessant.
Erst wählen wir Politiker und dann entscheiden diese, wohin man uns schickt und wofür. Insofern sind wir ja auch alle mitverantwortlich dafür, was passiert. Afghanistan fand ich früher auch in Ordnung als Einsatzgebiet. Einfach weil ich denke, dass man Menschen vor Taliban und Al-Kaida schützen muss. Aber man muss auch immer auf die Motive schauen.
Wie du sagst: Wir im Westen denken andererseits schnell, wir müssten die Weltpolizei spielen. Und die Wirtschaft spielt als Interesse ja auch eine Rolle. Das heißt also: Wir sind alle fehlbar in dem, was wir tun und warum wir es tun. Man darf nie zu sehr davon überzeugt sein, richtig zu liegen und die andere Seite liegt falsch. Weißt du, Freunde und Familie von mir, die an solchen Orten dienten, fanden es auch auf einmal viel härter und schwieriger, zu entscheiden, wer denn hier eigentlich der Gute oder der Böse ist.
Nichts ist so tough wie das Verhältnis von Tommies und Krauts zueinander. Aber mit dir und Deutschland scheint es ja außerordentlich gut zu funktionieren. Schöner Beweis, dass es als Kombination doch klappt.
(lacht) Genau!. Komm doch bitte zum Konzert, damit ich dich dort treffen kann, um es zu zeigen. Das Echo in Deutschland war immer besonders. Da ist wirklich etwas entstanden. Deshalb ist es auch das Land, in dem ich weltweit mit Abstand am häufigsten toure.
James, ich bedanke mich für die offenen Antworten bezüglich der kritischen Fragen.
Ich bedanke mich für die faire Art und Weise, in der du sie gestellt hast. (schiebt auf Deutsch nach:) Vielen Dank und auf Wiedersehen!
17 Kommentare mit 2 Antworten
Kann nix gegen machen, ich find den sau sympathisch
Bin während des Lesens davon ausgegangen, dass James jeden Moment einen Pelham zieht, aber er ist ja doch recht gelassen geblieben.
Das nenne ich doch mal kritischen Journalismus, sehr schönes Interview.
Habe gerade 'Miss America' gehört. Der gute Blunt hat gar nicht gemerkt wie der Rothrock heimlich sowas wie Streicher und Chor im Background platziert hat.
Und GUTES Interview!
kann mich nur anschließen wirklich tolles Interview (kritisch aber nie unfair), mit einem sympathischen Menschen. Die Musik wird dadurch aber leider auch nicht besser...
Da wurde das Interview am Ende echt dem Teaser gerecht. Schön!