1. März 2004

"Kraftwerk hatten noch Mut zum Risiko ..."

Interview geführt von

Es ist Karneval in Köln. Während draußen der Mob tobt, geht es im Foyer des Hilton Hotels geradezu friedlich zu. Das vornehme Erscheinungsbild der flanierenden Hotelgäste lässt keine Rückschlüsse auf die närrische Zeit zu. Sympathisch und sicher auch im Sinne von John Frusciante, der im dritten Stock Pressevertreter empfängt, um über sein viertes Soloalbum zu sprechen. Unser Termin ist der letzte des Tages, was in der Regel weniger erstrebenswert ist, doch der Abgesandte der Plattenfirma WEA versichert uns, dass John noch durchaus bei Laune sei und obendrein sehr gesprächig. Was wiederum daran liegen könnte, dass er später nach Hamburg fliegen und dort mit Neu!-Musiker Michael Rother dinieren wird.

Tatsächlich treffen wir einen äußerst interessierten Mann an, dem das Reden über seine Musik auch nach fünf Stunden noch so viel Spaß zu machen scheint, wie das eigentliche Komponieren. Zunächst soll es aber um Kunst gehen, was ihn gleich noch munterer macht.

Das Plattencover deines neuen Albums hat der amerikanische Dichter und Künstler René Ricard gestaltet, der bereits in den 60er Jahren in Andy Wahrhols Factory Bilder anfertigte. Welchen Einfluss hat moderne Kunst auf dein musikalisches Schaffen?

Ja ... (zögert) Künstler aus dem 20. Jahrhundert sind zweifellos eine große Inspiration für mich, wobei es natürlich auch Leute davor gab, die ich bewundere, Van Gogh zum Beispiel. Wisst ihr, fünf Jahre lang habe ich versucht, so viel wie möglich über Kunst und Malerei zu lernen und es auch selbst zu praktizieren. Am Anfang lief es gut, da ich mit meinem ganzen Herzen bei der Sache war. Aber nach einer Weile trat ich mit meinen Versuchen zunehmend auf der Stelle anstatt mich weiter zu entwickeln. Deshalb begann ich vor etwa fünf Jahren wieder mit der Musik und versuche, all das, was ich in meiner Zeit mit der Malerei an Wissen anhäufen konnte, in die Gitarre zu transformieren. Denn hier habe ich nunmal all die technischen Fertigkeiten, die mir in der Malerei versagt geblieben sind. Wenn ich über Musik nachdenke, geschieht dies immer noch besonders aus der Perspektive eines Malers, obwohl ich selbst mittlerweile nicht mehr male. Jetzt male ich nur noch mit meinem Instrument.

Aber zurück zu René Ricard: meine damalige Freundin Stella, die Tochter von Julian Schnabel, ist sehr gut mit René befreundet. So kam ich bald mit all seinen Bildern in Berührung, auf denen immer diese Worte prangten, und sie gefielen mir auf Anhieb. Das Bild von meinem Cover hat Stella irgendwann in der Garage gefunden und meinte, René solle doch ein paar Worte darauf schreiben. So kam das zustande. Ohne Kunst wäre die Welt nur ein halb so wundervoller Ort, egal ob man darunter jetzt Fotos, Gemälde oder Filme versteht. Doch Musik inspiriert mich am meisten. Ich kann tagelang dasitzen und Platten anhören ohne dass mein Hirn auch nur eine Sekunde abschaltet. Ich könnte das nicht mit Filmen oder Gemälden machen. Naja, eine Zeit lang habe ich tatsächlich damit verbracht, tagelang Bilder anzustarren. Fünf Jahre lang steckte mein Kopf ganz tief in Kunstbüchern. Das war gut.

Der angesprochene Großformatmaler Julian Schnabel besorgte das Cover zum Chili Peppers-Album "By The Way". Bist du derjenige in der Band, der Vorschläge in künstlerischer Hinsicht macht?

Ja. Damals wurde ich fast verrückt vor lauter Gedanken, die ich mir zu unserem Cover-Artwork machte. Eines Morgens rief Julian an und meinte, er könne sowas im Schlaf für uns machen. Also sagte ich: Okay, dann mach mal! (lacht)

Warst du auch derjenige, der auf die Idee kam, euer Video zu "Can't Stop" von den "One Minute Sculptures" des Österreichers Erwin Wurm inspirieren zu lassen?

Nein, das war unser Regisseur Mark Romanek. Wir bekamen etliche Vorschläge für Clip-Konzepte und die waren einfach alle schrecklich, während seine Idee ganz interessant klang ...

Ich drehe mich kurz zu Kollege Mengele um.

Wieso schaust du ihn an? Hat der auch Ideen eingeschickt? (allgemeines Lachen)

Ähh nee, ich wollte nur nachsehen, ob er schön zuhört.

Ahh, okay. Na jedenfalls waren alle Ideen total schlecht und so nahmen wir die von Mark, obwohl ich sein Skript zuerst völlig missinterpretierte. Aber ich muss sagen, ich mag das Ergebnis, denn eigentlich bin ich kein großer Fan des Video-Mediums.

Ähnlich vieler Werke Schnabels, sind auch Ricards Farben auf deinem Cover sehr ausdrucksstark, fast leuchtend, und mit dickem Pinselstrich aufgetragen. Kommt diese Maltechnik deinem persönlichen Empfinden beim Musikmachen nahe?

Nun, als ich noch mit Stella zusammen war, hing da ein Gemälde von René in ihrem Haus, vor dem habe ich tatsächlich halbe Ewigkeiten verbracht. Dieses Bild vermittelt exakt das Gefühl, das mir meine Musik gibt, seit ich ein kleines Kind bin. Ich kann das gar nicht in Worte fassen. Wenn ich mir dieses Bild von René anschaue, hallt dasselbe ästhetische Echo durch meinen Kopf wie damals, als ich anfing Musik zu machen. Das führte dann schließlich dazu, dass ich bei ihm wegen des Plattencovers anfragte.

Am Anfang des letzten Jahrhunderts versuchten zahlreiche Maler wie Wassily Kandinsky, die Farbe vom Gegenstand zu lösen. Von Kandinsky kennt man ja auch Experimente, die als Farbmusik berühmt wurden, und die sollen ihn schließlich zu dem Satz geführt haben: "Ich wünschte, meine Bilder könnten an die ungeheure Ausdruckskraft der Musik heran reichen." Würdest du auch sagen, dass Gefühle mit Musik besser auszudrücken sind?

Well ... (überlegt eine Weile, beginnt einen Satz und bricht wieder ab) Gefühle laufen ja auf nicht-sprachlicher Ebene ab. Für mich existiert kein verstandesmäßiger Weg, meine Gefühle zu transportieren. Der Verstand hilft mir aber dabei, Ideen auszuarbeiten. Als Musiker geht es mir darum, an einer Idee so lange zu feilen, bis sie Dinge zusammen führt, die so vorher noch nicht zusammen geführt wurden oder ich versuche eine Idee zu entwickeln, die gegensätzliche Konzepte vereint. Wenn ich Musik mache, will mein Kopf die Wirklichkeit mit Worten in einer Art neu ordnen, wie die Wirklichkeit selbst dazu nicht imstande ist. Gefühle sind eher wie ein Geschenk, ich meine, ich habe ein Herz und das ist in allem drin, was ich tue. (zögert) Als ich noch gemalt habe, kamen am Ende immer präzise und technische, von meinem Verstand diktierte Bilder heraus, was allerdings einer der Gründe dafür ist, warum ich nicht mehr male.

Breitbeinig fläzt John in seinem Sessel. Er überlegt lange, um einer Antwort den richtigen Dreh zu geben. Manchmal hält er mitten im Satz inne, als wüsste er nicht mehr weiter, bevor er zum nächsten Gedankensprung ansetzt.

Mich faszinierten eben schon immer die mechanischen Bilder und Zeichungen von Francis Pacabia oder von Marcel Duchamp, ihrer Konzeption fühle ich mich sehr nahe. Oder nimm Leonardo Da Vincis architektonische Zeichungen, all diese verstandesmäßigen Werke inspirieren mich, aber Gefühle sind kein Teil von ihnen. Es ist vielmehr die Vermittlung von Gefühlen, wozu all diese Künstler imstande sind. Wären diese Werke von irgendwelchen daher gelaufenen Geschäftsmännern angefertigt, hätten sie sicher nicht diese unglaubliche Wärme und Ausdruckskraft. Die Gefühle fließen in die Werke mit ein, aber es kommt auf die Idee an. Der Wunsch, Neues zu kreieren, steht an vorderster Stelle. Das ist auch meine Herangehensweise an Musik. Ich versuche ständig, verschiedene musikalische Stile zu vereinen, verschiedene Instrumente zu benutzen usw. Wären da keine Gefühle im Spiel, würde ich natürlich überhaupt nichts erschaffen, aber sie sind nicht der zentrale Punkt.

Woher weißt du, wann ein Song fertig ist?

Wenn er fertig ist. (grinst) Als ich 21, 22 Jahre alt war, also etwa 1991, hatte ich ziemliche Probleme, Songs zu Ende bringen. Ich wusste, welche Gefühle ich transportieren wollte, aber ein Mittelteil oder ein Schluss wollte mir einfach nicht einfallen. Ich glaube, dank der Erfahrungen, die ich in den Jahren 1992 bis 1997 gesammelt habe, als mein Leben langsam aber sicher den Bach runter ging, kann ich heute Songs vollenden. Wenn mir heute eine Idee kommt, setze ich mich hin und konzentriere mich so lange darauf, bis sie ausgearbeitet ist. Dass mir eine Idee kommt und ich sie nicht richtig ausleuchten kann, passiert mir sehr selten. Aber es gab eine Zeit in meinem Leben, in der ich vergeblich versuchte, einzelne Songfragmente aneinander zu reihen. Heute glaube ich, dass das daran lag, weil ich mit meinem Leben nicht voran kam. Dieses Leben hätte im März 1998 beinahe geendet, stattdessen nahm es eine unerwartete Wende hin zum Guten. Davon handeln nun meine Songs, und daher rührt wohl auch die Fähigkeit, sie zu vollenden.

Wie lange hast du Freude an einem Song, nachdem er fertig ist?

Nun, ich stehe hinter allen Sachen, die ich gemacht habe, zum Großteil zumindest. Ja, es macht mich glücklich, meine Musik anzuhören. Das fängt schon mit den Demos an. Bei der neuen Platte war es zum ersten Mal so, dass ich vom Beginn bis zur Fertigstellung genau wusste, was ich wollte. Musikalisch bin ich diesmal wirklich bis ans äußerste Limit gegangen. Darauf bin ich stolz und das verschafft mir auch eine Befriedigung, wenn ich die Songs anhöre. Gleichzeitig stellt es nicht das Level dar, auf dem ich mich gerade befinde, mittlerweile bin ich schon wieder ganz woanders. Wisst ihr, diese Platte wurde schon im April 2003 gemastert und fertig gestellt. Für mich gehört sie also bereits der Vergangenheit an.

Wie schon auf dem letzten Album begeistert mich erneut dein intimes Songwriting mitsamt den wunderbaren Background-Chören. Allerdings scheinst du besonders an deinem Gesang gearbeitet zu haben ...

Danke. Ja, seit ungefähr drei Jahren arbeite ich ziemlich hart daran. Diesmal schnappte ich mir mit Josh einfach das Beatles-Songbook und wir sangen uns durch alle Songs, übten die Harmonien und feilten lange an der richtigen Betonung herum. Anschließend machten wir dasselbe mit Songs von Simon & Garfunkel, John Denver, Depeche Mode und The Velvet Underground. Jeden Song mit interessanten Harmonien spielten wir auf unseren Akustikgitarren rauf und runter, wir riefen auch Leute an und sangen ihnen ihre Anrufbeantworter voll. (lacht) Für die letzte Chili Peppers-Platte habe ich ja auch schon viel Zeit für das Einüben von Harmonien aufgebracht. Großen Anteil daran hat übrigens auch mein Gesangslehrer, der übrigens auch Björk trainiert. All diese Dinge führten dazu, dass ich mehr Kontrolle über meine Stimme gewinnen konnte und ich sie heute teilweise Geräusche erzeugen lassen kann, von denen ich früher nichtmal wusste, dass sie existieren.

Als wir uns 2001 in Hamburg trafen, erwähntest du musikalische Einflüsse wie Faust und Neu! - auf dieser Platte scheinen sie deutlicher als jemals zuvor durch zu schimmern.

Danke. Ja, ich liebe ihre Musik. Ähh, irgendwie erzählst du mir eher etwas, anstatt mir Fragen zu stellen, oder? (lacht)

Stimmt. Also, ich will natürlich auf die Instrumentals hinaus ...

Right. Die Instrumentals sind eigentlich alle genau in dem Augenblick entstanden, in dem sie im Studio aufgenommen wurden. Das unterscheidet sie vom Rest des Albums, für das Josh und ich natürlich Demos vorbereitet hatten. Es ist diese Fähigkeit zu experimentieren, wofür wir Band wie Neu!, Cluster oder Kraftwerk so bewundern, vor allem die ersten drei Kraftwerk-Platten. Der Moment, in dem Josh und ich "Negative 00 Ghost 27" aufnahmen, gehört zu meinen glücklichsten Augenblicken während des gesamten Aufnahmeprozesses. Ich stellte nur den Sound ein, holte Josh dazu, sagte ihm "Spiel C-Moll", er stellte sich ans Keyboard, ich drehte sieben Minuten lang an den Knöpfen, und fertig war das Stück. Es war so aufregend, anschließend dazusitzen und etwas anzuhören, was wir für brillant hielten, aber dennoch nicht richtig begreifen konnten, wie wir es geschaffen hatten. Diese Balance zwischen Perfektion und Makel macht es für mich interessant, und gerade mit diesen Experimenten erschlossen sich für mich in der Hinsicht neue Welten.

"In Relief" und "Omission" gehören zu meinen Album-Favoriten, für letzteren Song hat sogar dein Kumpel Josh Klinghoffer Credits eingeheimst. Hast du von Beginn an geplant, dass Gäste wie er, Chad und Flea mitwirken würden?

Josh war von Anfang an fester Bestandteil der Platte. Wir dachten sogar kurz daran, sie unter einem Bandnamen zu veröffentlichen. Nach und nach zeigte sich aber, dass es doch eine Soloplatte werden würde, es waren halt meine Songs. Wir machten also die ganzen Demos mit ihm an den Drums und uns beiden an den restlichen Instrumenten und da merkte ich, dass die Songs von der Beziehung zweier Menschen profitierten. Die meisten Sachen, die ich früher solo aufgenommen habe, hatten ja nie Drums dabei. Es war traurige elektronische Musik.

Aber bei den neuen Songs spürte ich, dass sie nicht programmiert werden wollten, sie schrien förmlich nach einem richtigen Drummer. Und Josh ... er ist wohl der einzige Schlagzeuger, der genauso denkt wie ich. Aber nun war er das erste Mal in so einem großen Studio, genau wie ich in meiner Funktion als Produzent und irgendwie bekam ich es nicht richtig hin, ihn mit der Situation vertraut zu machen. Josh ist vorher nie unter diesem Druck gestanden, man fühlt sich da wie unter einem Mikroskop. So war es letztlich einfacher und besser für alle, Chad mit Joshs Drum-Parts vertraut zu machen und ihm unsere Vorstellung des Drummings nahe zu bringen. Danach fühlte sich auch Josh wieder besser. Ja ... ähh, wie war noch mal die Frage?

Ob du die Gäste ...

Oh yeah, also nach außen hin ist es jetzt halt meine Soloplatte, aber eigentlich ist es das Album von Josh und mir. Ich habe die Songs zwar geschrieben, aber er hat ebenso viel dazu beigetragen. Naja okay, ich habe natürlich schon mehr gearbeitet als er. (lacht)

Wofür habt ihr Flea benötigt?

Flea besitzt einen Steh-Bass, und auf einem Song wollten wir halt so einen Steh-Bass verwenden. Für Flea war es das erste Mal, dass er ihn für eine Plattenaufnahme eingespielt hat und er war sich zuerst gar nicht sicher, ob er es hinbekäme. Aber er übte fleißig und spielte es dann ziemlich gut runter. Für den Song "Chances" fragte ich Omar Rodrigues von The Mars Volta, ob er vorbei kommen wolle. Seine Band war gerade im gleichen Studio mit dem Mixing ihrer Platte beschäftigt. Mein Gitarrenspiel auf "Chances" klang mir irgendwie zu glatt, deswegen brauchte ich jemanden, der Abstand dazu hatte, um dem Song eine neue Dimension zu verleihen. Das haute dann gut hin mit Omar und so blieb er einfach einen Tag länger und spielte noch auf einem elektronischen Song mit.

Mit den Chili Peppers spielst du diesen Sommer auf einigen Festivals. Meinst du, ihr habt genug Power, um euch gleich anschließend wieder an Songs für eine neue Platte zu setzen?

Was mich angeht schon. Für den Aufnahmeprozess braucht man zwar wieder viel Energie, aber eigentlich geht es ruckzuck. Wir gehen rein, nehmen die Songs auf, ich mache meine Overdubs und fertig. Okay, mittlerweile habe ich die zusätzliche Aufgabe, Background zu singen. Ich muss also auf Anthonys Gesangslinien warten, bis ich dran komme. Aber eigentlich haben die Aufnahmen zu einer Chili Peppers-Platte nie länger als ein paar Wochen gedauert.

Das Interview führte Michael Schuh.

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